
Fast eintausend Jahre alt: Das Regensburger Zahlenspiel
Die Firma Heros ist bekannt für Holzbausteine in der bunten Tonne, einige Kinderspiele hat der Verlag auch im Programm. Fast wie ein Fremdkörper wirkt da ein uraltes Zahlenspiel.
Der Zusammenarbeit des Forums Mittelalter der Universität Regensburg und dem Verlag aus dem bayerischen Wald ist es zu verdanken, dass eins der rätselhaftesten und ältesten deutschen Spiele käuflich zu erwerben ist: DIE REGENSBURGER RITHMOMACHIE.
In Süddeutschland ist das Spiel seit dem 11. Jahrhundert bekannt. Die Herausgeber der Heros-Fassung führen es auf einen Mönch Asilo aus Würzburg zurück. Um 1090 ist ein Ableger Im Kloster Sankt Emmeran in Regensburg aufgetaucht, an der sich die Heros-Ausgabe teilweise orientiert. Abraham Riese Sohn des bekannten Adam, hat das Zahlenspiel 1562 erstmalig in einer deutschen Fassung veröffentlicht. Ein Jahrhundert später soll die REGENSBURGER RITHMOMACHIE beim Adel ebenso beliebt gewesen sein wie das Schachspiel. Der Herzog August von Braunschweig Wolfenbüttel beschreibt sie 1616 unter dem Pseudonym Selinus gleichwertig neben dem Schachspiel. Im 18. Jahrhundert Gerät das Zahlenspiel allerdings in Vergessenheit.
Über die Regeln des Zahlenkampfes herrscht große Unklarheit; erst im 16. Jahrhundert kristallisierten sich einzelne Kernpunkte heraus. Das Spielbrett müssen wir uns als doppeltes Schachbrett vorstellen. Die beiden Kontrahenten im zahlen Kampf besitzen 24 Spielsteine, jeweils acht runde, drei- und viereckige. Diese Spielsteine sind mit Zahlenwerten versehen die sich unter Verwendung von speziellen seit der Antike bekannten Proportionen die auch für die Charakterisierung von Tonverhältnissen der Musik und Längenverhältnissen in Geometrie (Architektur) und Astronomie bedeutsam sind, errechnen lassen. So gehen die runden weißen Spielsteine erst einmal von den geraden zahlen 2, 4, 6 und 8 aus und werden durch ihre Quadratzahlen ergänzt. Bei den schwarzen runden Steinen geschieht dies entsprechend für die ungeraden Zahlen. Für die dreieckigen und viereckigen Steine werden alternierend die Zahlenverhältnisse von 3:2 bis zu 10:9 auf die beiden Parteien verteilt und danach die Werte ausgerechnet, so das weiß die Zahlen 6, 9, 20, 25, 42, 49, 72, 81 (dreieckig) und 15, 45, 81, 91, 153, 169 und 289 (viereckig) erhält, schwarz dagegen die Zahlen 12, 16, 30, 36, 56, 64, 90, 100 (dreieckig) und 28, 49, 66, 120, 121, 190, 225 und 361 (viereckig). Beide Spieler haben einen Pyramidenstein, der aus übereinander liegenden Quadraten besteht. Für weiß ist es der Stein 91 (gebildet aus 36 + 25 + 16 + 9 + 4 + 1), für schwarz die 190 (gebildet aus 64 + 49 + 25 + 16).
Die Spielsteinformen ziehen unterschiedlich weit nach der Regensburger Ausgabe wird festgelegt, dass die runden Steine zwei Felder ziehen, die dreieckigen drei und die viereckigen vier, dabei dürfen sie rechtwinklig abbiegen. Das bedeutet für die runden Steinen einen Diagonalschritt, für die dreieckigen einen Rösselsprung und für die viereckigen zwei Diagonalschritte bzw. einen Rösselsprung mit weiterführendem senkrechten oder waagrechten Schritt. Wie im Schach gibt es eine feste Grundaufstellung, durch die jeweils Felder in den ersten vier Reihen belegt werden.
Unter bestimmten Bedingungen können Spielsteine geschlagen werden, wenn beispielsweise Steine mit gleichem Wert aufeinandertreffen. Unabhängig vom Wert gilt ein von vier Seiten umzingelter Stein als geschlagen. Wird ein gegnerischer Spielstein von zwei Seiten in die Zange genommen, gilt er als geschlagen, wenn mit Hilfe von Rechenoperationen sein Wert erreicht werden kann. Am überraschendsten kann der „Überfall“ sein, der Bewegungen über die normale Zugweite hinaus zulässt. Bei diesem Zug werden Rechenoperationen von Spielstand, Wert und Anzahl der Zugschritte zugelassen, die dann dem angegriffenen Wert entsprechen müssen. Zusätzlich kann der Wert eines angrenzenden eigenen Steins mit in die Berechnung einbezogen werden.
Bei den Pyramiden ist besonders zu beachten, dass sie zwei angreifbare Zahlenwerte besitzen, ihre Basis 36 beziehungsweise 64 und die Additionswerte. Wird die weiße Pyramide mit dem Wert 36 geschlagen, fallen weitere fünf Steine (4, 9, 16, 25, neben der 36) dem Angriff zum Opfer. Die Pyramiden müssen ähnlich wie der König im Schach besonders geschützt werden.
