
Ostia-Spiele, der Verlagsname, orientiert sich zwar am alten Hafen Roms, nach den thematischen Akzenten, die die veröffentlichten Spiele setzen, hätte man aber eher einen Namen wie den Hanse-Verlag erwartet. Mit VISBY, TALLINN und demnächst auch mit RIGA grast Stefan Risthaus den Ostseebereich ab und landet in mittelalterlichen Hansestädten.
Die durch Crowdfunding finanzierten Kleinauflagen lohnen sich für Ostia-Spiele. VISBY (vgl. meine Rezension in der spielbox Heft 7/2015) ist inzwischen von Pegasus übernommen worden und liegt seit April 2017 als SANTO DOMINGO vor. Gut möglich, dass dort ebenfalls der spielerische Ansatz von TALLINN Gefallen findet.
TALLINNs Türme scheinen es Risthaus besonders angetan zu haben. Von den einst über 40 Rundtürmen in der Stadtmauer der baltischen Metropole sind immerhin noch 26 erhalten. Ihr Erscheinungsbild prägt dominant das Cover der kleinen Schachtel und ist gleich doppelt auf den Rückseiten der 40 Spielkarten des Grundspiels zu sehen. Ansonsten prägen die zweigeteilten Karten Wappenbilder der einflussreichen Stände. In der Stadt des Deutschen Ordens und der Hanse waren das natürlich Kaufleute, Ritter und Kleriker.
Vom Spielziel her geht es ganz simpel um Mehrheitenwertung innerhalb der Stände und dadurch erzielte Siegpunkte, die während der Spielrunden und punkteträchtiger am Ende des Spiels durchgeführt werden. Der besondere Dreh, den Risthaus sich für TALLINN einfallen lässt, besteht in den zwei Kartenhälften. Alle verfügen über identische Kartensätze, deren Einsatz in den maximal zehn Spielrunden ganz unterschiedlich verläuft. Das liegt daran, dass von den zehn Karten nur jeweils drei als Handkarten zur Verfügung stehen und dass in jeder Runde entschieden werden muss, welche Kartenhälfte in die Wertung kommt. Schon die Startkarte mit einer Wertungsübersicht unterscheidet sich. Da besitzt jeder drei Wappen, ein Stand ist doppelt vorhanden, einer nur einmal und einer überhaupt nicht. Wer also mit zwei Kaufleuten und einem Mönch startet, wird sehr wahrscheinlich in der abwägenden Überlegung, ob er die Kartenhälfte mit drei Kaufleuten oder drei Rittern nutzt, sich für die Pfeffersäcke entscheiden. Alle Karten werden gleichzeitig verdeckt ausgespielt, sodass sich Mehrheitsverhältnisse ständig ändern. Das gilt es im Blick zu behalten, denn Dominanzen werden oft für Wertungsphasen genutzt. So gibt es sechs Karten, die jeweils auf einer Kartenseite eine Wertung eines Standes zur Folge haben. Die Karte selbst bringt allerdings nur einen zusätzlichen Punkt in die Wertung mit ein. Reicht die Mehrheit im direkten Vergleich mit den maximal drei Kontrahenten, gibt es jeweils zwei Siegpunkte, die auf einer Wertungsskala angezeigt werden. Ein Unentschieden bringt immerhin noch einen Punkt, wobei wichtig ist, dass nur der Wertende Punkte bekommt.
Mit den Wertungen kommen die Türme ins Spiel. Wer möchte, darf eine beliebige Karte seiner Auslage umdrehen, sodass eine Turmseite zu sehen ist, das darf auch eine Handkarte sein. Damit schränkt man aber seine Auswahlmöglichkeiten ein, da die Handkarten dann nicht mehr auf drei ergänzt werden. Zusätzlich ist man dann an den letzten Runden nicht mehr beteiligt. Wozu das Ganze dann? Wenn alle zehn Karten gespielt sind, kommt es zu abschließenden Schlusswertungen aller drei Stände, die diesmal im jeweils direktem Vergleich vier Siegpunkte bringen. Sechs Punkte lassen sich allerdings durch die Turmwertung erzielen, bei der es nur um numerische Überlegenheit bei den jeweils größten Gruppen geht.
Ein Umschalten auf die Turmwertung muss daher gut überlegt sein, da die eigene Auslage ja geschwächt wird und diese für die normale Schlusswertung durchaus noch von Bedeutung ist. Wer sieht, dass er bei einem Stand keine Chancen mehr hat, kann dessen Wappen als Turm versenken. Zumal dann beide Kartenhälften in die Wertung eingehen. Reizvoll kann dabei vor allem eine Karte sein, die auf beiden Seiten jeweils zwei Mönche zeigt. Als zusätzliche Bremse hat Risthaus allerdings eine Negativwertung eingebaut, die greift, wenn in den Schlusswertungen Differenzen von mindestens fünf Wappen auftauchen. Das kostet die Unterlegenen nämlich einen zusätzlichen Siegpunkt, damit beträgt der Reingewinn im direkten Vergleich genau die sechs Punkte, die die Turmwertung einbringt.
Risthaus ist mit TALLINN erneut ein kleines Kartenspiel mit reizvoller Balance durch verdecktes Kartenausspiel und Mehrheitenkampf in der Auslage gelungen. Zählhilfe, Wertungsübersicht und eindeutige Grafiken zeigen den routinierten Spieleautor, der zusätzlich Angebote für Erweiterungen macht. Inkludiert sind das LEGAT DES KAISERS mit Jokerwappen und DIE CHRONIK mit Zusatzwertungen. Zusätzlich gibt es DIE ALTEN, die Einfluss auf die Turmwertung nehmen, und DIE VERSAMMLUNG, die weitere Figuren für die Endwertung einführt. Am Grundprinzip des Spiels ändert sich durch die Erweiterungen wenig. Das ist auch nicht nötig, da dieses Prinzip für ein unterhaltsames Geplänkel zwischendurch völlig ausreicht.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: TALLINN
Autor: Stefan Risthaus
Verlag: Ostia-Spiele
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 15 Min.
Preis: ca. 22 Euro (mit allen Erweiterungen)
Spiel 52/2017