Montag, 6. September 2021
DIE AUGEN DER KALI
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
DIE AUGEN DER KALI
Auffallend ist es schon, wenn immer wieder Spiele mit nahezu identischen Spielmechanismen auf den Markt kommen. Mit dem Plagiatsvorwurf sollte man dabei allerdings nicht vorschnell sein. Dieses Jahr trifft es zwei renommierte Spieleautoren, die zu einer vergleichbaren Grundidee zwei völlig unterschiedliche Spielgeschichten erzählen. Auf der einen Seite Reinhold Wittig, dessen Fortbewegungsmechanimus in KULA KULA, vom Kartenaufdecken abhängt, auf der anderen Seite Alex Randolph, der eben dieses Kartenprinzip zur Fortbewegung in seinem neuen Spiel DIE AUGEN DER KALI verwendet.
Randolphs Spiel ist sein Beitrag zur Schmidtschen Autorenedition. Es gehört zu den schwächeren Spielen dieser Reihe. Der grundlegende Spielmechanismus bringt zwar wie bei Wittig Spannung, enthält aber Detailmängel, die nur mageren Spielreiz aufkommen lassen.
Die Göttin Kali bewacht, einer Medusa gleich, einen großen Edelsteinschatz. Um zu ihr zu gelangen, müssen 18 Fußspuren überwunden werden, ähnlich wie auf Wittigs Meeresspielfeldern können dort Juwelen eingesammelt werden. Diese Aufgabe übernimmt eine „Sklavenfigur“ - wieso eigentlich nicht Abenteurer oder Schatzsucher etc. ? -, die versucht, so nah wie möglich an die Göttin Kali heranzukommen, um so an immer größere Schätze zu gelangen.
Bei Wittig steuern 42 Orakelkarten den Weg der Schiffe, zwölf Götzenkarten unterbrechen den Weg. In Randolphs Spiel treiben 52 Karten den Sklaven voran, zwölf Geräusche- und zwei Schreckkarten beenden hier die Sammelaktivitäten. Wenn auch die Fortbewegungsmöglichkeiten von ein bis vier Feldern variantenreicher in dem Schmidtspiel scheinen und zusätzlich eine pfiffige Abkaufmöglichkeit besteht, so dass man den Spielstand eines Mitspielers übernehmen kann, bleibt doch das identische Grundprinzip auffallend. Da Wittigs Spiel in der Fassung der Edition Perlhuhn schon länger bekannt war, halte ich die Entscheidung von Schmidt Spiel und Freizeit, DIE AUGEN DER KALI in ihr Programm aufzunehmen, für problematisch.
Alex Randolph wird sicherlich nicht abgekupfert haben. Er ist bekannt für seine guten Mischungen von Spielprinzipien, die häufig auf Vorhandenes zurückgreifen.
KULA KULA und DIE AUGEN DER KALI gehen letztlich auf das 17-und-4-Prinzip zurück. Trotzdem sollten die Verlage Spielentwicklungen auch im Kleinverlagsumfeld mit berücksichtigen. Ein Käufer beider Spiele wird sich über den vergleichbaren Spielmechanismus ärgern.
Titel: DIE AUGEN DER KALI
Verlag: Schmidt Spiele
Autor: Alex Randolph
Spielerzahl: 2-6
Spieldauer: etwa 10 bis 20 Minuten
Preis: ca. 45.00 DM
Spiel 29/1993 R152 /2021
Die Rezension erschien 1993
Wertung Spielreiz damals 5 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder
Zum Autor:
Alex Randolph war der Kosmopolit unter den Spieleautoren. 1922 in Böhmen geboren. Seine Mutter stammte aus Colorado, sein Vater war Russe. Schon als Kind lebte er mehrere Jahre in Venedig, bevor er als Zehnjähriger in ein Schweizer Internat geschickt wurde. Ein Jahr vor dem Zweiten Weltkrieg ging die Familie zurück in die USA. Während des Krieges arbeitete er am Entschlüsseln feindlicher Codes.
Nach dem Krieg lebte er als Werbetexter und Romancier in Boston, bevor er 1961 mit Pentomino-Steinen sein erstes Spiel veröffentlichte. Randolph siedelte dann nach Wien um, spielte dort im Café Hawelka TWIXT mit Herbert Feuerstein, das bald als 3M-Spiel in einer edlen Buchschuberausgabe erschien und ihm einen mehrjährigen Aufenthalt in Japan finanzierte. Mitte der 70er Jahre fand der Spieleautor nach Venedig zurück, wo er 2004 starb.
Anfangs entwickelte er, inspiriert durch die Japanreise, hauptsächlich taktische Spiele für zwei, wie EVADE, BUFFALO und GEISTER. In den 80er Jahren erfand er erfolgreich viele Familienspiele wie SAGALAND, „Spiel des Jahres“ 1981, das er zusammen mit seinem engen Freund Michael Matschoss entwickelte. Es blieb zwar sein einziges „Spiel des Jahres“, für GUTE FREUNDE (1989) gewann er den ersten Sonderpreis „Kinderspiel“, was er mit LEINEN LOS! 1997 noch einmal wiederholte. INKOGNITO (1988) und VENICE CONNECTION (1996) bescherten ihm den Sonderpreis „Schönes Spiel“.
In den 90er Jahren arbeitete Randolph eng mit Johann Rüttinger zusammen, der auch XE CIAO CIAO … in sein Programm nahm. Posthum veröffentlichten Rüttinger und Kathi Kappler 2012 das lesenswerte Buch Randolphs „Die Sonnenseite. Fragmente aus dem Leben eines Spieleerfinders“.
In seinem 68. Lebensjahr wird der Philosoph unter den Spieleautoren mit dem Göttinger SPATZ ausgezeichnet, außerdem erhält er 1992 einen Sonderpreis für sein Lebenswerk beim Deutschen Spielepreis. Randolph gilt neben Sid Sackson als einer der ersten Spieleautoren, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Er hat schon in den 70er Jahren dafür gesorgt, dass Autorennamen auf den Schachteln auftauchten.
Das Bild zeigt Randolph 1993 in Essen.
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