Sonntag, 28. März 2021
ALI BABA
SAMMELSURIUM
Pelikan Kleine Reihe: ALI BABA
Die bei Spielesammlern bekanntesten Spiele aus dem Pelikan Verlag sind die Buchkassetten, die zwischen 1974 und 1976 herausgegeben wurden. Zeitgleich erschien eine Kleine Reihe bei Pelikan, die hauptsächlich Kinderspiele umfasste, durchaus aber Anspruch besaß.
Die ursprünglich nur für Tinten und Farben bekannte Firma aus Hannover mit dem Wappentier Pelikan, war ab den 30er Jahren die wesentliche Firma in Deutschland für Füllfederhalter. Die Erfolge führten in den 70er Jahren zu einer großen Erweiterung der Produktpalette. Neben Spielen kamen Drucker, Projektoren, sogar Kosmetik ins Sortiment der Firma. TKKG wurde von Pelikan ursprünglich entwickelt. Die Expansion ließ die inzwischen von der GmbH zur AG gewordene Firma straucheln. 1984 wurde sie von der Condorpart AG in der Schweiz übernommen, die die Spieleproduktion nicht fortführte. Inzwischen gehört Pelikan dem malaysischen Unternehmen Goodace, das nunmehr als Pelikan International Corporation Berhad firmiert.
Pelikan griff in der Kleinen Reihe kaum auf Spieleautoren zurück, viele Ideen waren Varianten klassischer Spiele oder direkt Klassiker wie die Schachtel mit DAME und MÜHLE. Eine Ausnahme stellt ALI BABA dar, eine Idee von Alex Randolph, der sich allerdings auch an der alten Idee von SCHNICK, SCHNACK, SCHNUCK orientiert.
ALI BABA
Viel Holz ist im Kasten. Jeder der bis zu vier Spieler verfügt über einen Offizier, einen Räuber und eine Dame. Alle stehen vor einer Brücke und wollen ans andere Ufer, das machen sie würfelnd, schicken sich dabei aber gegenseitig nach dem von SCHNICK, SCHNACK, SCHNUCK-Muster wieder zurück. Das gilt für die drei Figuren nach dem Prinzip, dass der Offizier den Räuber fängt, der die Dame und die wiederum den Offizier. Umgekehrt hat es keine Konsequenz. Wenn also die Dame auf ein oder zwei Offiziere trifft und noch ein Räuber auf dieser Brückenplanke steht, schickt sie nur die Offiziere zum Uferrand zurück.
Wer es als erster schafft, die sieben Schritte mit allen seinen Figuren zum anderen Ufer zu gehen, gewinnt ALI BABA nach schnellen 15 Minuten.
Im Spiel zu zweit kommt man sich bei diesem Brückenduell kaum in die Quere. Der Würfel mit seiner Verteilung (0,1,1,2,2,3) sorgt für einen hohen Zufallsfaktor. Einen gewissen Reiz entwickelt ALI BABA erst mit drei und vier Spielern. Der ganz große Wurf von Alex Randolph war das nicht, es wirkt eher wie eine klassische Auftragsarbeit, bei der der große Meister, der er 1974 durchaus schon war, eine Klassiker-Variante für ein Kinderspiel-Programm abliefern sollte.
Die großen Holzfiguren waren durchaus nicht selbstverständlich für die 70er Jahre. Das Material ist fast noch das Beste am ganzen Spiel. Pelikan hat Randolphs Idee übrigens nicht nur in der kleinen Spielschachtel herausgebracht, sondern auch im ganz großen Format (39x29x3 cm). Die Figuren sind in beiden Fassungen identisch, das sorgt für viel Luft in der großen Verpackung, deren Regel zusätzlich für Verzweiflung sorgt. In dieser Fassung muss das rettende Ufer wurfgenau erreicht werden. Wer nur noch eine Planke vor sich hat, muss exakt eine „2“ würfeln, um ans Ufer zu kommen. Das verzögert den Ausgang ungemein und vergrößert den Glücksfaktor.
Titel: ALI BABA
Autor: Alex Randolph
Grafik: o.A.
