Freitag, 1. Oktober 2021
DSCHINGIS KHAN
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Mauerbauer an der chinesischen Grenze: DSCHINGIS KHAN
Die großen Strategen Alexander und Karl hat Leo Colovini spielerisch schon in die Mangel genommen, in CLANS uns zu den Anfängen der Menschheit geführt und nun öffnet er sich asiatischer Geschichte. Wer eignet sich da besser als der Mongolenfürst DSCHINGIS KHAN, der 1215 Peking eroberte.
Der Venezianer Colovini hat bisher stets ein hervorragendes Gespür für historische Spiele bewiesen. Ohne zu komplex zu werden, gelang es ihm in den meisten Spielen, Zeitkolorit und Spielspaß zu gelungenen Symbiosen zusammenzuführen. Im Zentrum des neuen Winning Moves Spiels um den großen Khan steht die Chinesische Mauer, die ähnlich wie in seinem 2006 erschienenen Spiel MAUERBAUER das zentrale, äußerst flexible Steuerungselement des Spiels um den Mongolen ist.
Wir dürfen uns nun nicht die klassische Konfrontationssituation Chinesen versus Mongolen vorstellen, die auch eher nur für ein Duell von zwei Spielern getaugt hätten. Colovini entwirft seine Spielidee für zwei bis vier Spieler, die jeweils beide Seiten vertreten müssen. Zu ihren 17 achteckigen und stapelbaren Plastikspielsteinen gehören jeweils fünf mongolische und chinesische Krieger, außerdem fünf neutrale Bauern und ein Pest- und Heilkraut-Stein. Zusätzlich besitzt jeder Spieler eine Kundschafter-Figur. Acht von 28 Mauerteilen trennen mittig den Spielplan. Die Verbindungen werden zwischen Wachtürmen hergestellt, die sich an den Eckpunkten eines Netzgitters, das über den Landschaftsplan gedruckt ist, befinden. Im Zentrum der 38 Gitterfelder befinden sich Dörfer, deren Besitz am Ende über Sieg oder Niederlage entscheidet.
Am Anfang muss jeder seine Spielsteine mischen, stapeln und zwei ziehen. Erst jetzt darf man sie ansehen und im mongolischen oder chinesischen Teil, nördlich oder südlich der Mauer benachbart und verdeckt platzieren. Auf einen der beiden Steine kommt die Kundschafterfigur. Nun muss man wissen, dass Colovini die Mongolen in seinem Spiel gar nicht unbedingt in China haben will. Für die Schlusswertung gibt es jeweils drei Punkte, wenn chinesische Krieger südlich der Mauer, also in China sind, und Mongolen im Norden bleiben. Ist das nicht der Fall gibt es drei Punkte abgezogen. Bauern zählen auf beiden Seiten einen Pluspunkt. Die Pest, die in einem Dorf ohne Heilkräuter ausbricht, bringt für alle, unabhängig vom Standort, drei oder einen Minuspunkt. Im positiven Sinne gilt dies für ein Dorf ohne Pest aber mit Heilkräutern, da darf sich ein Chinese, der in der Mongolei lebt, wie in China fühlen.
Zurück zum Spielbeginn. Neben den drei auf dem Plan platzierten Spielsteinen erhalten die Spieler noch zwei Mauerteile und zwei weitere Spielsteine als aktiven Vorrat für die Spielzüge. Diese beginnen stets mit der Ergänzung des Vorrats um zwei Teile, die beliebig gemischt sein dürfen. Die einzige Begrenzung ergibt sich aus der Maximalzahl von vier Mauer- oder Spielsteinen, die man vor sich liegen haben darf. Als zweite Aktion kommt es zum Einsatz der Spielsteine. Dabei müssen entweder alle Mauern oder alle Spielfiguren gesetzt werden. Für die Verteilung der Steine sorgt die Kundschafterfigur, die in der Regel vom Ausgangsstandort aus sich in benachbarte Dörfer bewegt. Zu Beginn des Spiels stellt auch die Mauer kein Hindernis dar, da sie durch ein Tor eine Unterquerung ermöglicht. Der Kundschafter darf sich außerdem auf der Mauer bewegen und diese an beliebiger Stelle mit offenem Tor verlassen. Mauerteile, die so genutzt werden, müssen danach umgedreht und damit geschlossen werden. Besetzt werden dürfen freie Dörfer, aber auch Orte, in denen sich schon andere Spielsteine außer den Kundschaftern befinden. Der jeweils oben liegende Spielstein besitzt und kontrolliert das Dorf, der entsprechende Spieler darf sich zum Beispiel auch alle dort liegenden fremden Spielsteine anschauen. Beim Mauerbau ist zu beachten, dass dieser als Verbindung zwischen den Türmen stets in Verbindung zur Großen Mauer erfolgen muss. Sobald dadurch entstehende Mauerschleifen wieder zur Hauptmauer zurück geführt werden, muss das kürzere Mauerstück entfernt werden, denn es darf stets nur eine durchgehende Mauer existieren. Die neu gesetzten Mauerteile sind stets offen, ermöglichen damit den Wechsel auf die chinesische oder mongolische Seite. Durch das Schließen der Mauer, können Kundschafter bewegungsunfähig werden. Deshalb darf in einem solchen Fall diese Figur statt des sonstigen Einsetzens vom Spielbrett genommen werden. Wobei der Kundschafter in der nächsten Runde von einem eigenen Dorf oder beliebigen Feld aus startet.
