Dienstag, 29. August 2017
TALLINN
Ostia-Spiele, der Verlagsname, orientiert sich zwar am alten Hafen Roms, nach den thematischen Akzenten, die die veröffentlichten Spiele setzen, hätte man aber eher einen Namen wie den Hanse-Verlag erwartet. Mit VISBY, TALLINN und demnächst auch mit RIGA grast Stefan Risthaus den Ostseebereich ab und landet in mittelalterlichen Hansestädten.
Die durch Crowdfunding finanzierten Kleinauflagen lohnen sich für Ostia-Spiele. VISBY (vgl. meine Rezension in der spielbox Heft 7/2015) ist inzwischen von Pegasus übernommen worden und liegt seit April 2017 als SANTO DOMINGO vor. Gut möglich, dass dort ebenfalls der spielerische Ansatz von TALLINN Gefallen findet.
TALLINNs Türme scheinen es Risthaus besonders angetan zu haben. Von den einst über 40 Rundtürmen in der Stadtmauer der baltischen Metropole sind immerhin noch 26 erhalten. Ihr Erscheinungsbild prägt dominant das Cover der kleinen Schachtel und ist gleich doppelt auf den Rückseiten der 40 Spielkarten des Grundspiels zu sehen. Ansonsten prägen die zweigeteilten Karten Wappenbilder der einflussreichen Stände. In der Stadt des Deutschen Ordens und der Hanse waren das natürlich Kaufleute, Ritter und Kleriker.
Vom Spielziel her geht es ganz simpel um Mehrheitenwertung innerhalb der Stände und dadurch erzielte Siegpunkte, die während der Spielrunden und punkteträchtiger am Ende des Spiels durchgeführt werden. Der besondere Dreh, den Risthaus sich für TALLINN einfallen lässt, besteht in den zwei Kartenhälften. Alle verfügen über identische Kartensätze, deren Einsatz in den maximal zehn Spielrunden ganz unterschiedlich verläuft. Das liegt daran, dass von den zehn Karten nur jeweils drei als Handkarten zur Verfügung stehen und dass in jeder Runde entschieden werden muss, welche Kartenhälfte in die Wertung kommt. Schon die Startkarte mit einer Wertungsübersicht unterscheidet sich. Da besitzt jeder drei Wappen, ein Stand ist doppelt vorhanden, einer nur einmal und einer überhaupt nicht. Wer also mit zwei Kaufleuten und einem Mönch startet, wird sehr wahrscheinlich in der abwägenden Überlegung, ob er die Kartenhälfte mit drei Kaufleuten oder drei Rittern nutzt, sich für die Pfeffersäcke entscheiden. Alle Karten werden gleichzeitig verdeckt ausgespielt, sodass sich Mehrheitsverhältnisse ständig ändern. Das gilt es im Blick zu behalten, denn Dominanzen werden oft für Wertungsphasen genutzt. So gibt es sechs Karten, die jeweils auf einer Kartenseite eine Wertung eines Standes zur Folge haben. Die Karte selbst bringt allerdings nur einen zusätzlichen Punkt in die Wertung mit ein. Reicht die Mehrheit im direkten Vergleich mit den maximal drei Kontrahenten, gibt es jeweils zwei Siegpunkte, die auf einer Wertungsskala angezeigt werden. Ein Unentschieden bringt immerhin noch einen Punkt, wobei wichtig ist, dass nur der Wertende Punkte bekommt.
Mit den Wertungen kommen die Türme ins Spiel. Wer möchte, darf eine beliebige Karte seiner Auslage umdrehen, sodass eine Turmseite zu sehen ist, das darf auch eine Handkarte sein. Damit schränkt man aber seine Auswahlmöglichkeiten ein, da die Handkarten dann nicht mehr auf drei ergänzt werden. Zusätzlich ist man dann an den letzten Runden nicht mehr beteiligt. Wozu das Ganze dann? Wenn alle zehn Karten gespielt sind, kommt es zu abschließenden Schlusswertungen aller drei Stände, die diesmal im jeweils direktem Vergleich vier Siegpunkte bringen. Sechs Punkte lassen sich allerdings durch die Turmwertung erzielen, bei der es nur um numerische Überlegenheit bei den jeweils größten Gruppen geht.
Ein Umschalten auf die Turmwertung muss daher gut überlegt sein, da die eigene Auslage ja geschwächt wird und diese für die normale Schlusswertung durchaus noch von Bedeutung ist. Wer sieht, dass er bei einem Stand keine Chancen mehr hat, kann dessen Wappen als Turm versenken. Zumal dann beide Kartenhälften in die Wertung eingehen. Reizvoll kann dabei vor allem eine Karte sein, die auf beiden Seiten jeweils zwei Mönche zeigt. Als zusätzliche Bremse hat Risthaus allerdings eine Negativwertung eingebaut, die greift, wenn in den Schlusswertungen Differenzen von mindestens fünf Wappen auftauchen. Das kostet die Unterlegenen nämlich einen zusätzlichen Siegpunkt, damit beträgt der Reingewinn im direkten Vergleich genau die sechs Punkte, die die Turmwertung einbringt.
