Freitag, 16. November 2018
Zehnter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Letzter Tag und ich bin immer noch in den 90ern. Dabei soll es auch bleiben, denn Mitte der 90er Jahre möchte ich diesen Rückblick beenden. Wer mehr lesen möchte, den verweise ich auf einen Text auf der Jury-Seite, mit dem ich auf 25 Jahre Preisvergabe mit meiner Beteiligung zurückblicke, der im Sommer nächsten Jahres erscheinen wird. Christoph Post hat angeregt, dass ich diese 10 Tage nicht Facebook überlasse, wo sie irgendwann untergehen, deshalb könnt ihr / können Sie heute schon alle Texte auf meinem Blog.
Mit 80 Spielen war ich damals noch nicht unterwegs. Die Basis für meine Veröffentlichungen hatte sich aber deutlich erweitert. Meine Belegmappe für 1995 mit Rezensionen für die Spielbox, die Spielerei, die Kindergartenzeitschrift klein&groß und die DLZ, die Deutsche Lehrerzeitung, enthielt 47 verschiedene Spielbesprechungen, damit habe ich wahrscheinlich ungefähr die Hälfte der wesentlichen damaligen Neuheiten abgedeckt. Um in die Jury „Spiel des Jahres“ aufgenommen zu werden, reichten Spielbox und Spielerei als Publikationsorgane nicht aus. Von einem Mitglied der Jury wurde in den 90ern erwartet, dass es eine regelmäßige Rubrik in einer Zeitung besaß. Die hatte ich seit 1993 mit monatlichen „Spieltipps“ in der Alfelder Zeitung, die mir dafür meist eine halbe Seite einräumte. In dieser Zeit hatte ich auch sehr aktive Schüler in meiner AG, mit denen ich das Spielemagazin ALEA herausgab. Die Arbeit mit dem Redaktionsteam um Nathanel Busch, Jakob Schmidt, Robert Heine und Hannes Leuschner mit Spielen im Heft, Preisvergleichen und Spielvarianten machte viel Freude. Sie rezensierten kompetent und konnten mehrfach Artikel daraus auch in der Lokalpresse unterbringen. Produktorientiertes Arbeiten mit Schülern schafft immer höchste Zufriedenheit auf beiden Seiten.
Wir bemühten uns auch damals um die Teilnahme an der Deutschen Brettspielmeisterschaft, scheiterten aber oft in der Vorrunde in Hannover. Erfolgreicher waren wir als Familie mit unseren drei Söhnen. Die „Herolde“ waren 1996 wahrscheinlich die Gruppe mit dem jüngsten Teilnehmer. Guntram war damals neun Jahre alt und stellte sich durchaus tapfer Spielen wie ENTDECKER, VEGAS und YUCATA. Das war die legendäre Meisterschaft, bei der es tatsächlich Gruppen gab, die die Rückseiten der ENTDECKER-Karten auswendig gelernt hatten, da man über bestimmte Kennzeichen die Karten identifizieren konnte.
Spielerisch enden soll mein zehnter Tag mit dem Spiel, mit dem die Sonne über blühenden Spielelandschaften aufging. Ein Jahr zuvor wurde ich im Mai 1994 in den Verein „Spiel des Jahres“ aufgenommen, war an der Wahl von MANHATTAN zum Spiel des Jahres aber noch nicht beteiligt. Auf der „Spiel“ in Essen 1994 und der Spielwarenmesse in Nürnberg 1995 fanden meine ersten Sichtungsgänge für die Entscheidung 1995 statt. Meine erste Begegnung mit DIE SIEDLER VON CATAN hatte schon so etwas von einem Erweckungserlebnis. Ich ahnte, das wird es! Danach ist mir das eigentlich nur noch einmal mit AZUL passiert. Nach der Erstbegegnung aus dem Pressetag von Pegasus im September 2017 war mir klar, die Konkurrenz wird es sehr schwer haben.
In gewisser Hinsicht machte Klaus Teuber sich damals selbst Konkurrenz mit den vier neuen Spielen bei Goldsieber. Aber Reiner Müller hatte für CATAN eine Regelkonzeption entworfen, die prägend für die Folgezeit wurde. Ein scheinbar kompliziertes Siedlungsspiel wurde auf einmal familientauglich. Teuber und Müller war es gelungen, aus einem Siedlungsspiel ein kommunikatives Handelsspiel mit geringen logistischen Anforderungen zu machen, bei dem jeder Würfelwurf Spannung erzeugte. Glück, Planung, Verhandlungsgeschick, alles komprimiert auf einer Spielregelseite den Spielern dargebracht, begleitet von einer hilfreichen Startaufstellung und den Zusatzerläuterungen im „Kleinen Siedler-Almanach“. Noch besser konnte man vor zwanzig Jahren ein Spiel gar nicht auf den Weg bringen.
Nominieren für 10 Tage 10 Spiele möchte ich heute unseren damaligen Vorsitzenden der Jury „Spiel des Jahres“ Synes Ernst. Er präsentierte Ende Mai die Auswahlliste der Jury auf dem Autorentreffen in Göttingen. In einer auffordernden Rede ermutigte er Autoren und Redakteure, den Spielern mit anspruchsvolleren Produkten mehr zuzumuten. Synes Ernst versteht es heute wie damals, Akzente zu setzen. Lesenswert ist seine aktuelle Auseinandersetzung mit der Spielekritik im Oktober-Spielraum auf der Juryseite.
