Melange mundet nur teilweise
Von den Mayas zu Marco Polo und aktuell ins Land Maria Theresias, kulturgeschichtlich Bewegendes und nun Wiener Schmäh, der Bogen ist weit, den Simone Luciani zu spannen versteht. Erneut greifen Rädchen in Rädchen, fasziniert die Verzahnung unendlich vieler Elemente, eine Würfelbatterie eingeschlossen, wobei ein Raschid ad-Din Sinan sich leider nicht ins GRAND AUSTRIA HOTEL verirrt. Walzerklänge und Radetzky-Marsch schwingen mit, wenn wir uns in Lucianis Wien zu Kaiser Franz Josephs Zeiten versetzen lassen. Mitkomponiert hat erstmals Virginio Gigli (EGIZIA), die materiellen Umsetzungsbedingungen liefert nun nach CGE und Hans im Glück Lookout Spiele mit dem verantwortlichen Redakteur Stefan Stadler.
Schön sieht’s aus, das Wien um 1900. Kein Wunder, zeichnet doch Klemens Franz verantwortlich. Da warten die Herrschaften vor der Wiener Hofburg, dass sie ein Fiaker abholen möge ins nächste Grand Hotel, sogar ein M. Polo und ein E. Gizia sitzt dort am ungedeckten Tisch mit Heißhunger auf Apfelstrudel. Als Touristen sind auch Bauer Franz und Bruder Uwe unterwegs, die wenig wählerisch bei der Zimmerzuteilung sind.
„Habe die Ehre, mein Herr. Küss‘ die Hand, gnädige Frau!“ Begrüßt werden sie fast alle vom Empfangschef Leopold, der erst einmal ins kleine hauseigene Kaffeehaus führt. Magister Polo muss vertröstet werden, drei Apfelstrudel auf einmal zaubert die kleine Küche nicht so schnell herbei, auch Bruder Uwe, der zusätzlich noch einen Kaffee möchte, wird nur mit dem heißen Getränk bedient, Maestro Gizia bekommt immerhin seinen geliebten Rotwein und Bauer Franz wartet immer noch vor der Hofburg, für ihn war kein Platz mehr in der Kutsche. Leopold rotiert, das Angebot des Tages, „Strudl & Kaffee“, ist aus, nun muss schnell Nachschub her. Wie gut, dass die hauseigene Würfelmaschine noch funktioniert. Gleich 14 Würfel lässt er rotieren und ordnet das Ergebnis der Nachschubbelieferung, dem Zimmerservice, Personal und Kaiser Franz Joseph zu.
Er hat Glück, mit vier Einsen kann er erst einmal gut leben, der Strudelnachschub ist gesichert. M. Polo wird abgefüttert und wandert gesättigt ins nächste freie Hotelzimmer, seinen Obolus von vier Gulden entrichtet er sofort. E. Gizia bekommt immerhin seinen ersten Strudel, weil Leopold den ausländischen Gast nicht länger warten lassen möchte, zahlt er seinem Lieferanten eine Krone zusätzlich, damit er einen weiteren Strudel liefert. Damit ist auch der Maestro satt und bezieht das Zimmer neben M. Polo. Er zahlt zwar kein Geld, bringt aber die bei Leopold besonders beliebten Siegpunkte mit und ermöglicht ihm noch eine Runde zu arbeiten. Vielleicht holt er jetzt Bauer Franz vor der Hofburg ab, da der aber auch nur Apfelstrudel will, nimmt er dann doch lieber den Herrn Magister von der Spielkartenfabrik aus der Hütteldorfer Straße mit, der gibt sich mit einer Sacher zufrieden und kann sofort sein Zimmer beziehen. Ach nein, das ist ja noch gar nicht fertig! Leopold stöhnt und ärgert sich, dass E. Gizias Gunst es ihm leider nicht ermöglicht, auf die immer brauchbare Würfelmaschinerie zurückzugreifen. Nun muss er warten, ziemlich lange sogar. Bei weiteren drei attraktiven Hotels in seinem Umfeld, ist er erst nach sechs Spielzügen der anderen Leopolds wieder dran. Nun gut, dann kann er jetzt die Beine hochlegen und sich mindestens zehn Minuten vom Stress des Nachmittags erholen.
