Alle sehen weg
Flüchtlingsheime, die brennen, Erpressung, Vergewaltigung auf den Flüchtlingsrouten, Behörden, die sich abschotten, die wegsehen oder die Hand aufhalten. Die irritierenden Bilder, die der 39jährige Mexikaner Antonio Ortuño in seinem vierten Roman, „Die Verbrannten“, entwirft, sind erschreckend real. So als ob er eine Dystopie von Europas Zukunft entwerfe. Dabei ist sein Buch 2013 erschienen und spiegelt das Schicksal von in Mexiko gestrandeten lateinamerikanischen Flüchtlingen auf dem Weg in die USA wider.
Brutaler könnte der Einstieg nicht sein. Das Flüchtlingsheim einer heruntergekommenen Kleinstadt im Süden Mexikos wird niedergebrannt. Die meisten Bewohner des Hauses kommen elendig um, da die Verbrecherbande, die Motow-Coctails durch die Fenster wirft, alle Türen verrammelt hat. Nur halbherzig verspricht die Nationalkommission für Migration Aufklärung, haben ihre Angestellten doch zum Zeitpunkt der Tat alle gefeiert.
Ortuño entwirft im Wechselspiel unterschiedlicher Erzählperspektiven die Facetten und Auswirkungen dieser Tat. Da ist die alleinerziehende Sozialarbeiterin Irma, die bei der Untersuchung helfen soll und sich und ihre Tochter plötzlich selbst bedroht sieht. Da ist die 22-jährige Yein aus El Salvador, die dem Flammenhorror entkommen konnte, die dort aber ihren Mann verlor. Ihr Schicksal steht sinnbildhaft für viele Flüchtende. Da sind offizielle Stimmen, im Chor obendrein Betrachtungen von Irmas Mann, der sich, zwar fern der Kleinstadt, auch schuldig macht.
Das Buch ist äußerst brutal, kompromisslos in der Darstellung mexikanischer Realität, das ist nicht jedermanns Sache. Ich konnte die 204 Seiten aber nicht aus der Hand legen. Völlig zurecht steht es seit Monaten auf der Krimi- Bestenliste der Zeit, dort treffend charakterisiert: „Zum Kotzen realistisch!”
Wertung: ****
Titel: Die Verbrannten
Verlag: Antje Kunstmann
Autor: Antonio Ortuño
Seiten: 204 Seiten
Preis: 19,95 Euro