Stefan, das war es – danke für diese Herausforderung! Du hast mich dabei zu einer neuen Rubrik auf meiner Seite gebracht, denn es wird weitergehen. Unregelmäßig zwar und nicht mehr chronologisch, aber punktuell mit besonderen Spielen und besonderen Begegnungen mit Spielern und Autoren.
Donnerstag, 15. November 2018
Vorletzter Tag: 10 Tage 10 Spiele
1992 nahm ich erstmalig als Juror beim Hippodice Wettbewerb für Spieleautoren teil. Schon in den Anfangsjahren erwies sich dieser Wettbewerb als wichtiges Sprungbrett für junge Autoren. So war Stefan Dorra gleich zweimal unter den Top-10 und belegte mit der PYRAMIDE DES PHARAOS immerhin den zweiten Platz. Auch Doris Matthäus und Frank Nestel ließen es sich in dieser Zeit nicht nehmen, Spiele einzuschicken. Ihr BANANA REPUBLIC belegte Platz 3, mit dem VERRÜCKTEN BUS landeten sie auf der Auswahlliste. Ebenfalls doppelt vertreten war das Duo Ralf zur Linde und Michael Hageböck, ihr MARINO, das die Finalrunde erreichte, veröffentlichte ein halbes Jahr später VSK in Essen. Günter Cornett schaffte es mit Autoscooter auf den vierten Platz. Uwe Rosenberg, der 1992 mit TIMES bei Salagames vor seiner ersten Veröffentlichung stand, war mit dem deduktiven INDAGO unter den besten Spielen vertreten. Mit dabei auch Heiko Wiese mit WASSERBURG und Martin Schlegel mit TANZ AUF DEM REGENBOGEN, das 1993 als „Spiel im Heft“ in der Zeitschrift Spielerei seine erste von inzwischen 50 Veröffentlichungen wurde. Sogar die Empfehlungsliste war damals interessant, hatten doch die Hippodicler AN DEN UFERN DES NILS von Hanno und Wilfried Kuhn ausgewählt, ein Spiel, das 1994 bei Abacus erschien.
Der Erfolg des Wettbewerbs basiert darauf, dass die Spiele Redakteuren bekannter Verlage vorgestellt werden, die damit den direkten Zugriff auf vorsortierte Spielideen erhalten. Atmosphärisch war das anfangs der 90er Jahre noch besonders spannend, wenn direkt zu beobachten war, wie Stefan Brück (damals F.X. Schmid), Reiner Müller (Kosmos) und Klaus-Dieter Kilz (Ravensburger) direkt beim Gewinner des Wettbewerbs vorstellig werden. Am zweiten Tag waren nämlich alle Autoren eingeladen und konnten direkt zu ihren Ideen befragt werden. Mit der Internationalisierung des Wettbewerbs ließ sich dieses schöne Autoren-Café leider nicht aufrechterhalten.
Mit in der Jury saßen außerdem Ben Leijten (Jumbo), Joe Nikisch (Amigo und Abacus), Peter Gehrmann (Salagames). Jochen Corts (Jury „Spiel des Jahres“) war neben mir als unabhängiger Juror mit dabei. Das Spiel, das wir mit deutlicher Mehrheit damals an die erste Position setzten, war BURGEN AM RHEIN von Reinhard Herbert. Von fast allen Autoren, die sonst noch vertreten waren, hat man danach noch ganz viel bis in unsere Tage hinein gehört, von Herbert leider nichts mehr. Ein Eintagserfolg, der uns damals begeisterte, so sehr, dass wir den Folgetag vor dem Spiele-Café mit Autoren gleich mit einer weiteren Partie BURGEN AM RHEIN starteten. Diese RISIKO-Variante als Ritterkampf um wertvolle Burgen faszinierte uns alle, sodass dem Autor wohl viele Versprechungen danach gemacht worden.
Den Zuschlag hat letztlich Ben Leijten für Jumbo erhalten. Ein Jahr später erschien es als RHEINGOLD, landete auf der Auswahlliste der Jury „Spiel des Jahres“ und erreichte den sechsten Platz beim Deutschen Spielepreis.
Nominieren für 10 Tage 10 Spiele möchte ich heute Karsten Höser, der über zwei Jahrzehnte hinweg mit einem engagierten Team des Hippodice Spieleclubs diesen Wettbewerb organisiert und geprägt hat. Dass ich ihm heute dafür Dank sagen kann, verdanke ich Stefan Gohlisch, der mich zu diesem Rückblick angeregt hat.