Wenn keine Mauern und keine Spielsteine einer Farbe mehr im Vorrat liegen oder wenn das für die Spielsteine zweier Farben gilt, wird die letzte Spielrunde eingeläutet. Jeder ist noch einmal an der Reihe, bis schließlich jedes Dorf wie oben beschrieben gewertet wird.
Auch wenn es thematisch durchaus stimmigere Spiele Colovinis gegeben hat - die wandernde Mauer und die Mongolen, die gar nicht nach China wollen, sind schon eigenartig -, die Spielideen wirken aber erst einmal interessant. Die Umsetzung von Winning Moves ist gefällig, auch wenn das viele Plastikmaterial erst einmal erschlägt, seiner Funktion wird es aber gut gerecht. Die Bewegungsmöglichkeiten mit dem Kundschafter durch die Mauer und über die Mauer an vielen Stellen auftauchen zu können sind interessant, das Schicksal mit Hilfe der Verschiebung der Mauer beeinflussen zu können ebenfalls. Trotzdem ist keine meiner bisherigen Spielrunden vor Begeisterung zu neuem Mauerbau angetreten.
DSCHINGIS KHAN erweist sich als Konstrukt mit aufgesetzten Spielelementen. Ein Hauptproblem besteht in den verdeckt liegenden Spielsteinen. Immer wieder kauft man die Katze im Sack ein, wobei Veränderungen leider doch nicht so einfach vonstattengehen, wie das Spiel vorgaukelt. Wer meint, hinter einem Spiel mit dem Titel DSCHINGIS KHAN müsse sich ein taktischer Leckerbissen verbergen, wird enttäuscht. Wer gerne Mauerteile verschiebt, sollte dann doch besser zu dem bei Schmidt erschienenen MAUERBAUER von Colovini greifen und die CHINESISCHE MAUER in der Knizia-Fassung von Kosmos in Angriff nehmen.
Titel: DSCHINGIS KHAN
Autor: Leo Colovini
Grafik: Claus Stephan
Verlag: Winning Moves
Spieler: 2- 4
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: ca. 30 bis 45 Minuten
Spiel 06/2007 1996 R170/2021
Die Rezension erschien 2007 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zum Spiel und zum Autor:
der promovierte Historiker Leo Colovini ist mit rund 100 Veröffentlichungen der wohl bekannteste Spieleautor Italiens. Schon als 12jähriger lernte der Venezianer Alex Randolph in einem Schachclub kennen. Daraus erwuchs eine lange Freundschaft. Über den Status des Spieletesters wurde er bald Co-Autor. 1986 war DRACHENFELS die erste Veröffentlichung beider Autoren. Nur zwei Jahre später bekam er mit Alex Randolph eine Auszeichnung für INKOGNITO (1988).
1995 gründete er gemeinsam mit Randolph und Dario de Toffoli den Spielerverlag Venice Connection. Er gehört außerdem zum Team von Studiogiochi, das u.a. verantwortlich für den Premio Archimede ist, der nach der Corona-Pause im letzten Jahr in diesen Tagen in Venedig vergeben wird.
Nachdem Colovini sein Geschichtsstudium mit einer Arbeit über Karl den Großen (Carolus Magnus) und die Langobarden in Italien abgeschlossen hatte, entwickelte er daraus das Spiel CAROLUS MAGNUS, das ihn zu seiner ersten Nominierung zum Spiel des Jahres führte. 2002 gelang ihm das noch einmal mit CLANS.
Auch in DSCHGIS KHAN widmet er sich erneut einem historischen Thema. Das Spiel wird im Augenblick auf BGG mit 5,2 bewertet, liegt damit auf dem allgemeinen Platz 19.361, bei den abstrakten Spielen sieht es mit Platz 993 etwas besser aus. (Stand 28.09.21)
2016 galt er als der geheime Gewinner des Kinderspielpreises für LEO MUSS ZUM FRISÖR (vgl. Bild), für dieses Spiel von Abacus erhielt er die Kinderspielauszeichnung des Deutschen Spielepreises.
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