
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Wir sind …
Ein neuer Plural majestatis findet Eingang in die sich ständig verändernde deutsche Sprache. Die Bildzeitung hat mit „Wir sind Papst“ damit begonnen, inzwischen gilt für unser merkelwürdiges Land „Wir sind Deutschland“, demnächst wird es heißen „Wir sind Weltmeister“ - oder auch nicht. In diesem Sinne wollen Amigo und Uwe Rosenberg uns seit Herbst 2005 unterjubeln, wir seien schwanger. Also auch Du (seit gestern wieder groß zu schreiben), ja Du, natürlich auch der Rezensent: WIR SIND SCHWANGER!
Eigentlich gibt es ja nur ein Problem bei der Schwangerschaft, natürlich nicht der Zeugungsakt, auch nicht die Geburt, die Einigung über den Namen des Heranwachsenden hat Familien schon Kriegsbeile auspacken lassen. Zur Streitschlichtung bietet Rosenbergs Spiel einen Fundus von 2600 Vornamen an. Ein bis dreimal, abhängig von der Spielerzahl, trifft jeden der Spielrunde die Schwangerschaft. Der Schwangere, die weibliche Form lassen wir, wie in Spielbeschreibungen üblich, außen vor, zieht zwei Namenskarten und legt eine vor sich ab. Auf der Karte sieht er die Vornamen von 10 Mädchen und 10 Jungen. Immerhin darf er nun entscheiden, ob der Ultraschall das Zipfelchen gezeigt hat oder nicht, dann legt aber die zweite Karte durch eine Pfeilrasterung exakt den Vornamen fest. Skylla und Charybdis! Da liegen die W’s vor mir und ich darf mich gerade einmal zwischen Wastel und Wella entscheiden. Der eigene Nachname muss jetzt auch noch herhalten, also biete ich der lauernden Meute den Wastel oder die Wella Herold an?
Das ist das Vorspiel, das sich sehr zügig abspielt. Der Höhepunkt von WIR SIND SCHWANGER ist die nun folgende Bewertung und dieser Teil kann sich hinziehen. Jeder Spieler besitzt dazu einen Kartensatz mit 20 bewertenden Kommentaren, die durchaus aus dem Leben gegriffen sind.
„So würde ich vielleicht mein Haustier nennen, aber bestimmt nicht mein Kind.“
„Als Elternteil würde ich mich schämen, auf dem Schulhof den Vornamen dieses Kindes rufen zu müssen.“
„Erst bekommt das Kind diesen Nachnamen und nun auch noch diesen Vornamen. So ein Pech!“
Es überwiegen die negativen Kommentare, was bei der Zwangszuordnung auch ganz sinnvoll erscheint. Alle Spieler suchen nach der Festlegung des Namens fünf Kommentarkarten aus, die zu der Namenskombination passen. Da ich mich für Wella entschieden habe, liege ich wahrscheinlich mit, „so könnte auch eine Damenbinde heißen“, nicht schlecht. Dann kommen noch die Pseudonymkarte, die lobende und einprägsame und die „Echt Cool“-Karte dazu. Schließlich geht es darum Übereinstimmungen mit anderen zu finden, aber leider nicht mit allen. Wenn ich also startend mit meiner „Damenbinde“ beginne und mindestens ein Mitspieler auf die gleiche Idee gekommen ist, erhalten wir beide zur Belohnung eine Namenskarte. Haben alle diese Assoziation gehabt, kostet mich das eine Karte aus meinem Startvorrat, das gleiche gilt, wenn niemand die Idee mit dem Haarspray hatte. So geht es reihum, bis ein Spieler keine Bewertungskarte mehr besitzt. Nach einer guten halben Stunde steht der Sieger von WIR SIND SCHWANGER fest.
Die Erregungskurve bei diesem Amigo-Spiel ist männlich, einer hohen Anfangseuphorie folgt ein jäher Absturz und das meistens schon während der ersten Spielrunde. Die Idee ist witzig, aber spielerisch nicht überzeugend. Die Alternativen bei den Bewertungskarten sind zu beschränkt, daher hat man schnell heraus, in welchem Kartenspektrum sich die Antworten bewegen können. Problematisch ist eigentlich nur die Verhinderung der vollen Trefferquote. Das kann es doch dann aber wirklich nicht sein. Das Spiel wird zwar seinen Geschenke-Weg gehen, idealer und launiger kann man doch gar nicht daherkommen, wenn die Linie blau war. Lohnend ist sicherlich das in Karten umgesetzte Namenslexikon, aber das war es dann auch, spielerisch lockt man so keine Babys hervor.
Titel: WIR SIND SCHWANGER
Autor: Uwe Rosenberg
Grafik: Barbara Spelger
Verlag: Amigo
Spieler:3 - 7 Spieler
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 8 Euro
Spiel 29/2006 R145/2021
Die Rezension erschien 2006 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder

Zum Spiel und zum Autor:
Seinen ersten Erfolg fuhr Rosenberg als junger Autor mit dem zweiten Platz für MILLENIUM 1991 im Hippodice Wettbewerb ein. Das Spiel erschien unter der Ägide von Peter Gehrmann 1992 als TIMES bei Salagames. Dort veröffentlichte der Redaktionsleiter außerdem noch die Idee MARLOWE von Uwe Rosenberg. Danach ergab sich die ertragreiche Kooperation mit Amigo.
BOHNANZA (1997) war dann sein erster ganz großer Erfolg, das Spiel landete nicht nur auf der Auswahlliste der Jury Spiel des Jahres. Es gewann den À la Carte-Preis der Fairplay 1997 und erreichte den fünften Platz beim Deutschen Spielepreis.
Der auch internationale Siegeszug setzte sich aber erst danach in Gang. Seit 23 Jahren schon liefert Amigo Gartenbohnen, Saubohnen und auch die ein oder andere Blaue Bohne in unendlich vielen gelben Schachteln aus. Keiner hat mehr so den rechten Überblick, was da alles in rosenbergscher Gartenerde inzwischen herangezüchtet wurde. Das klassische Saatgut wurde vielfach gemendelt und gegendert, musste sich gegen die Bohnenmafia wehren, trat Seereisen an, gelangte in den Wilden Westen und kämpfte sich in BOHNRÖSCHEN durch Rankenwerke.
Nach seinem Studium der Statistik gründete Uwe Rosenberg 2000 zusammen mit Hanno Girke und Marcel-André Casasola Merke den Lookout Spieleverlag. Er behielt aber im Gegensatz zu Klaus Teuber, der sich an Kosmos band, seine Unabhängigkeit und veröffentlichte weiter Spiele bei vielen Verlagen, so das Zweipersonenspiel BABEL 2001 bei Kosmos oder 2004 YELLOWSTONE PARK bei Amigo. SCHÄTZBOLD erschien 2004 bei Lookout.
Die großen Erfolge mit komplexen Aufbauspielen wie in AGRICOLA gönnte er aber Lookout Games.
Auch in der Folgezeit unterstützte er Neugründungen von Verlagen, so Feuerland und die Edition Spielwiese. Ganz aktuell hat er auch die Wyrmgold GmbH mit angeschoben und dem jungen Verlag ROBIN VON LOCKSLEY spendiert.
WIR SIND SCHWANGER kam 2006 bei uns nicht so gut an, immerhin erreichte das Spiel den 7. Platz beim à la carte.
Auf dem Bild ist der 29jährige Uwe Rosenberg 1999 in Essen mit seinem damaligen Gesamtprogramm zu sehen.