Zu den Bildern, deren Qualität zeitbedingt nicht mehr optimal ist:
Bild 1: Autorenrunde u.a. mit Martin Schlegel, Ralf zur Linde, Stefan Dorra, Peter Neugebauer und Uwe Rosenberg
Bild 2: Reiner Müller und Stefan Brück verhandeln mit Reinhard Herbert
Bild 3: Die Jury spielt BURGEN AM RHEIN (von links W.H., Joe Nikisch, Klaus-Dieter Kilz, Stefan Brück, Ben Leijten, Jochen Corts)
Bild 4: Der Autor mit dem Prototyp von BURGEN AM RHEIN
Mittwoch, 14. November 2018
Achter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Kurz vor der Spiel 1989 war ich mit Oberstufenschülern meines Geschichtsleistungskurses Ende September in Prag. Schwerpunkt der Fahrt sollte eigentlich die jüngere deutsche Geschichte sein mit Exkursionen nach Terezín und Lidice, dann erlebten wir aber hautnah ganz aktuelle Geschichte am Zaun der Deutschen Botschaft, dem Palais Lobkowicz. Unvorstellbare Verhältnisse auf einem völlig verschlammten abschüssigen Gelände, 4000 Menschen hatten sich dorthin geflüchtet. Am 29. September waren wir nach einem Besuch der Prager Burg hinter der Botschaft. Meine Schüler halfen Flüchtenden noch über den Zaun. Die Gespräche, die wir dort mit den Menschen hinter dem Zaun führten, erschütterten mich. Irgendwie schloss sich hier der Kreis meiner eigenen Geschichte. Einen Tag später verkündete Hans-Dietrich Genscher mit dem wohl berühmtesten unvollendeten Satz der Wendezeit: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...". Am Sonntag, als wir mit dem Bus unsere Heimreise nach Göttingen antraten, durften die Botschaftsflüchtlinge über die DDR mit dem Zug ausreisen. Da ist es fast banal zu erwähnen, dass die Tschechoslowakei damals schon attraktive Spiele im Angebot der Kaufhäuser hatte. Meine Schüler fuhren mit Hüten nach Hause, ich mit zehn Spielen, darunter Plagiate von HASE UND IGEL und AUF ACHSE.
Die rasante Verlauf der Friedlichen Revolution überraschte uns dann alle, kurz nach der Spiel war am 11. November schon die Mauer offen. Im grenznahen Göttingen stellten wir plötzlich fest, es „riecht nach DDR“. Die Zweitaktmotoren der Trabis hinterließen einen unverkennbaren Geruch. Endlich durfte man die Grenze überqueren, ohne die Rückbank auf der Rückfahrt ausbauen zu müssen. Spiele aus der DDR-Produktion interessierten mich damals wenig, dafür haben wir viele Bücher erworben.
Den ersten Spieleautor aus der ehemaligen DDR lernte ich erst 1991 erst in Göttingen dann in Essen kennen. Wer damals auf der 10. Spiel in Halle 12 kam, fand links vom Eingang den Stand der Holzinsel und hörte dort schon lautes Trommelschlagen und Pfeifen aus Halle 11. In der Diagonalen ging man am Stand der Edition Perlhuhn vorbei, an der Wand am Fairplay-Stand entlang landete man bei Doris und Frank oder noch bei Triangel, da bin ich mir nicht mehr ganz sicher, und dahinter ging in Halle 11 stündlich der Bär ab. Dort war Tramp unterwegs mit … DIE ALTEN RITTERSLEUT.
Hinter dem neuen Verlag aus der DDR stand Michael Sohre aus Kleinmachnow bei Berlin, der als Filmemacher für die DEFA Auftritte verstand. Für die Einführung seines Ritterspieles hatte er die Gruppe Corvus Corax engagiert, die aus selbstgefertigten Instrumenten die ganzen ersten drei Hallen beschallten. Sohre hatte sich vorher noch bemüht, seine Spielidee von Spika produzieren zu lassen, aber der letzte existierende Spieleverlag der DDR stellte im Sommer 1991 seine Arbeit ein, deshalb nahm der kleine agile Brandenburger die Sache selbst in die Hand. Sein erstes Spiel war noch recht nah an ADEL VERPFLICHTET, aber Sohre hatte noch viele weitere Ideen und war als Kunsthandwerker ein Produzent, der Wert auf edle Umsetzungen legte. Nach der Wende fertigte er hauptsächlich Baukastensysteme für Kindergärten. Zusammen mit Werner Falkhof gründete er 1993 THETA Promotion, beide brachten zuerst das erfolgreiche PUSHER von Falkhof heraus, später eindrucksvolle Designspiele wie TRIBALANCE, HEADQUARTER und FIRE.
1993 zeigten Falkhof und Sohre in Essen mit MINOTAUROS eine wunderbare Mischung aus MEMO-Spiel und Geschicklichkeit. Eindrucksvolles Material mit Keramiksteinen und einem Stierkopf als Keramikskupltur rundeten das Spielerlebnis haptisch ab. Ähnlich wie Wittigs WIKINGERSCHACH gelingt auch hier eine eindrucksvolle Verknüpfung zur kretischen Kulturgeschichte. Nominieren möchte ich heute aus dem Theta-Team Werner Falkhof, sein Partner Sohre ist leider schon 2011 verstorben.
Siebter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Was heute die Blogger sind, waren damals die Macher von kleinen Spielzeitschriften. Die spielbox dominierte professionell den Markt, die Pöppel Revue hatte Knut Michael Wolf 1985 an den Merz Verlag verkauft und 1987 erschien der Hecht im Karpfenteich, die Fairplay, die ohne Juryschelte nicht auskam.
Ich abonnierte damals alles, was ich nur konnte. Peter Gehrmanns Spielerei, Helge Andersens Würfel + Co., Joachim Goemanns Spielblatt und Ingo Faustmanns Spielkunde Informationen. Die Rechnerentwicklungen machten es möglich, das erlebte ich an meinen eigenen Heimcomputern. Wir starteten mit dem VC 20, 1983 wurde er vom Commodore 64 abgelöst. Datenspeicherung über Datasette, interessant waren auch die Druckanbindungen. Über ein Interface lieferte mir damals ein Typenraddrucker die Matrizenvorlagen für die Schule. Richtig modern wirkte dann schon der Commodore 128, später folgten dann PC 10 und PC 20 und nach 9-Nadel-Druckern, 24er, die Letter Quality erreichten. Mit allen Zwischenstufen waren dies die technischen Voraussetzungen, um recht einfach Spielezeitungen am Heimcomputer zu erstellen.
