Freitag, 12. Februar 2016
DER RUF DES HENKERS
Im „Amulett der Ewigkeit“ pendelt Björn Springorum, ein junger Autor aus Stuttgart, noch zwischen 19. und 21. Jahrhundert in London hin und her. Im „Ruf des Henkers“ bleibt er in der Mitte des 19. Jahrhunderts stehen, folgt mit seinem Jugendroman aber weiterhin magisch-mystischen Spuren. Sein drittes Werk rankt um eine der grausamsten Henkergestalten Englands, um William Calcraft, der von 1800 bis 1879 lebte. Noch elf Jahre vor seinem Tod gab es in England öffentliche Vollstreckungen, zu seinen Hinrichtungen sollen bis zu 30.000 Gaffer gepilgert sein. Berüchtigt war er dafür, dass er die Aufgeknüpften am Galgen zu einem schnelleren Tod brachte, indem er sich an ihre Beine hängte.
Hier setzt die Fabulierkraft des Autors an, mit seinem Roman versucht er, eine eigene, sehr mystische Erklärung zu geben. Einerseits bewegt sich der Historiker und Anglist Springorum ziemlich exakt in der Zeit, Dickens (Oliver Twist) und Jack London (The People of the Abyss) lassen grüßen. Andererseits muss er für sein jugendliches Lesepublikum Ambiente liefern. Da ist einerseits eine Liebesgeschichte, die ein schwarzhaariges Mädchen gleich am Anfang vor dem Galgen rettet, da der in sie verliebte Pfarrerssohn Richard Winters sich für sie einsetzt. Calcraft lässt das sonderbare junge Mädchen laufen, nimmt dafür aber Richard in seine Dienste, der schnell merkt, dass der Henker nicht nur als Vollstrecker unterwegs ist.
Um nicht zu sehr zu spoilern, lasse ich die wahren Aufgaben des Henkers an dieser Stelle im Dunkeln, sie führen in eine rätselhafte, fantastische Welt, die durch wechselnde Erzählperspektiven spannend vermittelt wird. Für den Autor ist "Der Ruf des Henkers" in vielfacher Hinsicht „wie ein Erstling“: Seine erste gebundene Ausgabe, sein erster Spitzentitel bei einem renommierten Verlag, zudem auch sein erstes Hörbuch (erscheint am 19.02.)! Tolles Buch, das die Atmosphäre Londons Mitte des 19. Jahrhunderts anschaulich einfängt, dessen Erzählspannung dem Leser kaum Zeit lässt, das Buch aus der Hand zu legen.
Wertung: ****
Titel: Der Ruf des Henkers
Verlag: Thienemann
Autor: Björn Springorum
Seiten: 347 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Montag, 8. Februar 2016
TOTENPREDIGER
Der 54jährige Mark Roberts ist bisher in Deutschland nur durch seinen Romanerstling „Der Herodes-Killer“ aufgefallen. Schon 2013 kennzeichnete sein Werk, eine ausgesprochene Brutalität, deren Begleiterscheinungen recht okkult waren.
Das beschreibt auch sein neuestes Werk „Totenprediger“ recht gut. Spielte die Mordserie des ersten Thrillers noch in London, zieht es ihn jetzt in seine Geburtsstadt Liverpool. DCI Eve Clay hat es gleich zu Beginn mit der äußersten brutalen Auslöschung einer ganzen Familie zu tun. Schnell wird klar, dass der mysteriöse Adrian White, den Clay vor sieben Jahren hinter Gitter gebracht hat und der als psychopathischer Mörder in einer Nervenklinik einsitzt, mit diesen Massenmorden zu tun haben muss.
Fast visionär kündigt er weitere Morde an, trotz Isolation scheint er alle Fäden in der Hand zu halten und auch Macht über Eve Clay zu besitzen, deren unklare Vergangenheit irgendwie mit den Morden in Verbindung zu stehen scheint. Immer wieder ist von einer mystischen roten Wolke die Rede, die das kommende Unheil andeutet. Und tatsächlich, das Morden geht brutal weiter und es dauert bis Clay Geheimcodes entschlüsselt und ihre Rolle in dem Ganzen einordnen kann.