Verlag: Pelikan
Spielerzahl: 2 - 4
Alter: ab 6 Jahren
Spieldauer: ca. 15-20 Minuten
Preis: ca. 20.- DM
Wertung: Nächsten Monat wieder
Sammelsurium 13 - S13/2021
Freitag, 26. März 2021
SQUEEKY
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
SQUEEKY
Die Zutaten sind stimmig: Eine gute Mischung aus Würfelglück, Taktik und Strategie, dazu ein bisschen Bluff. Ein Spiel, das funktioniert! Aber ein Spiel ohne spielerischen Reiz. Der Funkenschlag zur Zielgruppe findet nicht statt.
Woran liegt’s? Noch mal, die spieltechnischen Planungsvorgaben stimmen. Sogar das Spielthema scheint gut gewählt. Nichts war im letzten Jahr im Kinderspielsektor erfolgreicher als Mäuse auf Käsejagd (VIVA TOPO, „Kinderspiel des Jahres“; MAX MÄUSESCHRECK, auf der Auswahlliste 2003). Diesem Trend folgt SQUEEKY von Winning Moves, „ein turbulentes Mäuserennen um das größte Käsestück“, wie es im Untertitel heißt. Das Spielmaterial, 42 kleine Holzmäuse, ist in Ordnung. Hält natürlich nicht mit den Selecta-Mäusen mit, ganz standfest sind sie im Übrigen beide nicht. Die quadratische Spielschachtel enthält nicht allzu viel Luft. Die comicartige Schachtelgrafik, in käsegelb gehalten, ist peppig. Die zweiseitige Spielregel ist klar, grafisch gut aufbereitet. Der Spielplan ist stabil, für Sechsjährige aber sehr unübersichtlich. Da haben wir die erste Hürde, die Vorschulkinder und Erstklässler nicht so einfach überwinden.
Sie finden auch kaum Zugang zu dem Spiel, das möglicher Weise zu anspruchsvoll für sie ist. Jeder Spieler, maximal sechs dürfen es sein, führt eine Mäusefamilie mit Werten von 1 bis 7. Die Mäusepunkte befinden sich auf der Unterseite der kleinen Holztiere, so dass den Mitspielern die Wertigkeiten verborgen bleiben. Jede Mausfamilie besitzt eine eigene Startbahn, über die sie sich, von anderen unbehelligt, würfelnd einem Stuhl nähern, der für alle Mäuse das gemeinsame Sprungbrett auf den Küchentisch bedeutet. Dort führt eine spiralförmig angelegte Laufbahn zum Käse. Nur auf dem Stuhl und auf den Feldern des Tisches findet ein Verdrängungswettbewerb statt, dort fangen sich die Mäuse gegenseitig. Am Ende zählen gefangene eigene Mäuse, die zum Käse gelangt sind, ihre jeweilige Punktzahl, gefangene gegnerische Mäuse bringen zusätzlich einen Punkt pro Maus. Hat man eigene Mäuse verloren, wird deren Wert vom Gesamtergebnis abgezogen. Ganz schön kompliziert für die Kleinen diese Rechenarbeit am Ende.
Das Spiel ist scheinbar einfach, bedarf aber vieler strategischer Vorüberlegungen. Wo platziere ich meine wertvollen Mäuse? Wie entscheide ich mich beim Vorwärtsgehen für die richtige Maus? Erschwerend kommt hinzu, dass mit zwei Würfeln gewürfelt wird, ein üblicher Sechserwürfel und einer mit den Werten 0 bis 5. Das bedeutet, dass in der Regel pro Zug zwei Mäuse gesetzt werden müssen. Derjenige, der als erster den Sprung auf Stuhl und Tisch wagt, ist meist ganz schnell gefangen, was für die meisten Verfolger ebenfalls gilt. Das ist das Frustrierende für die jüngeren Kinder, wenn eine Maus nach der anderen auf der Strecke bleibt und manchmal sogar am Ende Minusergebnisse in der Spielbilanz stehen. Im Gegensatz zu VIVA TOPO, wo nur die Katze wenige Mäuse fängt und immer ein Hintertürchen zu kleineren Käsestücken offen bleibt, ist die Rangelei der Mäuse untereinander in SQEEKY ganz schön brutal für die Kleinen.