Das kam dann 1989 auch auf uns zu. Auf Anregung von Reinhold Wittig entwarfen Cordula und ich die Zeitschrift Spiel & Autor, die Autoren durch die Veröffentlichung ihrer Spielideen einen Dokumentationsschutz geben sollte. Gleichzeitig wollten wir alles, was im Umfeld des Spiele-Autorentreffens stand, in dieser Zeitschrift darstellen. Unseren ersten Auftritt hatten wir auf der 7. Spiel in Essen auf dem Stand der Edition Perlhuhn.
Ein Scherenschnittcover meiner Frau zierte ein dünnes Heftchen mit 32 Seiten und 11 Spielen. Zwei dieser Spiele stammten von Cordula, die sie aber unter den Namen von zwei Freundinnen veröffentlichte. FRAU HOLLE hat es dann 1993 bis in das von uns herausgegebene Taschenbuch von rororo TOLLE SPIELE SELBST GEMACHT geschafft. Andere in diesem ersten Heft vorgestellten Spiele wurden später veröffentlicht, so GNOSIS von Uwe Wibben, ELFENLAND als EULENZAUBER von Erich Manz, MEIN HÜHNERHOF von Edith Schlichting und ARCHE NOAH von Sven Kübler. Das letzte Spiel kam in der Überarbeitung mit Wolfgang Kramer als ATHOS bei Kosmos heraus. In den Folgejahren bis 1994 waren wir dann sogar mit eigenem Stand in Essen vertreten und haben teilweise die Betreuung des SAZ-Standes mit übernommen. Die Zeitschrift haben wir bis 2012 betreut, bis wir Sie an Karsten Höser, den Herausgeber der Spielerei, übergeben haben.
Die Spiel in Essen 1989 war nicht nur wegen unseres eigenen Engagements interessant. Während dieser Spielertage gab es die wohl illustreste Spielerunde, die man sich damals vorstellen konnte. Sid Sackson, Alex Randolph, Wolfgang Kramer und Rudi Hoffmann trafen sich bei Mattel zu einem von KMW moderierten Spiel von CAFÉ INTERNATIONAL, das zum „Spiel des Jahres“ gewählt worden war. Ein Multikulti-Café mit vielen internationalen Gästen, die gut harmonieren, punkteträchtiger aber doch unter sich bleiben. Aus heutiger Sicht sehe ich Rudi Hoffmanns Spielziel durchaus skeptisch, damals begeisterte mich dieses Sitzroulette an den 24 Café-Tischen.
Der Mann im Hintergrund, der Autorenspiele für Mattel interessant machte und über einige Jahre hinweg hervorragende Arbeit für den Verlag leistete, war der Autor und Product Manager Roland Siegers, den ich heute für 10 Tage 10 Spiele nominieren möchte. Er wird sicherlich viel zu erzählen haben, war er doch auch eine Zeit lang für Hexagames, Flying Turtle und nach Mattel für Schmidt Spiele tätig. Er hatte damals das von mir am ersten Tag erwähnte ACQUIRE mit den vier identischen Feldern in Bearbeitung.
Mit den heutigen Bildern dokumentiere ich neben dem Spiel des Tages die Heftszene der 80er, die ersten Hefte von Spiel&Autor und unser rowohlt-Buch. Die beiden Zeitschriften, für die ich seit über 25 Jahre tätig bin, sind mit ihren Erstausgaben zu sehen. Außerdem natürlich Roland Siegers während des legendären Spiels von CAFÉ INTENATIONAL (links von ihm sitzt der Autor Rudi Hoffmann, Knut Michael Wolf sieht man im Anschnitt).
Sechster Tag: 10 Tage 10 Spiele
Mitte der 80er Jahre fand unser erster richtig großer Umzug statt, zwar nur innerhalb Göttingens, aber schon mit knapp 1000 Spielen. Mit inzwischen drei Kindern war die große 4-Zimmer Wohnung viel zu klein, Spiele passten auch nicht mehr hinein und außerdem kündigte sich noch unser dritter Sohn an, der gleich in ein großes Haus einziehen sollte. Der große Garten war fantastisch für die Kinder, Klettergerüst und Schaukel standen bereit. Im Juni sollte Guntram zur Welt kommen und dann brach Tschernobyl über uns alle herein. Wir hatten gerade einen riesigen Sandkasten gebaut und entsprechend mit Sand gefüllt, als der Wind aus dem Osten kam und Sandkastenspiele verboten wurden. Auf das bei uns beliebte Pilze sammeln im Frühherbst haben wir dann auch einige Jahre verzichtet und der Sand wurde ausgetauscht.
Wer sich gestern gefragt hat, wer sich hinter dem Kürzel „TERS“ versteckt, dem möchte ich das heute gerne verraten. Hans-Christian WinTERS war in den 80ern Feuilletonchef des Göttinger Tageblatts und kümmerte sich schon früh um Spielanregungen für Göttingen. Als das Göttinger Tageblatt das eigenständige Feuilleton aufhob, ging Hans-Christian 1991 als Redaktionsleiter zur damals zweitältesten eigenständigen deutschen Zeitung nach Wolfenbüttel. Mit der Aufgabe der Eigenständigkeit der Wolfenbütteler Zeitung, die von der Braunschweiger Zeitung übernommen wurde, wechselte er als Redaktionsleiter zu den Cuxhavener Nachrichten. Sowohl an der Wolfenbütteler Zeitung als auch bei den Cuxhavener Nachrichten führte er seine regelmäßigen Spielebesprechungen weiter.
