
Was für eine Aussicht! Über den Dächern von Manhattan scheinen eine Bauarbeiterin und ein Bauarbeiter sich auf ihr Frühstück vorzubereiten, den Hudson bei blauweißem Himmel im Blick. Charles Clyde Ebbets ist wohl das große Vorbild für den französischen Grafiker Vincent Dutrait (LEWIS & CLARK, AUGUSTUS etc.). Er variiert Ebbets bekanntes „Lunch atop a Skyscraper“ und versetzt es mit politisch unzeitgemäßer Korrektheit ins New York der vorletzten Jahrhundertwende.
Der kanadische Autor Chenier La Salle darf sich jedenfalls über eine fantastische Covergestaltung seiner ersten Spieleveröffentlichung NEW YORK 1901 freuen. Auch auf der Rückseite des Spielplans überließ der Verlag blue orange seinem Grafiker Spielräume. Die vier Bilder auf der üblicher Weise einfarbigen Rückseite sehen wie weitere Coverentwürfe aus, die zwar nicht ganz mit der ausgewählten Fassung mithalten können, aber durchaus Atmosphäre besitzen.
Der Bauboom zu Beginn der 20. Jahrhunderts hat es La Salle angetan. Er lässt zwei bis vier Bauunternehmer Anteil am Hochhausbau in New York nehmen. So begeistert wir Spieler erst einmal vom Cover sind, so ernüchternd kommt dann das reine Spiel eher abstrakt daher. Es läuft nur zweidimensional mit Legeplättchen ab. Immerhin ist unser Punkteanzeiger ein nicht ganz zeitgemäßes Abbild des Empire State Buildings, da es erst 30 Jahre nach der Bautätigkeit im Spiel errichtet wurde.
Der Spielplan kommt sehr bunt daher, farbige Bauplätze, die durch Straßen getrennt sind, werden Baubereichen zugeordnet. Dort errichten die Spieler Hochhäuser, dafür hat jeder eine Startimmobilie und ein identisches Set aus 18 Wolkenkratzern, die nach Entwicklungsstufen geordnet sind. Für das Vorbereiten von Bauplätzen stehen vier Arbeiter zur Verfügung, zusätzlich bekommt jeder drei Aktionskarten. Wer am Zug ist, erwirbt Land und okkupiert es mit einem Arbeiter, zusätzlich kann das Land sofort bebaut werden. Gebäude können auch durch neue, höhere Entwicklungsstufen ersetzt werden. Dafür gibt es Siegpunkte. Landerwerb und eventuelles Bauen und Abriss mit Wiederaufbau sind getrennte Aktionen, für eine von beiden muss der Bauherr sich entscheiden.
Wo und wie groß gebaut werden darf, regeln Grundstückskarten. Vier liegen stets offen aus, von denen der Spieler, der diese Aktion wählt, eine nehmen muss. Beim Bau achten die Bauherren nur noch auf Bedingungen wie Straßen- oder Parkanbindung. Die einfachen bronzenen Hochhäuser können durch silberne und die wiederum doch goldene überbaut werden, die immer punkteträchtiger werden. Jeweils einmal darf jeder einen der realen legendären Wolkenkratzer errichten, die neun bis 13 Siegpunkte bringen. Der Hochhausbau endet, wenn ein Spieler nur noch vier nicht errichtete Hochhäuser vor sich liegen hat oder wenn die Grundstückskarten ausgehen. Aktionskarten für die Spielrunden, Bonuskarten für die Schlusswertung ergänzen das Grundspiel.
Für die ersten Runden macht es Sinn, dem Einsteigerspiel zu folgen. Es führt in die Standardregeln gut ein, sodass alle ein Gefühl für Landerwerb, Häuserbau und -abriss erhalten. Das Spielende wird hierbei über die Siegpunktleiste eingeläutet. Es tritt dann ein, wenn einer die 50-Punkte-Grenze überschreitet.
Im Grunde genommen ist NEW YORK 1901 ein klassisches Legepuzzle, das in starker Abhängigkeit von nur vier Bauplatzoptionen abläuft. Die daraus entstehenden Zwänge sind ziemlich groß, sodass langfristige strategische Bauplanung nur bedingt möglich ist. Das Problem haben aber alle, jeder versucht das Beste aus den gegebenen Bedingungen herauszuholen. Da alle identische Bauteile haben, machen die Unterschiede bei den legendären Wolkenkratzern ganz schön viel aus. Früh Plätze dafür frei zu blocken, macht Sinn, vor allem, wenn man die 13 Punkte für den Woolworth-Tower kassieren will. Das gilt ebenfalls für die unterschiedlichen Bonus-Wertungen am Ende. Diese bringen fünf Siegpunkte für Straßendominanz oder Belohnungen für noch stehende einfache Wolkenkratzer. Je nach Karte, die ins Spiel kommt, verlaufen die Runden anders.
Zu zweit kommen sich die Bauherren fast gar nicht in die Quere, obwohl im Rosa-Viertel nicht gebaut wird. Zu viert ist die Interaktion am höchsten, da wird es richtig eng und aggressives Spiel macht den Bau großer Gebäude schwer. In dieser Zusammensetzung dauert NEW YORK 1901 eine gute Stunde, sonst reichen meist zügige 45 Minuten aus, Zweierpartien sind schon nach einer halben Stunde vorbei.
Die Regeln sind schnell verstanden. Da es nur zwei Handlungsoptionen gibt, stellt das Spiel auch für Grundschüler keine große Hürde dar. Daher ist NEW YORK 1901 ein ordentliches Familienspiel, um das Vielspieler aber eher einen Bogen schlagen. Der Glücksfaktor mit den nur vier ausliegenden Grundstückskarten ist einfach zu groß. Bei aller optischen Schönheit des Covers, die Zweidimensionalität im Legespielablauf führt uns schnell in die Niederungen eines nicht unbedingt originellen Spiels zurück.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: NEW YORK 1901
Autor: Chenier La Salle
Verlag: Huch! & friends / blue orange
Spielerzahl: 2 – 4 Spieler
Alter: ab 8 Jahren
Dauer: ca. 30 - 60 Minuten
Preis: ca. 40 Euro