Freitag, 8. Oktober 2021
HART AN DER GRENZE
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Brasilianischer Bluff: HART AN DER GRENZE
Für uns Europäer gehören Grenzerfahrungen wie sie die brasilianischen Spieleautoren André Zatz und Sergio Halaban in dem Kosmos-Spiel HART AN DER GRENZE spielerisch anbieten fast der Vergangenheit an. Für die Nachwendegeneration, die die alten Ostblockgrenzschikanen nicht erlebt hat, sind es schon grenzwärtige Erlebnisse, wenn ein Zollbeamter den Koffer öffnen lässt. Auch wenn sich kein zusätzlicher Alkohol, weitere Zigarettenstangen oder antikes Strandgut im Gepäck befinden, ein ungutes Gefühl bleibt, wenn die schmutzigen Handtücher, die verknitterten Hemden und die Unterwäsche der letzten 14 Tage durchwühlt werden.
Wer das Kribbeln im Bauch spüren möchte, wer keine Chuzpe bei Bestechungsversuchen besitzt, wer gerne blufft, für den könnte HART AN DER GRENZE eine reizvolle Herausforderung sein. Freude kommt schon beim Spielmaterial auf, in sechs handlichen Metallköfferchen führen die Spieler erlaubtes und unerlaubtes Gut über die Grenze. Neben den eher traditionellen Leder- und Karokoffern, passiert auch ein CATAN-Koffer die Grenze, wer seine CATAN-Sammlung nicht unvollständig lassen möchte, kommt daher an HART AN DER GRENZE nicht vorbei.
Jeder startet mit seinem Metallkoffer, etwas Geld, fünf Warenkarten, einem Spielstein "Beschlagnahme" und bei fünf oder sechs Spielern noch einem weiteren zur „Zusatzkontrolle". Der ehrlichste Spieler darf als Grenz-Sheriff der erste Kontrolleur sein. Sobald jeder Spieler einmal diese Rolle übernommen hat, endet eine Spielrunde, nach insgesamt drei Runden schließt meist nach etwa einer Stunde das Spiel.
Neben den drei legalen Waren Krüge, Maracas und Sombreros gibt es ebenso viele illegale Schmuggelwaren, nämlich feinste Zigarren, hochprozentigen Tequila und aztekische Statuen. Rund zwei Drittel der Karten sind legal, sie bringen beim Verkauf mit zwei bis vier Dollar keine allzu großen Einnahmen, anders sieht es bei den illegalen Waren aus, die immerhin sieben bis zwölf Dollar einbringen. Die Spieler sind daher erst einmal abhängig von der Kartenzuteilung. Dabei wird man sogar zum Schmuggler, wenn nur legale Waren ausgeführt werden. Das liegt daran, dass man bei der Zollkontrolle nur eine legale Ware deklarieren darf.
Von den fünf Warenkarten legt jeder Spieler beliebig viele in seinen Koffer, um dem kontrollierenden Sheriff dann treuherzig mitzuteilen, dass sich nun garantiert nur zwei ganz legal ausführbare Sombreros dort befänden. Eine solche Aussage verlangt der Grenzbeamte von allen Kofferträgern, um dann zu entscheiden, welchem dieser Halunken er am meisten misstrauen sollte. Nur einen Koffer darf er öffnen, allerdings einmal im Spiel einen zweiten vollständig beschlagnahmen oder beim Spiel zu fünft und zu sechst einmal einen weiteren kontrollieren. Wenn der Sheriff Pech hat, gerät er an einen ehrlichen Zeitgenossen, den es aber bei HART AN DER GRENZE nur selten gibt. Ehrlichkeit wird belohnt und bringt immerhin geringfügige Entschädigungszahlungen, die nicht der Kontrolleur leisten muss, sondern aus der Spielkasse beglichen werden. Wer nur auf Ehrlichkeit setzt, wird das Spiel aber nicht gewinnen können. Deshalb darf der Sheriff recht sicher sein, dass er mit dem Fingerzeig auf den zu öffnenden Koffer meist ein paar Dollar angeboten bekommt. Sowohl er als auch der Kontrollierte wissen, dass das die einzige Einnahmequelle für den Sheriff in diesem Spielzug sein wird. Daher entwickelt sich stets ein abwägendes Pokerspiel zwischen den beiden Kontrahenten. Falls keine Einigung erfolgt, wird jede nicht deklarierte Ware eingezogen und es muss Strafzoll bezahlt werden, der bei Statuen immerhin acht Dollar beträgt.
Sobald jeder einmal Sheriff war, endet die erste von den drei Spielrunden. Alle Waren dürfen nun zum offiziellen Preis verkauft werden, wobei bis zu drei Warenkarten unter dem Koffer gebunkert werden dürfen, um sie eventuell am Spielende für den doppelten Preis verkaufen zu können. Die Bonuszahlungen am Ende erfolgen nur in begrenzter Anzahl. Abhängig von der Spielerzahl dürfen zum Beispiel nur zwei bis vier Statuen für je 24 Dollar verkauft werden. Den Zuschlag erhalten die Spieler, die die meisten Waren besitzen, sobald die Verkaufszahl erreicht ist, gehen die restlichen Spieler leer aus. Wer nach diesem Schlussverkauf das meiste Geld hat, gewinnt Hart an der Grenze.
Das Schmuggelspiel ist schnell erklärt, große Zugangsschwierigkeiten treten nicht auf, der Aufforderungscharakter durch die Metallkoffer ist hoch. Angetan von HART AN DER GRENZE sind Spieler, die das verbale Duell, das Rollenspiel mögen, die können schummelnd und feilschend zu Höchstform auflaufen. In solchen Runden ist das Kofferpacken aus Brasilien ein Hochgenuss. Großen Tiefgang darf man allerdings nicht erwarten. Kritik muss man, bei aller Spielfreude, allerdings am Kartenhandling üben. So schön die Metallkoffer sind, so umständlich lassen sich die Warenkarten aus ihnen herauspulen. Insgesamt müssen die Spieler auf eine gute Kartenlogistik achten, sonst kommen sie schnell durcheinander. Da hat man die Handkarten, dann die Karten, die zum Schmuggeln anstehen, außerdem Warenkarten, die den Zoll schon passiert haben und noch die Karten unter dem Koffer für die Schlussrunde. Da heißt es aufpassen. Aber das gilt ja für das ganze Spiel, damit der treue Augenschlag und das überzeugend vorgetragene: „Ich habe nichts zu verzollen, im Koffer sind nur Tonkrüge!“ vom Zöllner auch akzeptiert wird.
Titel: HART AN DER GRENZE
Verlag: Kosmos
Autor: André Zatz, Sergio Halaban
Graphik: Michael Menzel
Spieleranzahl: 3-6
Alter: ab 10 Jahre
Dauer: 45-70 Min.
Preis: ca. 30 Euro
Spiel 33/2006 1996 R175/2021
Die Rezension erschien 2006 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zu den Autoren:
André Zatz und Sergio Halaban dürften die erfolgreichsten brasilianischen Spieleautoren sein. Mit über 40 Veröffentlichungen, viele gemeinsam, stehen sie sehr ordentlich da.
Mit dem Wahlspiel CORRIDA PRESIDENCIAL starteten sie ihre Autorenkarriere 1998 gemeinsam. HART AN DER GRENZE landete auf der Empfehlungsliste der Jury Spiel des Jahres 2006, das Nachfolgerspiel SHERIFF OF NOTTINGHAM bekam zwischen 2014 und 2016 ganz viele Auszeichnungen.
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