Als er 1987 in die Jury „Spiel des Jahres“ aufgenommen wurde, suchte er regelmäßige Spielpartner. Über meine Arbeit hatte er inzwischen mehrfach berichtet, sodass wir bald mit Hans-Christian und seiner Familie eng befreundet waren. Wir verbrachten mit unseren zusammen sechs Kindern die Osterferien an der Nordsee, fuhren nach Willingen, solange es in Niedersachsen noch den Buß- und Bettag als Feiertag gab und spielten und spielten und spielten. Außerdem gründeten wir einen Förderverein für das Städtische Museum, der neben vielen Aktivitäten attraktive Weihnachtsausstellungen mit spielerischen Themen rund um Spiele des Designers Kurt Naef und des Göttinger Geologen Reinhold Wittig organisierte.
Regelmäßig öffnete er seinen „Spielplatz“ im Tageblatt auch für mich, so dass 1988 meine erste Spielrezension erschien zu der herrlichen Persiflage auf die vielen Machtwechsel im KREML, bevor Gorbatschow die Perestroika einleitete. Urs Hostettlers Idee ist ein herrlich intrigantes Spiel um die Politikerelite in Moskau. Hier auf das richtige „Pferd“ zu setzen, ist nicht einfach, denn Säuberungen und gesundheitliche Attacken machen den meisten Politikern den Aufstieg schwer. Als Spiel der 80er erste Sahne, nur die Ausstattung ließ Wünsche offen. Da setzten Johann Rüttinger bei Noris und die Edition Perlhuhn andere Maßstäbe, die in dieser Zeit auch Kosmos übernahm.
Mein Dank geht wieder an Stefan Gohlisch, der mich für diese 10 Tage nominiert hat. Selbst möchte ich heute niemanden nominieren, aber an Hans-Christian Winters erinnern, der uns leider vor zwei Jahren viel zu früh verlassen hat (vgl. meinen Nachruf auf der Seite der Jury).
Fünfter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Schulisch stellten wir 1984 auch auf meine Initiative hin für eine intensivere Betreuung der Oberstufenschüler das Tutoren-System um. Jeder Tutor musste einen Projektkurs anbieten. Meiner lief lange Zeit unter dem Projektnamen „Spiele anders als andere“. Dabei spielten wir tatsächlich anfangs Spiele aus Sid Sacksons gleichnamigen Buch, das ich auch heute noch für lesenswert halte. Aber hauptsächlich spielten wir die „Kennerspiele“ der frühen 80er, wie DAMPFROSS und SHERLOCK HOLMES CRIMINAL-CABINET. Wir entwickelten auch eigene Spiele, traten auf dem Autorentreffen auf. Holten uns Anregungen bei Reinhold Wittig zum Spielenachbau, 1985 entstanden so im Werkraum der Schule viele Bretter, teilweise in eindrucksvoller Brandtechnik, von HEIMLICH & CO, das vor der Ausgabe bei Ravensburger, die 1986 mit dem roten Pöppel ausgezeichnet wurde, auf Skaiplan in der Edition Perlhuhn erschienen war.
Fantasy-Rollenspiele wie DAS SCHWARZE AUGE waren angesagt, aber auch Spieleturniere. Mindestens eine, manchmal zwei Mannschaften des Hainberg Gymnasiums nahmen in den 80ern regelmäßig an der Deutschen Brettspielmeisterschaft in Essen teil. Unser erstes Turnier erlebten wir 1985 auf der 3. Spiel, die damals von der Volkshochschule in die Messehallen gewechselt war. Mit einem sechsten Platz waren wir ganz zufrieden. Mehr Probleme hatten wir damit, dass wir begeistert KUHHANDEL spielten und Claudia Teschner als „Beste Kuhhändlerin Essens“ mit dem zweiten Platz einen riesigen runden Schweizer Käse gewann, den wir nicht einfach so zum Bahnhof rollen konnten.
Rüdiger Koltzes Versteigerungsspiel liebe ich immer noch. Dieses Feilschen und Bluffen und engagierte Versteigern sorgt stets für Stimmung am Spieltisch. Das Foto zeigt übrigens eine Kleinauflage, die der Autor selbst gezeichnet und vor der Veröffentlichung bei Ravensburger im Göttinger Umfeld verkauft hat. Es stammt von einem Besuch bei Koltze, als ich ihn für ein spielbox-Porträt 2017 in Bettenrode bei Göttingen interviewt habe.
Nominieren möchte ich heute meine ehemalige Kursteilnehmerin Claudia Teschner, von der ich aber nicht weiß, wie sie heute heißt. Aber vielleicht kennt ja jemand jemanden, der sie kennt, zum Beispiel Stefan Gohlisch, dem ich diese Beschäftigung hier an zehn Tagen verdanke.