Risthaus ist mit TALLINN erneut ein kleines Kartenspiel mit reizvoller Balance durch verdecktes Kartenausspiel und Mehrheitenkampf in der Auslage gelungen. Zählhilfe, Wertungsübersicht und eindeutige Grafiken zeigen den routinierten Spieleautor, der zusätzlich Angebote für Erweiterungen macht. Inkludiert sind das LEGAT DES KAISERS mit Jokerwappen und DIE CHRONIK mit Zusatzwertungen. Zusätzlich gibt es DIE ALTEN, die Einfluss auf die Turmwertung nehmen, und DIE VERSAMMLUNG, die weitere Figuren für die Endwertung einführt. Am Grundprinzip des Spiels ändert sich durch die Erweiterungen wenig. Das ist auch nicht nötig, da dieses Prinzip für ein unterhaltsames Geplänkel zwischendurch völlig ausreicht.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: TALLINN
Autor: Stefan Risthaus
Verlag: Ostia-Spiele
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 15 Min.
Preis: ca. 22 Euro (mit allen Erweiterungen)
Spiel 52/2017
Freitag, 25. August 2017
FOREST
Alte Schätze neu gehoben
Spätestens seit HIPPO habe ich Gefallen am Inhalt der kleinen, schmalen Spieleschachteln des Helvetiq-Verlages aus Lausanne gefunden. Mit HELVETIQ, einem Spiel über die Schweiz, hat der Verlag 2008 sein Sortiment begonnen und veröffentlicht seitdem erfolgreich Bücher, Design-Objekte und Spiele. Oft sind es originelle Neuheiten, mit dem im Herbst 2016 erschienenen FOREST liegt aber eine interessante Überarbeitung eines zehn Jahre alten Clementoni-Spiels vor.
SIEBEN AUF EIN STREICH hieß der aufwendig gestaltete Vorläufer der beiden italienischen Autoren Leo Colovini und Fabio Visintin. Optisch war das damalige Spiel ein Genuss, es gab aber Umsetzungsprobleme, die das Spielvergnügen trübten. Damals wie heute bewegen wir uns in einer Märchenwelt. Der Clementoni-Titel verwies nicht nur deutlich darauf, sondern machte zusätzlich das Spielziel klar. Auf 60 Spielkarten, die nebeneinander und übereinander gelegt, einen Märchenwald mit vielen Bäumen und Baumkronen ergeben, gilt es, sieben identische Märchenfiguren ausfindig zu machen. Das können fliegende Feen sein, springende Frösche, flatternde Eulen und Weihnachtsmänner, die ganz ohne Rentiere und Schlitten ebenfalls fliegend unterwegs sind.
Empfohlen wird FOREST für zwei bis fünf Kinder ab sechs Jahren. Obwohl eine gewisse Rechenfertigkeit verlangt wird, können Vorschulkinder aber problemlos mithalten. Jeder hat drei Karten zur Verfügung mit Baumstämmen und Märchenfiguren oder Baumkronen, in denen verschiedene gesuchte Figuren sich aufhalten. Der untere Wald wird vertikal aufgebaut, das Baumdach kommt horizontal über zwei Baumkarten. Immer dann, wenn ein Kind, eine Karte legen kann, die zur Folge hat, dass in der Gesamtauslage mindestens der siebte Frosch oder Weihnachtsmann zu sehen ist, darf es alle betroffenen Karten abräumen. Der Rest wird regelgerecht zusammengeschoben. Wer die Chance verpasst, weil er die sieben Feen vor lauter Bäumen nicht gesehen hat, schenkt dem nachfolgenden Spieler diese Option. Wenn alle Karten liegen, wird abgerechnet, wer die meisten besitzt, gewinnt FOREST in einer guten Viertelstunde.
Damals wie heute erweitern Varianten das Spiel. Erhalten geblieben ist dabei die Erweiterung, bei der derjenige gewinnt, der am Ende die wenigsten Karten gesammelt hat. Diese Variation kehrt das eigentliche Spielziel um und führt dazu, dass alle gut aufpassen, wenn sieben Figuren zu sehen sind und damit Karten aufgenommen werden müssen. 2007 gab es noch das zufällige Aufdecken von Karten, bei dem Schnelligkeit gefragt war. Wer hier zuerst SIEBEN AUF EIN STREICH entdeckte, bekam die Karten. 2016 ist dafür eine Bonusregel hinzugekommen. Wer es schafft, das ganze Sortiment von Figuren zu sammeln, bekommt fünf Extrapunkte.