Am besten verlassen wir Leopold in seinem GRAND AUSTRIA HOTEL an dieser Stelle. Gönnen wir ihm seine Mußezeit, denn wir müssten ganz schön lange warten, bis wir wieder erfahren, wie es mit ihm weitergeht. In der Zeit haben Sie locker zwei weitere Rezensionen gelesen! Aber Sie wollen ja vielleicht nicht nur aus Leopolds Perspektive auf das neue Expertenspiel von Luciani und Gigli blicken. Leopold hat uns das grundsätzliche Handlungsmuster nahegebracht. Gäste müssen herangekarrt und versorgt werden, dann beziehen sie eins der 20 Zimmer, die im standesbewussten Wien teilweise nur dem Adel, den Künstlern und der Bourgeoisie vorbehalten bleiben. Sie bringen Belohnungen und manchmal auch Siegpunkte mit, die sofort auf der üblichen Kramerleiste angezeigt werden. Wolfgang Kramer darf dafür auch als Monsieur Cramersopholus unter den Hotelgästen sein. Belohnungen gibt es auch, wenn bestimmte zusammenhängende Zimmer einer Ständegruppe bezogen sind. Die Zimmervorbereitung kostet in den höheren Etagen aber Geld, so lässt sich das Personal das Treppensteigen in die vierte Etage teuer mit drei Kronen pro aufgeräumten Zimmer bezahlen.
Würfeltechnisch ist die Zahl „3“ für die Zimmer, die in Bearbeitung kommen, verantwortlich. Deshalb an dieser Stelle ein paar Anmerkungen, zu der besonderen Würfelmaschinerie. Der Start-Leopold hat anfangs die volle Auswahl, im Beispiel oben, entfernt er dabei einen Würfel vom Einer-Feld und legt ihn auf eine Reihenfolgenkarte. Die nachfolgenden Spieler haben in ihren Aktionsrunden dann immer weniger Würfel zur Verfügung, Leopold am Ende dann nur noch sieben. Die Anzahl der noch vorhandenen Würfel zeigt an, wie viele Ressourcen es gibt, Zimmer gereinigt oder Personalkarten ausgespielt werden können. Das Ergebnis „6“ lässt sich auf alle Bereiche noch einmal anwenden. Pfiff in die Maschinerie bringt dabei die Pass-Regel, sie ersetzt zwar nicht den Würfeldreher Raschid ad-Din Sinan aus MARCO POLO, ermöglicht aber gegen Entsorgung eines Würfels einen neuen Versuch mit allen restlichen Würfeln. Wer passt, ist also nicht raus aus der Runde, sondern hebt nur die Abfolge der Spieler auf und darf am Ende mit den Restwürfeln auf die Suche nach vielleicht vielen 3er-Würfeln gehen, um Zimmer für die wartenden Gäste vorzubereiten.
Über die „5“ kann Leopold Kollegen ins Hotel holen. Wie schon beim Zimmerservice gesehen, ist das Hotelpersonal nicht billig und kostet bis zu sechs Kronen, deshalb reduzieren die Würfel auf diesem Feld die Kosten. Personalkarten unterstützen teilweise einmalig, in jeder Runde oder für die Schlusswertung. Luciani wäre nicht Luciani, wenn er sich mit diesen Elementen allein zufrieden gäbe. Deshalb müssen die Lokalpolitiker Wiens und natürlich Kaiser Franz Joseph zufrieden gestellt werden. Bei den Anforderungen und Belohnungen unterscheiden sich viele Karten von Spiel zu Spiel deutlich, da sorgt das Autorenduo für Varianz, das gilt auch für das Personal, das nie vollständig ins Spiel kommt. Die Lokalpolitik belohnt die Belegung bestimmter Hotelzimmer, das Beschäftigen von viel Personal und den Bargeldbestand, damit die Steuern auch pünktlich bezahlt werden. Auf Franz Josephs Kaiserleiste sollten alle präsent sein. Denn im Laufe der sieben Runden überprüft der Kaiser dreimal, wer ihm gut gesonnen ist. Dafür gibt es Siegpunkte und ganz unterschiedliche Boni oder Strafzahlungen. Das hängt am Ende jeder Wertung davon ab, ob die Spieler, die anfangs drei, später fünf und dann sogar sieben Felder auf der Leiste zurückgehen mussten, sich mindestens immer noch im huldigenden Dreier-Bereich aufhalten. Wer der Kaiser gar nicht mehr hofiert, muss Strafe zahlen, es geht meist um Geld- oder Siegpunktverlust.