Vierter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Wenn ich in der Taktung der Jahrzehnte meine 10 Spiele beschreibe, landen wir in der Zukunft der 40er Jahre, was auch ganz interessant sein könnte, wenn auf der Spiel 3000 Spiele veröffentlicht werden und 300.000 Besucher alle Messehallen füllen, aber Utopien wollte ich hier nicht entwerfen. Ich muss daher den Rhythmus ändern, was sich auch anbietet, da die nächsten Jahrzehnte viele besondere Spielerlebnisse brachten, gab es doch seit 1979 mit HASE UND IGEL das sich jährlich wiederholende „Spiel des Jahres“, das wir meist mit der Veröffentlichung der Jury kauften.
1977 hatte uns mein Referendariat nach Göttingen geführt. Der erste Umzug, bei dem Spiele schon eine kleine logistische Rolle spielten, aber alles bewegte sich noch in einem Rahmen, in dem ich noch nicht für verrückt gehalten wurde. Im Februar 1979 trat ich dann meine erste Stelle an einem Göttinger Gymnasium an, knapp eine Woche vorher kam unser zweiter Sohn zur Welt. Das ist der, der jetzt alle Spiele besitzt und im Augenblick ein neues Haus plant, das für die Sammlung entsprechend ausgelegt sein soll.
Ein Schuleintritt zum Halbjahr bringt meist Vorteile. Die Unterrichtsplanung steht weitgehend, Klassenleitungen sind bestimmt, Lücken darf man fachlich füllen. Oft bleiben Stunden übrig: So stieß ich mit dem Vorschlag, dass ich doch eine der Stunden mit dem attraktiven Angebot einer Spiele-AG füllen könnte zum Glück auf Zustimmung bei meinem damaligen Schulleiter. Daraus entwickelte sich bis 1998 fast ein Gewohnheitsrecht, das ich die ersten Jahre sporadisch, dann aber ab 1985 Jahr für Jahr in Anspruch nahm. Und danach durfte ich als Schulleiter selbst entscheiden, eine AG anzubieten, dann aber wegen der wenigen Stunden, die ich überhaupt noch unterrichten musste, ohne Anrechnung.
Göttingen war vom spielerischen Umfeld her ein Traum. Neben meinen Schülern in der AG gab es viele spielinteressierte Kollegen, mit denen wir uns regelmäßig trafen. Einen ordentlichen Spieleladen gab es noch nicht, der kam erst mit Arne Soltendieck Mitte der 90er Jahre in die Burgstraße nach Göttingen. Damals fuhren wir immer noch regelmäßig zum Schwarzen Bären nach Hannover, um an gute Spiele zu kommen.
Und dann gab es noch die Edition Perlhuhn in Göttingen und Karin und Reinhold Wittig, die regelmäßig am Freitag ab 17.00 Uhr in den Goldgraben einluden. Die Bedeutung der Menschen hinter den Spielen, nicht den Spieleerfindern, sondern den Spieleautoren, wie Reinhold immer betonte, ist mir erst durch die Begegnung mit ihm Anfang der 80er Jahre deutlich geworden. Am 8. und 9. Januar 1983 lud er erstmalig Autoren und Journalisten, aber auch das Göttinger Publikum ins Künstlerhaus ein. Keiner ahnte damals, dass daraus das weltweit größte Autorentreffen entstehen würde, dass seitdem Jahr für Jahr im Juni oder Juli in Göttingen stattfindet. Keiner ahnte, dass die Forderung der Teilnehmer, gleichberechtigt mit Buchautoren auf der Schachtel genannt zu werden, bald zur Regel wurde. Keiner ahnte, dass schon acht Jahre später die Spiele-Autoren-Zunft als Rechte- und Interessenvertretung der Spieleautoren in Göttingen geründet wurde. Und wir ahnten nicht, dass nach den Loseblattsammlungen der ersten sechs Jahre 1989 mit der von meiner Frau herausgegebenen Zeitschrift Spiel&Autor eine regelmäßige Dokumentation des Autorentreffens von uns übernommen wurde.
Ab sofort führten Begegnungen mit Spielen nicht nur zum Miteinander mit anderen am Spieltisch, sondern waren oft verbunden mit dem Kennenlernen der Menschen, die sich diese Spiele ausdachten. Das prägte später von Anfang an auch mein journalistisches Bemühen um die Autorinnen und Autoren, über die ich viele Porträts veröffentlichen durfte. Ganz aktuell gehört Hilko Drude dazu (vgl. spielbox Heft 5/2018), den ähnlich wie mich damals das Göttinger Umfeld und Reinhold Wittig beeinflusst haben. Hilko ist nicht nur Spieleautor, er beobachtet und dokumentiert Spiele aus aller Welt. Asiatische und südamerikanische Spiele interessieren ihn besonders. Sein lidude.net ist eine wahre Fundgrube. Was kann daher spannender sein, als ihm mit 10 Spielen in 10 Tagen zu folgen. Ich nominiere heute daher Hilko Drude.
Reinhold Wittigs Spieleerstling WIKINGERSCHACH steht spielerisch für meine Anfangsjahre in Göttingen. Es zeigt sinnbildhaft die neue Materialität, die die Edition Perlhuhn mit Spielen prägte. Resebeck, ein Schrotthändler in Göttingen, war eine seine beliebtesten Anlaufstellen, dort holte er sich Anregungen aus Restmaterialien. Seine geologischen Ausflüge nach Namibia brachten die mythischen Welten von Ombagassa aufs Spielbrett. So entstanden die WÜRFELPYRAMIDE, WABANTI und OMBAGI. WIKINGERSCHACH hat Wittig schon 1959 als 22jähriger Autor entwickelt, zeitgleich übrigens mit PIRATENBILLARD, das es bis in eine Spielshow des Fernsehens brachte. WIKINGERSCHACH, ein dreidimensionales Taktikspiel, steht in der klassischen Tradition des alten HNEFATAFL, das auf die kriegerische Auseinandersetzung zweier Wikinger-Flotten zurückgeht. Wittig verdichtet es auf einem Kampf auf einem großen Schiffsblock aus massivem Holz und verknüpft damit das, was ihm immer wichtig war, Kultur und Spiel.