Im Laufe des Mittelalters haben sich zwei Varianten für das Spielende herauskristallisiert. Ein einfaches Ende für Anfänger, bei dem es nur auf den Wert der geschlagenen Steine ankommt, und eine komplexe mathematische Variante, die das Setzen von Folgen aus drei Zahlen mit bestimmten Mittelwert-Eigenschaften verlangt.
Analog dazu wird im Spiel eine einfache Fassung vorgeschlagen, bei der man am Anfang auch mit Kindern spielen kann. Als Rechenoperationen wird nur die Addition zugelassen. Gespielt wird, bis eine vorher festgelegte Punktzahl erreicht ist. Im Spiel für Fortgeschrittene kommen die Multiplikation und die Überfall-Regel dazu, gespielt wird hierbei auf 500 Punkte. Gute Mathematiker dürfen sich natürlich mit allen Rechenmöglichkeiten herumschlagen.
Will man sich aber dem eigentlichen mittelalterlichen Zahlenkampfspiel nähern, dann ist man mit der Variante für Fortgeschrittene, was die Schlagmöglichkeiten angeht, schon beim Original angelangt. Die Siegbedingungen sind aber ganz andere und für Nichtmathematiker schwer nachvollziehbare. Bei der REGENSBURGER RITHMOMACHIE geht es nicht um das Beseitigen von Steinen, sondern um das Bilden von Gruppen aus drei Spielsteinen, deren mittlerer einer Mittelwerteigenschaft genügt. Das kann das arithmetische Mittel sein, für das bei den Steinen 6, 9, 12 entsprechend die „9“ mittig sein müsste. Das aus der Musik bekannte harmonische Mittel muss ebenfalls erreicht werden, dabei verhält sich die größte der drei Zahlen zur kleinsten wie die Differenz zwischen der größten und der mittleren zur Differenz zwischen der mittleren und der kleinsten. Solche harmonischen Mittelwerte sind zum Beispiel 6,8, 12 oder 3,4, 6 oder 5,8, 20. Man gewinnt, wenn man als erster sowohl eine arithmetische als auch eine harmonische Dreierfolge in der Spielplanhälfte des Gegners platziert hat.
Regeltechnisch würde man heute von einem kaum ausgewogenen Spiel sprechen, die Harmonien lassen sich nämlich vernünftig nur aus dem Mischbestand beider Farben bilden. Die schwarzen Steine gelangen gar nicht zu einer harmonischen Stellung und bei der Farbe Weiß gibt es nur zwei Konstellationen. Um zu allen 18 möglichen harmonischen Mitteln zu kommen, dürfen geschlagene Steine wieder ins Spiel genommen und in eigene Siegstellungen mit eingebaut werden. Wichtig ist auch die Regel, dass angekündigt werden darf, wenn eine Dreierfolge gebildet werden soll. Die betroffenen Steine dürfen nicht mehr geschlagen werden.
Die REGENSBURGER RITHMOMACHIE erweist sich in seiner einfachen Spielform als ein hervorragendes Lernspiel, das auf ganz besondere Weise einen Zugang zur Zahlenwelt eröffnet. Für die Originalfassung muss man schon ein ausgesprochenes Gespür besitzen, ohne entsprechende Zahlentabellen ist man als Laie hoffnungslos verloren. Auf der Internetseite des Mittelalter Forums der Universität Regensburg gibt es aber ausführliche Hintergrundinformationen, die ein tieferes Einsteigen in die Materie zulassen (www.forum-mittelalter.org).
Heros hat den Spielplan auf nicht ganz knickfreies Leinen gedruckt, die Holzsteine sind von ordentlicher Qualität. Die Regel ist informativ, lässt allerdings Fragen offen, was sich aber aus der Geschichte des Spiels als Problem erklären lässt. Insofern gilt stets die „Spielart für Tüftler“, die der Kreativität beim Erfinden neuer Regel keine Grenzen setzt.
Es muss nicht immer etwas Neues sein, was anspruchsvollen Spielgenuss verspricht. Dieser Rückgriff auf die Anfänge des Spiels in Deutschland macht uns mit einem außergewöhnlichen Spielerlebnis bekannt, mathematisch konstruiert, als würde ein Tüftler wie Reiner Knizia dahinterstehen, dabei waren es Mönche, die ihre Zahlenweltsicht hiermit verarbeiteten. Edith Heister (Universität Regensburg) und Alfred Holl (Fachhochschule Nürnberg) verdienen Dank für ihre Bemühungen um das alte Zahlenspiel, ebenso wie der Verlag Heros, der für sein Verlagsprogramm einen neuen Akzent setzen konnte.
Titel: REGENSBURGER RITHMOMACHIE
Verlag: Heros
Autor: Mönch Asilo aus Würzburg, um 1030
Spieleranzahl: 2
Alter: ab 8 Jahre
Dauer: 30 bis 60 Min.
Preis: ca. 20 Euro
Spiel 17/2007 R183/2021
Die Rezension erschien 2007 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 6 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder

Zum Spiel:
Auf BGG wird das Spiel mit einem Ranking von 5,9 geführt. Hugendubel veröffentlichte
1987 ein lesenswertes Buch von Detlef Ilmer über das Zahlenspiel unter dem Titel RHYTHMOMACHIA