Mittwoch, 27. Mai 2015
MORD AM POLARKREIS
Langezogen wie Polarnächte
Lars Pettersson verbringt jeden Winter im Lande der Samen, in Kautokeino, im Norden Norwegens. Dort spielt auch sein zweiter Roman „Mord am Polarkreis“. Seine Hauptfigur, die Staatsanwältin Anna Magnusson, verkörpert eindrucksvoll die Zerrissenheit der Region. Einerseits ist sie exzellente Juristin, anderseits will sie nicht wie ihre Mutter ihre samischen Wurzeln verleugnen. Einen wichtigen Teil ihrer Zeit opfert sie ihrer samischen Verwandtschaft und der Rentierzucht.
Petterssons Stärke liegt in seinen Schilderungen der Probleme des indigenen Volks der Samen, die unabhängig von den nationalen Grenzen den Norden ganz Skandinaviens bis zu den Küsten der Barentssee besiedeln, die überwiegende Mehrheit allerdings in Norwegen. Wir erleben ihre Hochzeiten, ihre Beerdigungen, ihre Arbeit mit den Rentieren. Der Leser wird aber auch über die Bedrohungen ihres Weidelands informiert, da Bergbaufirmen alte Schürfrechte wieder aufleben lassen wollen. Davon ist auch Annas samische Familie bedroht.
Bis sich aus diesen Umfeldschilderungen ein Kriminalfall entwickelt, dauert es etwas. Das anfängliche Geplänkel, wenn stellvertretende Bürgermeister im Müllcontainer landen, nur weil sie das Geld des Bergbauunternehmens für die Gemeinde haben wollen, ist nur amüsant.
Spannung kommt erst auf, als ein Staatssekretär erschossen in seinem Auto gefunden wird. Der Täter soll ein Scharfschütze gewesen sein und davon gibt es nur zwei in der Region, ein Cousin Annas, der gerade geheiratet hat und dessen Freund, der ihn aus Afghanistan kennt. Langatmig werden die Zuständigkeitsprobleme zwischen Norwegen und Schweden bei der Ermittlung dargelegt, es dauert auch, bis deutlich wird, dass der Staatssekretär nicht nur die Bergbaufirma unterstützen wollte, sondern auch sonst eine Menge Dreck am Stecken hat. Für einen spannenden Krimi ist mir das zu wenig. Der kulturgeschichtliche Einblick in das Leben der Samen entschädigt etwas, aber das reicht auf die Dauer nicht. Irgendwo bleibt das Ganze langezogen wie die Polarnächte in Kautokeino.
Wertung: ***
Titel: Mord am Polarkreis
Verlag: Lübbe
Autor: Lars Pettersson
Seiten: 491 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Donnerstag, 21. Mai 2015
Tod zwischen den Zeilen
Plätschert so dahin ...
wie das Lagunenwasser in Venedig, wenn nicht gerade Hochwasser ist. Der dreiundzwanzigste Fall von Commissario Brunetti wird routiniert abgespult. Donna Leon erzählt unaufgeregt von Bücherdiebstählen. In der alten Biblioteca Merula, die Brunetti noch aus seinen Studienzeiten kennt, fehlen Seiten aus wertvollen Druckwerken von Reisebeschreibungen des frühen 16. und zum Teil auch 15. Jahrhunderts.
Verdächtigt wird ein amerikanischer Wissenschaftler, der untergetaucht scheint. Alteingesessene Adelsfamilien tauchen als Spender auf, Brunetti greift bei seinen Untersuchungen auf sein familiäres Umfeld, auf seine Schwiegereltern zurück. Contessa Morosini-Albani geht dort ein und aus. Ein Teil ihrer wertvollen Bücherspenden ist ebenfalls aus der Biblioteca Merula verschwunden.
Wenn jemand wirklich etwas über das Heraustrennen von Seiten und das Verschwinden der Bücher weiß, dann sicherlich ein ehemaligen Priester, Aldo Franchini, der ständiger Gast in der Bibliothek ist und sich dort intensiv mit den Schriften des Kirchenvaters Tertullian beschäftigt. Erst als seine Leiche entdeckt wird, nimmt Leons neuester Roman etwas Fahrt auf. „Ein Dieb und Erpresser, ein Lügner und Betrüger“ soll er gewesen sein, behauptet sein Bruder. Ein Verführer obendrein und wohl auch einst ein guter Lateinlehrer. Die Lösung des Falls gelingt dann eher en passant, hier schimmert die übliche sozialkritische Ader der Autorin durch.
Nichts Neues aus Venedig. „Tod zwischen den Zeilen“ liest sich flüssig wie immer, durchaus auch unterhaltsam, Spannung kommt aber gar nicht auf, alles zieht sich auf den 288 Seiten eher langatmig dahin. Da freut man sich nur über die bekannten Versatzstücke aus der Questura und der Familie Brunettis.
Wertung: ***
Titel: Tod zwischen den Zeilen
Verlag: Diogenes
Autor: Donna Leon
Seiten: 288 Seiten
Preis: 23,90 Euro
(Seite 1 von 1, insgesamt 2 Einträge)