Mit SCHATZ DER DRACHEN und SQEEKY wendet sich Winning Moves der für sie neuen Zielgruppe Kinder zu. Der Einstieg mit dem Mäusespiel muss als misslungen bezeichnet werden. Die Spielidee von Rosanna Leocata und Gaetano Evola gehört eindeutig in die Familienspielecke für Kinder und Erwachsene ab acht Jahren aufwärts. So angesiedelt, besitzt es die ordentlichen Qualitäten von Spielen á la GOUDA GOUDA. Für jüngere Kinder ist das Spiel eine Zumutung: Sie haben Probleme mit dem Spielplan. Mit der Abrechnung am Ende sind sie überfordert. Der Frust über den ständigen Mäuseverlust ist riesig und außerdem zieht sich in voller Besetzung das Spiel weit über die angegebenen 20 Minuten dahin, so dass ein Spielabbruch fast vorprogrammiert ist.
Titel: SQUEEKY
Autoren: Rosanna Leocata und Gaetano Evola
Grafik: Rolf Vogt
Verlag: Winning Moves
Spieler: 2 bis 6
Alter: ab 6 Jahren
Spieldauer: mindestens 20 Minuten
Preis: ca. 13 Euro
Spiel 24/2003 R59/2021
Die Rezension erschien 2003 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Gaetano Evola und Rosanna Leocata haben beide nur zwei Spiele entwickelt. Neben SQUEEKY ist noch TERRA NOVA 2005 ebenfalls bei Winning Moves erschienen.
Dienstag, 16. März 2021
NERO
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
NERO
Otho klingt nach Versandhaus, Galba nach neuer Eissorte und Vitellius nach Mineralwasser, deshalb prangt in Schachtelbreite der Titel NERO über dem neuen Phalanx-Spiel. Erst der Untertitel, „Vermächtnis eines Tyrannen“, verweist auf den historischen Kontext, in dem sich das strategische Brettspiel von Alexander S. Berg bewegt. Der von Seneca erzogene Nero trat 68 von der politischen Bühne ab. Seine Nachfolgeregelung ist als Vierkaiserjahr in die Geschichte eingegangen und lief zwischen 68 und 69 ab. Spielerisch müssen Sie sich auf zwei Stunden Machtgeplänkel einstellen.
Das Ambiente ist stimmig. Franz Vohwinkels Grafik trägt dazu bei. Sein Spielecover, in blutiges Rot getaucht, führt Schlachtgetümmel vor dem brennenden Colosseum vor (historisch zwar zweifelhaft, da von Vespasian, dem historischen Gewinner der Auseinandersetzung, erst später erbaut), eine Büste Neros greift den Spieltitel wieder auf. Ein großer Spielplan mit Wertungsleiste, viele stabile und nicht zu kleine Pappcounter, große Holzzylinder zur Spielstandanzeige, stabile Pappsteller für die Anwärter der Macht, alles solide und viel versprechend gemacht, so dass nach ausführlichem Regelstudium (16 Seiten) die Erwartungshaltung hoch ist.
Die Ausgangslage ist für alle vier Feldherren identisch. Sie besitzen jeweils ein großes Gebiet des römischen Imperiums mit fünf Provinzen. Herrschaftsfrei sind zu Spielbeginn Italien, das in zwei Provinzen eingeteilt ist, und die Hauptstadt Rom. Die Spieler starten mit sieben Legionen, die am Anfang in den fünf Provinzen platziert werden, außerdem wird in eine dieser Provinzen, die jeweils gewählte Spielfigur, also Otho, Galba, Vitellius oder Vespasian, gestellt, die zu diesem Zeitpunkt den Rang eines Generals innehat. Das Spiel wird gesteuert durch den Einsatz von Spielkarten, von denen jeder zehn erhält. Maximal vier dieser Karten dürfen in einem Spielzug gespielt werden. Sobald alle Spieler ihre Karten ausgespielt haben, endet eine Spielrunde, drei Monate sollen nun vergangen sein. NERO endet meist erst nach einem Spieljahr, d.h. nach vier Runden, wer dann am meisten Siegpunkte hat, ist Nachfolger Neros. Ein Sieg während des Spiels tritt dann ein, wenn es ein Spieler schafft, alle vier Regionen zu kontrollieren, oder wenn er seinen General zum Herrscher gemacht hat und drei Regionen kontrolliert. In der Regel sind die Siegpunkte wichtig, die am Ende jeder Runde verteilt werden. Sollte es einen Herrscher geben, erhält er 5 Punkte, zwei Zusatzpunkte, wenn er sich gleichzeitig in Rom aufhält. Zwei Punkte erhält jeder für jede kontrollierte Region, einen Punkt für jede Provinz Italiens. In der vierten Wertung am Ende gibt es 8 statt 5 Punkte für den Herrscher und 3 Punkte für die Regionen.