Das Problem der ersten Fassung lag zum Teil in der fehlenden Passung von Unter- und Überbau des Waldes. Die Karten im Baumdach waren zu kurz. Für den Spielreiz entscheidender war, dass die tollen, aber eher realistischen Grafiken die Erkennung zu einfach machten, was für den Langzeitspielreiz eher abträglich war. Das macht Helvetiq deutlich besser. Sarah Bourquin und Lucas Guidetti bleiben schlichter in ihren Grafiken, dadurch dass sich Fee und Weihnachtsmann farblich fast gar nicht unterscheiden, ist die Wiedererkennung erheblich schwieriger. Man mag den stabilen Papp-Plättchen und bunten Grafiken von Clementoni nachtrauern, die aktuelle Fassung aus der Schweiz sorgt aber für deutlich mehr Spielvergnügen.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: FOREST
Autoren: Leo Colovini und Fabio Visintin
Verlag: Helvetiq
Alter: ab 5 Jahren
Spielerzahl: 2 - 5 Spieler
Spielzeit: ca. 15 Min.
Preis: ca. 10 Euro
Spiel 50/2017
Freitag, 18. August 2017
HIPPO
Wenn die Luding-Daten stimmen, dann kommt aus Dänemark inzwischen einer der erfolgreichsten Nachwuchsautoren. Martin Nedergaard Andersen ist professioneller Autor, 2015 hat er elf Spiele veröffentlicht, im letzten Jahr hat er das Dutzend voll gemacht. Die Bilanz dieses Jahres ist noch nicht abgeschlossen. Er scheint einen guten Draht in die Schweiz zu haben, die Game Factory und der Verlag Helvetiq haben viele Spiele des Dänen veröffentlicht. In Deutschland ist er bei Huch! präsent, aber auch F-Hein hat immerhin schon zwei Spiele von ihm im Programm.
Es sind meist kleine, pfiffige Ideen, die charakteristisch für ihn sind. Das beweist er auch mit HIPPO, einer Neuheit aus diesem Jahr, die bei Helvetiq erschienen ist. In einer kleinen Schachtel stecken ein in zwölf Segmente aufgeteiltes Spielbrett, jeweils zwölf kleine Rettungsringe für vier Spieler und drei kleine 6er-Würfel. Es gilt, alle Rettungsreifen im Schwimmbad des kleinen Nilpferds loszuwerden. HIPPO befindet sich in seinem großen Planschteil in der Mitte des Beckens auf Feld 7. Davor verlaufen drei Bahnen mit den Feldern 1 bis 6, danach sind es nur noch zwei Bahnen mit den Feldern 8 bis 12.
Der Zugspieler würfelt mit allen drei Würfeln und darf diese beliebig kombinieren, d.h. einzeln nutzen oder teilweise bzw. ganz addiert. Entsprechend seiner Wahl, darf er ein bis drei Rettungsringe platzieren. Nur auf dem 7er-Feld, im Planschbecken des Nilpferds, sind die Ringe sicher, auf allen anderen Bahnen können folgende Spieler vorher gesetzte Rettungsreifen verdrängen. Auf den Bahnen mit den niedrigen Werten bedeutet das, dass schon der vierte Ring in der Regel einen gegnerischen vertreibt und wieder im Besitz des Spielers landet. Beliebt ist das Planschbecken, denn die 7 bedeutet nicht nur Sicherheit, sondern bringt auch einen Extrazug, der allerdings nur einmal in Folge genutzt werden darf.
Es ist daher immer ein Abwägen, drei Ringe auf einmal loszuwerden, indem jedes Wurfergebnis einfach genutzt wird oder auf sicherere hohe Werte oder die 7 zu setzen. Ständige Verdrängungen setzen allerdings erst ab drei Spielern ein, bei denen das Endspiel sich spannend hin- und herziehen kann. Sobald ein Spieler nur noch drei oder vier Ringe vor sich hat, wird er gezielt attackiert. Wer sich eher in den oberen Bereichen absichert, ist damit schwerer angreifbar als in den Zonen vor dem Planschbecken des Nilpferds.
HIPPO ist ein schnelles Spiel, das maximal 15 Minuten dauert und Revancherunden garantiert. Die Würfelkombinationen schränken das Würfelglück etwas ein, andererseits geht der Reiz des klassischen Glücksspiels nicht verloren. Zu zweit ist es in der vorliegenden Form aber eher langweilig. Für mehr Spannung hätten Verlag und Autor sorgen können, wenn sie rückseitig auf die vorhandenen Bahnen nur zwei Schwimmbahnen auf den Strecken vor dem Planschbecken und eine Bahn danach gedruckt hätten. Das hätte den Engpässen der Spiele zu dritt und vor allem zu viert eher entsprochen. Dann wäre auch eine Wertung im guten Bereich möglich gewesen.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: HIPPO
Autor: Martin Nedergaard Andersen
Verlag: Helvetiq
Alter: ab 6 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 15 Min.
Preis: ca. 10 Euro
Spiel 48/2017
(Seite 1 von 1, insgesamt 3 Einträge)