Dienstag, 13. November 2018
Dritter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Der dritte Tag führt uns in die 70er Jahre. Sozialliberale Aufbruchstimmung prägte den Zeitgeist, unter Verteidigungsminister Schmidt durfte ich sogar meine schulterlangen Haare nach dem Abitur in der Bundeswehr behalten. Die einzige Auflage war ein Haarnetz, das fand ich anfangs sehr großzügig, aber auch schweißtreibend unter dem Stahlhelm. Doppelkopf und Pokern war in den Bundeswehrstuben angesagt, Brettspiele weniger.
Im Studium danach öffnete sich dann plötzlich eine ganz neue Spielwelt, 3M-Spiele und die Casino-Serie von Ravensburger setzten neue Maßstäbe. Sportspiele wie SPEED CIRCUIT und WIN, PLACE & SHOW waren meine Favoriten, wie auch ACQUIRE, MONAD und BAZAAR. Alle fünf Spiele hatte ich 1975 in einer Ramschaktion bei Karstadt erworben, wobei jedes Spiel damals nur 10 DM kostete. Frisch verheiratet, mit kleinem Sohn brauchten wir damals eigentlich jede Mark fürs alltägliche Leben. Insofern war meine Frau weniger begeistert, wogegen unser Sohn sich bald in die kleinen Metallrennautos verliebte. Neben den VIER ERSTEn SPIELE von Ravensburger, an denen damals auch Rudi Hoffmann beteiligt war, QUIPS und CLOWN gehörte SPEED CIRCUIT zu seinen Lieblingsspielen. Als dann Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre weitere Geschwister dazu kamen, war auch bei denen das Rennspiel ständig in Betrieb und wurde dank Folienüberzug auch für eigene Streckenplanungen mit Wachsstiften bemalt, sodass dann irgendwann ein neues Rennspiel gekauft werden musste.
Auf dem Spieltisch überlebt hat von den alten Klassikern eigentlich nur ACQUIRE, das in der Fassung von Schmidtspiele mit Aktionskarten auch jetzt noch regelmäßig von uns gespielt wird. Ende des Jahrzehnts hielt ich die erste Spielezeitung in meiner Hand: „Spiel“ Nr. 3 mit einem Artikel von Walter Luc Haas über Postspiele und DIPLOMACY. Ab sofort waren GM und ZAT keine komischen Abkürzungen mehr für mich und ich nahm regelmäßig für einige Jahre an Spielen teil. Man kann es sich heute nicht vorstellen, der normale Briefkasten war entscheidendes Depot für die Zugabgabe und dann wartete man auf den Briefträger mit oft hektographierten Blättern, die den eigenen Zug und den der Mitspieler zeigten – und wieder war der ZAT zu beachten, der Zug-Abgabe-Termin.
Neben dem Schweizer Walter Luc Haas bot Knut-Michael Wolf mit seinem „Wirtschaftsbrief“ seit 1977 in Deutschland Postspiele an. Daraus entstand später die „Pöppel-Revue“. In nostalgischer Erinnerung an meine alten Postspiele (leider nicht im „Wirtschaftsbrief“) nominiere ich heute Knut-Michael Wolf, damit wir etwas über seine 10 Spiele in 10 Tagen erfahren können
Zweiter Tag: 10 Tage 10 Spiele
Meine Zeit im Osten endete im August 1958. Eigentlich war ich von einem Geburtstagsausflug in den Tierpark Berlin (Ost) ausgegangen. Gesehen habe ich dann aber nur den Bahnhof Zoo in Westberlin, an dem wir ausstiegen, nach einer kurzen S-Bahnfahrt von Bahnhof Friedrichstraße aus. Dort eröffneten mir meine Eltern, dass wir nicht mehr nach Thüringen zurückkehren würden. Erinnern kann ich mich nicht mehr daran, angeblich sei ich in Tränen ausgebrochen, hätte meiner Briefmarkensammlung hinterhergejammert und wollte gar nicht in den goldenen Westen. Vor 1961 verlief die „Flucht“ für Viele so undramatisch wie bei uns damals, die Viersektorenstadt Berlin war offen in beide Richtungen. Hundertausende, vor allem junge Menschen, verließen auf diesem Weg die DDR, bis der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht, sein Versprechen brach, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten.
Der Neuanfang war nicht einfach für uns. Zwei Koffer hatten wir mit, natürlich ohne Briefmarkensammlung und Spiele. Von dem, was uns damals gehörte, sahen wir nichts mehr. Die Wohnung wurde versiegelt und letztlich alles versteigert, was nicht vorher in Stasihände gelangt war, wir waren als Republikflüchtlinge ja zu Staatsfeinden geworden.