Wie wird man nun vom General zum Herrscher? `Wie erobert man fremde Provinzen und Regionen? Entscheidend ist der Karteneinsatz, der wohl überlegt sein muss. Da mindestens eine Karte pro Zug gespielt wird, andererseits aber auch bis zu vier gespielt werden können, ist die Terminierung des Karteneinsatzes von großer Bedeutung. Die Spielkarten haben unterschiedliche Funktionen: Jede Karte kann zur Bewegung (2-8 Felder) von Legionen benutzt werden, dabei ist es gleichgültig, ob eine Legion oder ein Stapel bewegt wird; die Regel spricht dann von Armeen, die Kosten pro Feld sind identisch. Ein zweiter Wert der Karten verweist auf Kampfpunkte (1 bis 4), die zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benötigt werden. Alle Karten können aber auch für Ereignisse benutzt werden, die von mehr oder weniger großer Bedeutung für den Spielverlauf sind. Es gilt also immer zwischen Bewegung, Kampf und eventuellem Ereigniseinsatz abzuwägen, all das stets verbunden mit Blick auf die Kartenzahl der Mitspieler.
Für die Eroberung einer fremden Provinz muss ein Angreifer mit einer Legion oder Armee in diese Provinz ziehen. Ein Angriff auf dort stationierte Truppen kostet einen zusätzlichen Bewegungspunkt. Jede Legion zählt einen Kampfpunkt, der verstärkt werden kann durch einen begleitenden Herrscher. Zusätzlich dürfen Karten gespielt werden. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass die Maximalzahl von vier Karten nicht überschritten wird. Der Angegriffene darf sich natürlich außer der Reihe wehren, dazu kann er bis zu drei Karten ausspielen. Das macht deshalb Sinn, weil der Sieger eine Legion des Verlierers in eine eigene umwandeln darf. Nur so lassen sich eigene Truppen vergrößern. Die Anzahl der Legionen bleibt stets gleich, die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Feldherren ändert sich aber durch die Angriffe. Sieben Legionen sind aber ein nicht allzu großes Startkapital, deshalb spielt der Schutz der eigenen Soldaten eine wichtige Rolle.
Für die Übernahme der Herrschaft müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Viele Wege führen nach Rom, drei führen im Spiel zur Herrschaft, wobei der Weg nach Rom auch von Bedeutung ist. Herrscher kann man nämlich durch Deklaration in Rom werden, dazu muss der eigene General sich in der Metropole befinden, außerdem benötigt man fünf sogenannte Deklarationspunkte (DP). Zwei besitzt man für jedes Gebiet, das man kontrolliert. Mehrheiten in den Provinzen Italiens sorgen ebenfalls für DPs. Ereigniskarten, wie die des Senatseinflusses oder die Prätorianer-Karte, bringen ebenfalls Punkte. Das Ausrufen des Herrschers durch eine Legion ist der zweite Weg, der zweistufig abläuft. Auf der ersten Stufe muss eine „Ave Caesar“-Karte gespielt werden und der General sich mit mindestens einer Legion in der Heimatregion des Spielers aufhalten. Dadurch wird der General zum Anwärter. Herrscher wird er, indem er nach Rom zieht und dort zu Beginn einer Spielrunde sich aufhält. Ein Herrscherwechsel tritt natürlich auch dann ein, wenn er eine Schlacht gegen einen anderen General oder Anwärter verliert. Herrscher, es können sogar zwei gleichzeitig sein, leben gefährlich, vor allem wenn sie sich in Rom aufhalten. Unter den Ereignissen befinden sich vier Meuchelmörderkarten, die gegen Herrscher in der Hauptstadt gespielt werden können. Ganz perfide ist die Kombination „Krise in Rom“ (nur einmal vorhanden) und „Meuchelmörder“. Die Krisenkarte beordert einen Herrscher in die Metropole, wo er sich sofortigen Angriffen stellen muss. Schutz bietet eine Prätorianerkarte, wobei auch deren Funktion durch andere Karten aufgehoben wird.
