
Was für die Italiener Marco Polo und Kolumbus war, ist den Deutschen Alexander von Humboldt, der als Forscher und Entdecker vor allem Südamerika bereiste und in seiner Zeit im 18. und 19. Jahrhundert so etwas wie ein früher Weltbürger war.
Zum 250. Geburtstag des Universalgenies gab es und gibt es 2019 und 2020 viele Ausstellungen und des Weiteren ein Spiel der beiden italienischen Autoren Remo Conzadori und Nestore Mangone. Sie widmen sich dem reisenden Forscher in der Phase von 1799 bis 1804, als Humboldt mit seinem französischen Kollegen Aimé Bonpland Mittel- und Südamerika bereiste und sogar Gast des amerikanischen Präsidenten in Washington war.
Die beiden Autoren besitzen ein Faible für historische Spiele. Gemeinsam haben sie sich 2015 schon einmal mit der EXPO 1906 beschäftigt, Mangone war mit anderem Partner außerdem an dem ausgezeichneten NEWTON beteiligt, das in diesem Jahr auf der Empfehlungsliste für das „Kennerspiel“ landete. Dass die beiden ihr Metier beherrschen, zeigt die Auswahl für ein klassisches Spielprinzip, das zum Motor ihrer Reiseidee wird. Sie greifen wie ein Stefan Feld bei TRAJAN oder ein Bruno Cathalla bei FIVE TRIBES auf das Schalenspiel MANCALA zurück.
15 Reisestationen Humboldts stellen in einer Wegeverknüpfung die Bohnenschalen dar. Da gibt es europäische Ausgangsstationen, die Karibik, Mittel- und Südamerika und den Abstecher in die Vereinigten Staaten. Überall ist der Wissenschaftler bestrebt, Wissen zu erwerben, deshalb liegen jeweils vier zufällig gezogene Wissenssteine in sechs verschiedenen Farben auf den Feldern. In identischen Farben liegen Frachtplättchen und Personen offen und verdeckt daneben. Vier unterschiedliche Schiffstypen warten auf die Wissensfracht, die Humboldt nach Europa verschifft hat. Die Schiffe benötigen bestimmte Fracht, je spezieller die Anforderungen erfüllt werden, umso mehr Siegpunkte bringt ihre Erfüllung. Außerdem gibt es zur Belohnung über ebenfalls dort ausliegende Wissenssteine Personen-Chips. Der Forscher trat auf seinen Reisen mit vielen Menschen in Kontakt, je mehr unterschiedliche Farbsets von Personen eingesammelt werden, umso mehr Punkte gibt es am Ende. Zwischendurch können die Chips zusätzlich als Jokersteine für die Reiserouten genutzt werden. Obwohl sechs verschiedene Personen im Spiel sind, werden nur Vierersets bewertet, da hätte ich mir durchaus die Option auf eine maximale Bewertung aller Farbchips gewünscht, und damit die Siegpunkte von zehn auf 21 gesteigert.
Nun kommen wir zum eigentlichen Element der Fortbewegung auf Humboldts Spuren. Der aktive Spieler greift dazu zu Beginn seines Zuges in einen Beutel und zieht darauf einen Wissensstein, dessen Farbe den Bereich festlegt, aus dem er aktuell starten müsste. Passt ihm das nicht, bekommt er eine zweite Zugmöglichkeit, die dann aber alternativlos bleibt. Die Autoren stellen sicher, dass dies ein anderer Farbbereich ist. Bis auf die Karibik und die USA lassen die zugeordneten Orte drei Startstationen zu, im roten Sektor besteht nur die Wahl zwischen Philadelphia und Washington, im braunen zwischen Havanna und Trinidad. Ist der Startort festgelegt, nimmt der Spieler am Zug von dort alle Wissenssteine in die Hand und startet á la MANCALA seine Reise. Er folgt den Wegen meist über eine, manchmal aber auch über eine alternative Route. Konkret bedeutet das, er legt Farbsteine ab, die möglichst passend zum Ort sind. Damit sind viele Wege vorprogrammiert, vom Mexico City aus geht es möglichst mit gelbem Wissen nach Veracruz und von dort mit braunem Stein nach Havanna. Wer auf Kuba startet, hat mehr Alternativen, er darf einer roten oder grauen Spur folgen. Übereinstimmungen von Wissensstein und Ort bringen Frachtplättchen in dieser Farbe, mit denen Vorgaben für Schiffsfrachten erfüllt werden. Wenn die Farbe einmal nicht passt, reist man trotzdem weiter, dies aber ohne Belohnung.
Meistens profitieren die Mitspieler von den Zügen ihrer Gegner. Reihum bedienen sie sich in den bereisten Orten von dort liegenden Steinen, sofern mindestens vier ausliegen. Diese werden im unteren Bereich der Schiffskarten abgelegt, um später damit an die Personen-Chips zu kommen. Wer keine passenden freien Plätze hat, darf keine Steine sammeln. Werden die letzten aus dem Beutel gezogen, beendet dieser Spieler mit seinem abschließenden Zug die Reise. Halbfertige Schiffsabwicklungen werden noch vorgenommen, da dürfen Frachtplättchen abgelegt und Wissensteine in Personen getauscht werden. Schlussendlich werden Personensets und restliche Plättchen in die Bilanz eingerechnet, alle Schiffe sind schon vorher auf einer Punkteleiste abgerechnet worden. Wer am weitesten vorn liegt, tritt in Humboldts Fußspuren.
Der Ablauf ist schnell verinnerlicht, Reiseplanung in Korrelation zu den Anforderungen der vier Schiffstypen, wobei man zusätzlich darauf achtet, Personen in unterschiedlichen Farben en passant mit einzusammeln. Der Glücksfaktor hängt mit den Startorten zusammen, da man nur zwei Ziehversuche hat. Die jeweilige Steinauswahl vor Ort, geschieht ebenfalls zufällig. Stimmen nur wenige Wissensfarben mit den besuchten Orten überein, fällt der Reiseertrag niedrig aus. Da sollte man dann manchmal die getroffenen Personen als Joker zur Hilfe heranziehen. Langfristige Planung ist nur bedingt möglich, da sich die Ortsschalen immer wieder leeren und verändern.
Reisen und Entdecken auf Humboldts Spuren läuft letzten Endes sehr schematisch ab. Atmosphärisch fühle ich mich nicht ins frühe 19. Jahrhundert versetzt und fahre mit dem Forscher in einer Piroge auf dem Orinoco oder erklimme mit ihm und Bonpland den Chimborazo. Letztlich bin ich nur an Farbsammlungen zur Punktgewinnung über Schiffe und Personen interessiert. Das ist spielerisch ordentlich umgesetzt. Wer mich aber vor die Alternative stellt Humboldt oder dem Venezianer Polo zu folgen, dann gefällt mir der Reiseentwurf der italienischen Kollegen Luciani und Tascini meilenweit besser.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: HUMBOLDT'S GREAT VOYAGE
Autoren: Remo Conzadori, Nestore Mangone
Grafik/Design: Dennis Lohausen
Verlag: HUCH!
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 – 4
Spielzeit: 30 - 60 Minuten
Preis: ca. 29 Euro
Spiel 85/2019