Im Westen war damals noch Schuljahresstart nach Ostern, in der DDR im August. Das brachte mir mein erstes Kurzschuljahr, da ich ein halbes Jahr übersprang. Das wiederholte sich dann ganz offiziell Mitte der 60er Jahre als auch die meisten Bundesländer ihren Schulbeginn umstellten. Ohne es zu wollen, wurde meine Schulzeit bis zum Abitur dadurch schon in den 60ern auf 12 Jahre verkürzt.
Über einige Umwege gelangten wir in eine südniedersächsische Kleinstadt mit langer Brautradition, was sich später für Ferienjobs als günstig erwies. Das sonntägliche Spielen wurde immer noch gepflegt, beschränkte sich aber weitgehend auf Canasta und Rommé. Spiele der 60er Jahre lernte ich damals durch meine Mitgliedschaft in der Evangelischen Jungenschaft kennen. Die Gruppe hatte für damalige Verhältnisse eine ausgesucht gute Spielesammlung und die Gemeinde war so spendabel, dass jedes Jahr neue Spiele angeschafft werden konnten. Mich begeisterten ÖL FÜR UNS ALLE, STRATEGO, WILD LIFE und WILD WEST und wir spielten Fußball auf dem Tisch mit TIPP KICK und DER MITTELSTÜRMER BIST DU. Ravensburger dominierte zwar den Markt, aber Schmidt hatte Lizenzen von MONOPOLY, RISIKO und CLUEDO. Ich liebte die Würfelorgien von RISIKO, war aber auch als Monopolist unterwegs.
Bildtechnisch sind die alten Spiele alle in Bayern. Ich kenne aber einen ehemaligen Jury-Kollegen, der sich fast nur noch zwischen solchen alten Spiele-Schätzen bewegt. Andreas Mutschke hat seine Liebe zum Beruf gemacht, er handelt mit alten Spielen und er repariert sie sogar. Ein Blick auf seine Seite Vintique-Toys lohnt immer. Da er sich sehr gut auskennt, wird er sich sicher auch der Herausforderung von zehn Spielen in zehn Tagen stellen. Als Bild und Spiel für diese Phase wähle ich einen Flohmarktfund vom Wochenende. Stefan Gohlisch, deine Nominierung hat mich seit Jahren einmal wieder zu einem Flohmarkt geführt, was durchaus Erinnerungen geweckt hat, da die ersten Spiele meiner Spielesammlung ab den 70er Jahren fast nur von Flohmarkt am Hohen Ufer in Hannover stammten. PHILATELY von Schmidt ist zwar von 1973, passt aber zu den Spieletypen der 60er Jahre. Heute würden wir sagen Set-Collection mit Versteigerungselementen. Das Spiel ist gar nicht so schlecht und passt gut zu mir, da ich ja immer noch meiner Briefmarkensammlung in Thüringen nachtrauerte.
Erster Tag: 10 Tage 10 Spiele
Stefan Gohlisch habe ich es zu verdanken, dass ich die nächsten zehn Tage in meiner Vergangenheit kramen werde. Zehn Spiele in zehn Tagen sollen es sein, die mir in prägender Erinnerung blieben. Vor sechs Jahren wäre ich auf unseren Dachboden unseres Hauses in Oldenburg gegangen und wahrscheinlich für mehrere Stunden dort abgetaucht. Das Haus gehört jetzt unserem jüngsten Sohn, die rund 7000 Spiele sind in Süddeutschland bei unserem zweitältesten Sohn, weil wir uns mit unserem Umzug an den drittgrößten See Niedersachsens deutlich verkleinert haben und nur noch Platz für knapp 500 Spiele haben. Die Aktualität ist hoch, die Fluktuation groß, so richtig taugt die Restsammlung nicht für Erinnerungen.
Das ist das erste Mal, dass ich die Entscheidung bedauere, deshalb nominiere ich auch gleich Florian Herold, der jetzt über seltene Schätze verfügt, wie den Prototypen von Adel verpflichtet, das ganze rare Aquire, in dem jedes Feld viermal angesteuert werden konnte, 3M, Pelikan, Bütehorn, Schlender, E-Serie von F.X. Schmid und die Ravensburger Casino-Serie.
Wenn ich ins erste Jahrzehnt zurückblicke, lande ich in Thüringen. Dame, Mühle, Halma, Mädn, erste Gehversuche im Schachspiel. Spielerisch sozialisiert wurde ich mit den üblichen Spielesammlungen, später kamen Kartenspiele wie Rommé, Canasta, Skat und Doppelkopf hinzu. Das gemeinsame Spielen am Sonntag war sogar ein ganz regelmäßiger Zeitvertreib.
Mit Freunden nutzte ich das Spielmaterial, die Pöppelflut aus zwei Spielesammlungen, um die Friedensfahrt nachzuspielen. Unweit unseres Ortes rauschten im Mai auf der Rennstrecke von Prag nach Berlin und Warschau oder umgekehrt die „Tour de France des Ostens“ an uns vorüber und als Fünfjähriger war mein größtes Idol Täve Schur, der 1955 auch erstmalig das gelbe Trikot bis nach Warschau trug. Wahrscheinlich kommt daher auch meine Vorliebe für die gelbe Spielerfarbe. Denn mit 5er Mannschaften radelten wir Kinder mäandernd über kleine quadratischen Halmafelder und hatten uns ein ausgeklügeltes Wertungssystem dazu ausgedacht. Der Gewinner durfte natürlich beim nächsten Mal mit den gelben Pöppeln starten und das wollten wir alle damals.
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