Soweit in Kürze die Beschreibung der wesentlichen Elemente des Spiels. Alles wirkt sinnvoll verwoben, klingt interessant, vielschichtig, spielt es sich auch so? Leider nein. Spätestens nach den ersten beiden Spielen führt die Spielmechanik zu einer durchaus historischen Strategie, die den Römern im Zweiten Punischen Krieg den Sieg über die Karthager gebracht hat. Fabius Maximus, der den Beinnamen „Cunctator“ (Zögerer) erhielt, verfolgte eine Ermattungsstrategie, indem er Schlachten aus dem Weg ging. Das, was historisch erfolgreich war, führt zur spielerischen Langeweile. Der Mutige wird bestraft, der Zögernde belohnt. Da das Haushalten mit den Karten wichtig ist, erhält auch das punktesparende Bewegen mehrerer Legionen eine große Bedeutung. So werden die Legionen schnell zu großen Armeen zusammengeführt. Das machen alle, da das Zurücklassen einzelner Legionen sofort zum Schlucken durch einen großen Moloch führt. Legionsverlust mit dem Vorteil für den Sieger ist bitter und oft ein spielentscheidender Nachteil. So zögerlich, wie mit den Angriffen umgegangen wird, erfolgt das Ausspielen der Karten. Auch hier muss man darauf achten, nicht ins Hintertreffen zu geraten. So werden ganz oft nur einzelne Karten ausgespielt, die am Anfang der Sammlung dienen und danach dem taktierenden Heranschleichen an Italien. Die Entscheidung ist letztlich sehr zufällig und hängt vom Besitz bestimmter Karten ab. Wenn ich einen Gegner schwächen kann, dann gelingt das mit der Aufruhr-Karte, die ihn zwingt, zwei seiner Legionen in einer Heimatprovinz zu stationieren. Hier ist er plötzlich angreifbar, alles natürlich nur in den letzten Kartenzügen. Sehr stark ist auch die Karte „Verräter“, da mit ihr einem Gegenspieler eine Karte weggenommen wird.
Inzwischen sind eine Menge Vorschläge gemacht worden, die NERO retten könnten. Auf der Forums-Seite von Phalanx gibt es eine sinnvolle Variante, die die Bewegung von Armeetürmen verteuert. Danach kostet es eine Armee, die ein bis drei Legionen umfasst, einen Bewegungspunkt pro Legion, um sich in eine benachbarte Provinz zu bewegen. Größere Armeen kostet es gar zwei bzw. drei Punkte pro Legion. Gute Erfahrungen haben wir auch mit der auf spielbox-online vorgestellten Bonusregel bei der Kartenvergabe für die nächste Runde gemacht. Jeder erhält danach nur sieben Karten, für jeweils zwei weitere Provinzen gibt es eine Karte zusätzlich. Beides kombiniert, macht aus NERO ein offeneres Strategiespiel, das die Erwartungen, die es weckt, auch erfüllt. Das Resümee bleibt aber doch gespalten. Der jetzige NERO-Käufer erwirbt die Cunctator-Fassung, mit der wahrscheinlich nicht oft gespielt werden wird. Erst intensive Internetnutzung kann zur Aufwertung des Spiels beitragen. Ist das für den Endverbraucher zumutbar? Ich denke, nein! Offizielle Ergänzungsregeln müssen dringend her, damit das Spiel die Verbreitung bekommt, die es verdient.
Wieland Herold
Titel: NERO
Verlag: Phalanx
Autor: Alexander S. Berg
Spieler: 3 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: ca. 120 Minuten
Preis: ca. 40 Euro
Spiel 19/2003 R51/2021
Die Rezension erschien 2003 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 5 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Nach BGG ist Alexander S. Berg ein Pseudonym des bekannten Wargame-Designers Richard Harvey Berg (1943-2019), der auch als Papst des Wargaming bezeichnet wird. Von ihm stammt eine frühe Bearbeitung des Ringkriegs (WAR OF THE RING, 1977) und eine ganze Serie zum amerikanischen Bürgerkrieg (GREAT BATTLES OF THE AMERICAN CIVIL WAR). BGG verzeichnet fast 200 Spiele. Unter Pseudonym erschienen noch BORGIA und WATERLOO bei Phalanx games.