Nach der siebten Runde wird abgerechnet. Etagenpunkte gibt es für belegte Zimmer, weitere für Personalkarten, restliches Geld und Speisen in der Küche. Sollte allerdings noch ein Gast im Kaffeehaus warten, führt das zu Punktabzug. Wer die Leiste von Monsieur Cramersopholus anführt, gewinnt in voller Besetzung nach drei Stunden GRAND AUSTRIA HOTEL.
Ein (fast) unverbrauchtes Thema, charmant gestaltet, ein Räderwerk zur Optimierung, bei dem wieder viel ineinandergreift. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen, schmeckt die Melange nicht so richtig. Da sind einmal die extrem langen Wartezeiten vor allem für den Startspieler, deshalb kann ich das Spiel eigentlich nur für zwei und drei Personen empfehlen. Die Interaktion ist gering, daher kann sich der Startspieler nach seinem Zug richtig ausklinken, ohne Wesentliches zu verpassen. Die Abhängigkeit von den Würfelergebnissen ist deutlich extremer als bei MARCO POLO. Ich kann eigentlich immer nur reagieren und nicht planen. Da hilft die Pass-Möglichkeit nur bedingt, da die Anzahl der restlichen Würfel nicht mehr so groß ist.
Die Personalkarten sind von ihren Möglichkeiten her unausgewogen. Wer mehrere Schlusswertungskarten ausspielt, kann am Ende richtig viele Zusatzpunkte machen. Beim Direktionsassistenten, der vier Kronen kostet, ist es unklar, ob er am Ende vier Punkte pro ausgelegter Personalkarte bringt (nach Spielregel) oder nur zwei (Aussage der Karte). Wer zum Assistenten noch den Personalchef hat, der das Ausspielen zusätzlicher Personalkarten ermöglicht, würde dann nach der Spielregeldefintion locker 30 Siegpunkte überschreiten. Da reicht sogar der Direktor nicht dran, der auf maximal 18 Siegpunkte kommen kann.
Luciani und Gigli sind wahrscheinlich davon ausgegangen, mit der Hotelbewirtschaftung jenseits von Hochkulturen und Mittelalterthemen Neuland zu beschreiten. Da grätscht ihnen aber DIE BLUTIGE HERBERGE von Nicolas Robert in die Beine mit einer Zimmerbewirtung im Dörfchen Peyrebeille 70 Jahre vor der Zeit des GRAND AUSTRIA HOTELs. Die siegpunktträchtige Entsorgung der Gäste verläuft dort aber viel makabrer als im kaiserlichen Wien. Auch die Gästeversorgung mit den kleinen Holzklötzchen aus der Wiener Hotelküche erinnert an ein weiteres Spiel, DA LUIGI lässt grüßen! Sodass bei aller Originalität der Würfelmaschinerie der innovative Anteil dieser Entwicklung von Luciani & Co. sich in Grenzen hält. Die Mischung ist interessant, die Tüftelaufgabe bei der Hotelbelegung durchaus spannend, aber zu viert werde ich dieses GRAND AUSTRIA HOTEL nicht mehr aufsuchen.
Wertung: Nächste Woche wieder.
Titel: GRAND AUSTRIA HOTEL
Verlag: Lookout Spiele
Autor: Simone Luciani und Virginio Gigli
Redaktion: Stefan Stadler
Grafik: Klemens Franz
Spieler: 2 – 4
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: ca. 90 bis 150 Minuten
Preis: ca. 43 €