Der dritte Tag führt uns in die 70er Jahre. Sozialliberale Aufbruchstimmung prägte den Zeitgeist, unter Verteidigungsminister Schmidt durfte ich sogar meine schulterlangen Haare nach dem Abitur in der Bundeswehr behalten. Die einzige Auflage war ein Haarnetz, das fand ich anfangs sehr großzügig, aber auch schweißtreibend unter dem Stahlhelm. Doppelkopf und Pokern war in den Bundeswehrstuben angesagt, Brettspiele weniger.
Im Studium danach öffnete sich dann plötzlich eine ganz neue Spielwelt, 3M-Spiele und die Casino-Serie von Ravensburger setzten neue Maßstäbe. Sportspiele wie SPEED CIRCUIT und WIN, PLACE & SHOW waren meine Favoriten, wie auch ACQUIRE, MONAD und BAZAAR. Alle fünf Spiele hatte ich 1975 in einer Ramschaktion bei Karstadt erworben, wobei jedes Spiel damals nur 10 DM kostete. Frisch verheiratet, mit kleinem Sohn brauchten wir damals eigentlich jede Mark fürs alltägliche Leben. Insofern war meine Frau weniger begeistert, wogegen unser Sohn sich bald in die kleinen Metallrennautos verliebte. Neben den VIER ERSTEn SPIELE von Ravensburger, an denen damals auch Rudi Hoffmann beteiligt war, QUIPS und CLOWN gehörte SPEED CIRCUIT zu seinen Lieblingsspielen. Als dann Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre weitere Geschwister dazu kamen, war auch bei denen das Rennspiel ständig in Betrieb und wurde dank Folienüberzug auch für eigene Streckenplanungen mit Wachsstiften bemalt, sodass dann irgendwann ein neues Rennspiel gekauft werden musste.
Auf dem Spieltisch überlebt hat von den alten Klassikern eigentlich nur ACQUIRE, das in der Fassung von Schmidtspiele mit Aktionskarten auch jetzt noch regelmäßig von uns gespielt wird. Ende des Jahrzehnts hielt ich die erste Spielezeitung in meiner Hand: „Spiel“ Nr. 3 mit einem Artikel von Walter Luc Haas über Postspiele und DIPLOMACY. Ab sofort waren GM und ZAT keine komischen Abkürzungen mehr für mich und ich nahm regelmäßig für einige Jahre an Spielen teil. Man kann es sich heute nicht vorstellen, der normale Briefkasten war entscheidendes Depot für die Zugabgabe und dann wartete man auf den Briefträger mit oft hektographierten Blättern, die den eigenen Zug und den der Mitspieler zeigten – und wieder war der ZAT zu beachten, der Zug-Abgabe-Termin.
Neben dem Schweizer Walter Luc Haas bot Knut-Michael Wolf mit seinem „Wirtschaftsbrief“ seit 1977 in Deutschland Postspiele an. Daraus entstand später die „Pöppel-Revue“. In nostalgischer Erinnerung an meine alten Postspiele (leider nicht im „Wirtschaftsbrief“) nominiere ich heute Knut-Michael Wolf, damit wir etwas über seine 10 Spiele in 10 Tagen erfahren können