Dienstag, 2. März 2021
GRUFTMEISTER
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
GRUFTMEISTER
Vor noch nicht einmal einem Jahr war der Hanauer Druckereibesitzer Kemal Yun im Brettspielbereich völlig unbekannt, erst seit Mai 2003 macht er auf sich aufmerksam, nur spielbegeisterte Atari- und Mac-Besitzer kannten den 34-jährigen schon lange als versierten Programmierer unter dem Namen Kemal Ezcan, der vor 21 Jahren sein Taschengeld mit Programmen für den Atari 400 aufbesserte. Seitdem sind viele Spiele für Atari und jetzt auch für Mac-Rechner von ihm entwickelt worden. Die Bekanntheit, die er sich in der Computerspielszene erworben hat, wünscht er nun im Brettspielbereich zu erlangen. Seit Anfang 2003 entwickelt er Ideen für Brettspiele. Direkter Auslöser für das erste Spiel war Yuns persönliche Kritik an Fantasy Klassikern der frühen 80er, so am HEXENMEISTER VOM FLAMMENDEN BERG und am DRACHENLABYRINTH. Spiele, die ihm zu glücksabhängig waren. „Das kann ich besser“, meinte er vollmundig und entwickelte das Spiel GRUFTMEISTER. Volker Schwägerl, der 2002 für das Kartenspiel MÖMMEN den Spielverlag DIE WUSELMÄUSE gründete, lernte das Fantasyabenteuer im Frühjahr 2003 kennen und versprach Yun, es als erstes großes Spiel im Rahmen seines Kleinverlages herauszubringen, was er in Rekordzeit bis Mai 2003 auch umsetzte.
GRUFTMEISTER ist ein familientaugliches Dungeon-Spiel, das nicht zu komplex ist und auch nicht ewig dauert. 12 rechteckige Spielplanteile können beliebig zu einem 3x4 Felder großen Gruftplan ausgelegt werden. Jeder der zwei bis vier Spieler erhält zwei Spielfiguren (einfache Holzpöppel), einen großen Gruftmeister und seinen kleinen Gruftknecht, außerdem einen Monsterstein und eine Spielerkarte, die der Besitzstandsanzeige dient und mit drei Herzen und einem Schlüssel als Startkapital ausgestattet ist. Auf den Spielplan werden recht aufwändig noch knapp 120 Plättchen mit Schlössern, Särgen, Kisten und Türen abgelegt. Es geht darum fünf Schätze zu finden, die in den Särgen versteckt sind. Diese müssen in eine Startzone, die für jeden Spieler festgelegt ist, gebracht werden, außerdem müssen am Ende Gruftmeister und –knecht auf diesem Feld stehen.
Yun verzichtet in seinem Spiel GRUFTMEISTER auf Würfelabhängigkeit. Jede Spielfigur darf bis zu fünf Feldern pro Zug ziehen, Aktionen werden zwischendurch abgewickelt, sie beenden den Zug eines Spielers nicht. Die große Spielfigur kann Türen, Kisten, Schlösser und Särge öffnen, Gegenstände aufheben und Monster bekämpfen. Der Gruftknecht hat eine rein tragende Rolle, er darf maximal zwei Gegenstände von seinem Meister übernehmen, um ihm Tragelast abzunehmen bzw. Schätze in Sicherheit zu bringen. Das Spiel besteht weitgehend aus dem Einsammeln von Gegenständen und Schätzen. Wandert ein Gruftmeister auf eines der 28 Kistenfelder, erhält er Ausrüstungsgegenstände, Waffen, Rüstungsteile, Werkzeuge oder Schlüssel. Durch ein knappes Drittel der Türen gelangt man nur mit einem Schlüssel oder einem passenden Werkzeug. Die Waffen werden benötigt, um Monster zu bekämpfen, die die Särge bewachen. Rüstungen schützen zusätzlich vor dem Verlust von Schadenspunkten. Das Duell ist ein Schüttelvorgang, ein Monsterplättchen und vorhandene Waffen und Rüstungen, maximal jeweils zwei, werden in beide Hände genommen, geschüttelt und fallen gelassen. Mit jeweils 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit fügt das Monster dem Angreifer einen Schadenspunkt zu, der durch Rüstungen abgewehrt werden kann. Das Monster stirbt, sobald eine Waffe sichtbar ausliegt. Sollte der seltene Fall eintreten, dass ein Spieler seine drei Lebenspunkte verliert, bleiben seine erworbenen Schätze und Ausrüstungen im Sarg und er beginnt mit neuen Lebenspunkten von seinem Startfeld. Wenn dies zwischendurch aufgesucht wird, dient es auch als Auftankstation für die Herzen.