Hier fließt viel Blut, der wabernde Untergrund ist mir aber viel zu esoterisch angehaucht. Etwas vom „Schweigen der Lämmer“, im Hintergrund „Rosemaries Baby“, aber Ira Levin und Thomas Harris spielen in einer anderen Liga, da ist der Weg für Roberts noch weit.
Wertung: ***
Titel: Totenprediger
Verlag: Bastei Lübbe
Autor: Mark Roberts
Seiten: 365 Seiten
Preis: 12,99 Euro
Samstag, 6. Februar 2016
OSTFRIESENSCHWUR
Ostfriesenschwur Foto heo
Nach dem etwas überdrehten neunten Fall von Klaus-Peter Wolf läuft er mit seinem Jubiläumsband wieder zu Höchstform auf. Er packt alles hinein, was sich seine Leser wünschen: Die klassische Mannschaft um den alten Chef Ubbo Heide, das gesamte Ostfriesland mit seiner Inselwelt, den Perspektivenwechsel, der immer auch eine personale Sicht auf den Täter enthält, sodass wir Leser den Ermittlern gegenüber stets einen Schritt voraus sind, die kulinarischen Ausflüge in die ostfriesische Gastronomie und stets das Augenzwinkern, das den meisten Akteuren Lebensnähe einhaucht.
Der Fall könnte dramatischer nicht sein: Der pensionierte und im Rollstuhl sitzende ehemalige Chef von Klaasen & Co. wird von abgetrennten Köpfen überrollt, postalisch auf Wangerooge, und in direkter Lieferung in seinen Kofferraum auf einem Parkplatz in Harlesiel. Schnell wird klar, beide Toten stehen in direktem Zusammenhang mit seinem Bestseller über ungelöste Fälle, bei denen oft die Justiz andere Entscheidungen traf, als Ubbo Heide sich erhoffte. Der Täter wandelt auf seinen Spuren, schafft scheinbar neue Gerechtigkeit jenseits juristischer Maßstäbe, sieht sich als Erfüllungsgehilfen Heides. Nicht nur das, er scheint alles zu wissen, sogar in die Zukunft blicken zu können und erledigt einen Fall aus Heides noch unveröffentlichtem zweiten Buch. Heide, sein Nachfolger Büscher, Klaasen, Weller und Macho Rupert, der sich am besten mit Overbeck aus der Wilsberg-Reihe vergleichen lässt, hecheln über hunderte von Seiten dem Täter hinterher. Da hilft auch Ann Kathrin Klaasens untrügliches Gespür wenig, sie tritt fast hinter der Teamleistung dieser Geschichte etwas zurück.
Natürlich bringt Klaus-Peter Wolf auch diesen Fall wieder zur Aufklärung, wie auch Hans-Jürgen Bremer, der echte Leiter der Polizeiinspektion Aurich/Wittmund im Nachwort schreibt: „Die Krimis enden immer mit einem Aufklärungserfolg!“ Und das sei auch für seine Inspektion in Bezug auf Mord- und Totschlagsdelikte authentisch. Wobei die Schlusswendung bei Wolf für den Leser, der scheinbar immer auf Augenhöhe mit den Täterhandlungen ist, doch noch einige Überraschungen bereithält. Wenn für Wolf Schluss ist, beginnen für Bremer Büro- und Schreibarbeiten im Rahmen der Aufarbeitung des Mordes. So ein bisschen davon hätte ich mir am Ende auch von Klaus-Peter Wolf gewünscht, um den Täter nicht nur aus seiner personalen Perspektive zu erleben, sondern auch aus einer aufklärenden auktorialen Sichtweise. Auch wenn Fragen offenbleiben, mit diesem Jubiläumsband hat Klaus-Peter Wolf ein kleines Meisterstück abgeliefert.
Wertung: *****
Titel: Ostfriesenschwur
Verlag: Fischer
Autor: Klaus-Peter Wolf
Seiten: 527 Seiten
Preis: 9,99 Euro
(Seite 1 von 1, insgesamt 3 Einträge)