Kurz vor der Spiel 1989 war ich mit Oberstufenschülern meines Geschichtsleistungskurses Ende September in Prag. Schwerpunkt der Fahrt sollte eigentlich die jüngere deutsche Geschichte sein mit Exkursionen nach Terezín und Lidice, dann erlebten wir aber hautnah ganz aktuelle Geschichte am Zaun der Deutschen Botschaft, dem Palais Lobkowicz. Unvorstellbare Verhältnisse auf einem völlig verschlammten abschüssigen Gelände, 4000 Menschen hatten sich dorthin geflüchtet. Am 29. September waren wir nach einem Besuch der Prager Burg hinter der Botschaft. Meine Schüler halfen Flüchtenden noch über den Zaun. Die Gespräche, die wir dort mit den Menschen hinter dem Zaun führten, erschütterten mich. Irgendwie schloss sich hier der Kreis meiner eigenen Geschichte. Einen Tag später verkündete Hans-Dietrich Genscher mit dem wohl berühmtesten unvollendeten Satz der Wendezeit: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...". Am Sonntag, als wir mit dem Bus unsere Heimreise nach Göttingen antraten, durften die Botschaftsflüchtlinge über die DDR mit dem Zug ausreisen. Da ist es fast banal zu erwähnen, dass die Tschechoslowakei damals schon attraktive Spiele im Angebot der Kaufhäuser hatte. Meine Schüler fuhren mit Hüten nach Hause, ich mit zehn Spielen, darunter Plagiate von HASE UND IGEL und AUF ACHSE.
Die rasante Verlauf der Friedlichen Revolution überraschte uns dann alle, kurz nach der Spiel war am 11. November schon die Mauer offen. Im grenznahen Göttingen stellten wir plötzlich fest, es „riecht nach DDR“. Die Zweitaktmotoren der Trabis hinterließen einen unverkennbaren Geruch. Endlich durfte man die Grenze überqueren, ohne die Rückbank auf der Rückfahrt ausbauen zu müssen. Spiele aus der DDR-Produktion interessierten mich damals wenig, dafür haben wir viele Bücher erworben.
Den ersten Spieleautor aus der ehemaligen DDR lernte ich erst 1991 erst in Göttingen dann in Essen kennen. Wer damals auf der 10. Spiel in Halle 12 kam, fand links vom Eingang den Stand der Holzinsel und hörte dort schon lautes Trommelschlagen und Pfeifen aus Halle 11. In der Diagonalen ging man am Stand der Edition Perlhuhn vorbei, an der Wand am Fairplay-Stand entlang landete man bei Doris und Frank oder noch bei Triangel, da bin ich mir nicht mehr ganz sicher, und dahinter ging in Halle 11 stündlich der Bär ab. Dort war Tramp unterwegs mit … DIE ALTEN RITTERSLEUT.
Hinter dem neuen Verlag aus der DDR stand Michael Sohre aus Kleinmachnow bei Berlin, der als Filmemacher für die DEFA Auftritte verstand. Für die Einführung seines Ritterspieles hatte er die Gruppe Corvus Corax engagiert, die aus selbstgefertigten Instrumenten die ganzen ersten drei Hallen beschallten. Sohre hatte sich vorher noch bemüht, seine Spielidee von Spika produzieren zu lassen, aber der letzte existierende Spieleverlag der DDR stellte im Sommer 1991 seine Arbeit ein, deshalb nahm der kleine agile Brandenburger die Sache selbst in die Hand. Sein erstes Spiel war noch recht nah an ADEL VERPFLICHTET, aber Sohre hatte noch viele weitere Ideen und war als Kunsthandwerker ein Produzent, der Wert auf edle Umsetzungen legte. Nach der Wende fertigte er hauptsächlich Baukastensysteme für Kindergärten. Zusammen mit Werner Falkhof gründete er 1993 THETA Promotion, beide brachten zuerst das erfolgreiche PUSHER von Falkhof heraus, später eindrucksvolle Designspiele wie TRIBALANCE, HEADQUARTER und FIRE.
1993 zeigten Falkhof und Sohre in Essen mit MINOTAUROS eine wunderbare Mischung aus MEMO-Spiel und Geschicklichkeit. Eindrucksvolles Material mit Keramiksteinen und einem Stierkopf als Keramikskupltur rundeten das Spielerlebnis haptisch ab. Ähnlich wie Wittigs WIKINGERSCHACH gelingt auch hier eine eindrucksvolle Verknüpfung zur kretischen Kulturgeschichte. Nominieren möchte ich heute aus dem Theta-Team Werner Falkhof, sein Partner Sohre ist leider schon 2011 verstorben.