YUN sieht neben den Sammelaktivitäten und kleinen Gefechten überhaupt nichts an Interaktion zwischen den Spielern vor. Er hat wohl seinen Atari-Spieler vor Augen, der allein durch die Gänge rast und sammelt und sammelt und kämpft und kämpft. Man kann den anderen nichts abjagen, steht sogar ganz friedlich auf gleichen Feldern herum. Eine wirkliche Gefährdung besteht zu keiner Zeit. Das gilt auch für die Knechte, nicht einmal die beharken sich gegenseitig oder dürfen von einem Großmeister auseinandergenommen werden. Ein bisschen Taktik kommt durch die Rucksack-Logistik ins Spiel, da der Gruftmeister nur fünf Gegenstände tragen darf und sein Knecht zwei. Auf der Spielerkarte steht zwar missverständlich „5 Steine“, was sich gut nur auf die Schätze beziehen ließe, die Spielregel macht aber deutlich, dass alle Gegenstände einbezogen sind. Für die Kämpfe ist es sinnvoll möglichst eine Waffe und eine Rüstung zu haben, dann braucht man auch noch Axt oder Stemmeisen und Schlüssel als Türöffner und dann natürlich die Schätze. Für ein gewisses Auslagern am Anfang, um sich gut auszurüsten, und dann vor allem für den Schatztransport ist der Gruftknecht sehr hilfreich.
GRUFTMEISTER genügt den hohen Ansprüchen des Autors keineswegs. Da helfen auch nicht die vielen Spielvarianten, die die Regel anbietet. Yuns Erstling wirkt nicht ganz ausgereift, etwas mehr Entwicklungszeit hätte dem Spiel sicher gut getan, denn durchaus interessante Ansätze sind erkennbar. Das Material ist weitgehend akzeptabel, stabile Spielplanteile und Kärtchen, mit einer auf das notwendige reduzierten Computergrafik, auch die Regel ist in Ordnung. Die Pappcounter kann man für 9 Euro inzwischen auch gegen stabile Holzsteine austauschen, oder gleich GRUFTMEISTER DELUXE erwerben. Der Autor gesteht selbstkritisch, dass sein im Herbst 2003 erschienenes Spiel DAS SCHLOSS erst das Spiel sei, das GRUFTMEISTER ursprünglich werden sollte.
Wieland Herold
Titel: GRUFTMEISTER
Autor: Kemal Yun (www.yungames.de)
Verlag: Spieleverlag Die Wuselmäuse (www.diewuselmaeuse.de)
Spieler: 2 bis 4
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: ca. 60 Minuten
Preis: ca. 22 Euro (in der Deluxe-Fassung 29 Euro)
Spiel 12/2003 R43/2021
Die Rezension erschien 2003 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Nach der Zusammenarbeit mit Volker Schwägerl gründete Kemal Yun den Verlag Yun Games und brachte in den Folgejahren bis 2008 gut ein Dutzend Spiele heraus.
Inzwischen heißt er nicht mehr Yun, sondern dank Heirat Zhang. Er agiert unter Yoda’s Spiele Manufaktur immer noch von Hanau aus. Hier bietet er Entwicklungsunterstützung und Produktion von Kleinauflagen an. Seine Kompetenz preist er dort wie folgt an: Er sei „Spieleentwickler mit Leidenschaft, Musik Produzent, Firmengründer und Life Coach. Bereits im Alter von 13 Jahren schreibt er Spiele für Atari Computer, kurz darauf gründet er seine eigene Firma für Computerspiele. Später folgt eine eigene Zeitschrift, Print-Service, Musik Veröffentlichungen, Brettspiele und ein Escape Room Center.“
Erreichbar ist diese neue Seite immer noch unter www.yungames.de.
Das Bild zeigt ihn 2003 in Göttingen.
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