Montag, 1. November 2021
TURBULENTO
Hase und Igel auf dem Heuboden: TURBULENTO
Gute Spielautoren sind Künstler, die Bekanntes immer wieder neu erscheinen lassen, zumal dann, wenn mindestens eine originäre neue Idee mit verarbeitet wird. Reiner Knizia kann dies vorzüglich, Wolfgang Kramer auch, aber alle finden für mich ihren Meister in Heinz Meister. Genial wie er das indische CARROM in das Kinderspiel KARAMBOLAGE verwandelt hat und dafür mit dem damaligen Sonderpreis „Kinderspiel des Jahres“ (1995) belohnt wurde, unübertroffen sein Verschlüsselungscode in RÄTSELTURM und seine MÄDN-Variante ZAPP ZERAPP. TURBULENTO ist sein neuestes Meisterstück, das sich hinter seinen Erfolgen der letzten Jahre nicht zu verstecken braucht.
Die Grundidee stammt diesmal vom klassischen MEMO, das auch als einfache Spielvariante mit 15 von Gabriela Silveira wunderschön gezeichneten Tierpaaren gespielt werden kann. Den MEMO-Gedanken verknüpft Meister wieder einmal mit einer Geschicklichkeitskomponente. Seine raffinierte Idee diesmal: er lässt nicht die Stecknadel, aber die Tiere im Heuhaufen suchen. Der Heuhaufen ist in dem von Selecta umgesetzten Spiel der Boden der Spielschachtel. Die Tiere sind auf der flachen Seite von leicht gewölbten Holzspielsteinen abgebildet, die ein bisschen wie abgeflachte Toffifees aussehen. 15 Tiere liegen offen aus, auf dem gewölbten und leicht wackelnden Rücken sozusagen, ein Tier, der Pechvogel, liegt schon umgedreht im Stroh. Das ist die Ausgangslage für die Heinz Meister noch den richtigen Dreh finden musste. Das ist ihm auch gelungen und zeigt seine Qualitäten. Wer, wenn nicht er, wäre denn schon auf die Idee gekommen, mit Holzkugeln nach diesen Toffi-Tieren werfen zu lassen. Der Effekt ist überraschend: die flachen Tierholzscheiben sind erstaunlich wendesüchtig. Trifft man ihren Rand, liegen sie - ruckzuck - flach im Heu, so dass neben den offenen Tierscheiben sehr schnell nicht nur der Vogel umgedreht liegt, sondern Hase und Igel und anderes Getier.
Soweit die Spielidee, das Spiel selbst wird gesteuert über die Holzkugeln, von denen jedes der zwei bis vier Kinder ab vier Jahren vier erhält. Eine der Tierkarten wird aufgedeckt und der Spieler muss nun versuchen, das entsprechende mit gezieltem Wurf umzudrehen. Gelingt dies, erhält das Kind die Kugel zurück, misslingt es, bleibt die Kugel im Heu. Sollten Glückswürfe gelingen, bei denen sich zwei Steine umdrehen, erhält der treffsichere Werfer gleich zwei Kugeln zurück. Da von jedem Tier zwei Bildkarten im Spiel sind, tritt bald auch die Situation ein, dass es nichts umzudrehen gibt. Nun ist es gut, wenn die Spieler sich gemerkt haben, an welcher Stelle im Stroh die Tiere verschwunden sind. Wer das richtige Tier findet, erhält zur Belohnung eine Kugel. Wird ein falsches Tier aufgedeckt, dürfen die anderen Spieler auf die Suche gehen und Kugeln kassieren. Wer den Pechvogel aufdeckt, muss allerdings eine seiner Kugeln opfern. Das Spiel endet, wenn entweder alle Karten aufgedeckt sind oder wenn ein Spieler seine letzte Kugel verliert. Das Kind mit den meisten Kugeln gewinnt die Spielrunde.
Ich war erst skeptisch, ob kleine Kinder mit der Wurftaktik klarkommen, aber es klappt und da es so gut klappt, ist die Begeisterung der Kleinen umso größer. Durch den MEMO-Anteil haben Kinder zusätzlich beim Spiel mit ihren Eltern einen Vorteil, so dass sich TURBULENTO auch als Familienspiel eignet.
Die Umsetzung des Spiels in der Schachtel ist Selecta gut gelungen, die Toffi-Scheiben sind schon genial. Das Spiel kann allerdings kippen, zum Beispiel bei extrem guten Gruppen. Wer stets trifft, verliert keine Kugeln und da laut Regel nur verlorene Kugeln gewonnen werden können, ist es schon frustrierend, wenn es für erfolgreiche MEMO-Leistung keine Belohnung gibt. Da dem Spiel zwei Ersatzkugeln beiliegen, sollten die vorweg als Gewinnkugeln zur Verfügung stehen. In solchen Runden lässt sich nicht nur der Pechvogel, sondern jedes falsch aufgedeckte Tier mit Kugelverlust bezahlen. Frustrierend kann vor allem bei zwei oder drei Spielern auch die Situation sein, wenn ein Kind Schwierigkeiten mit dem Umdrehwurf hat. Dann kann nach vier Runden schon Feierabend sein, ohne dass die oft solche Defizite ausgleichende MEMO-Leistung zum Zuge kommt. Meistens klappt es aber bestens mit diesem neuen Heinz Meister Spiel, in dem es immer wieder turbulent zugeht.
Titel: TURBULENTO
Autor: Heinz Meister
Grafik: Gabriela Silveira
Verlag: Selecta
Spieler: 2- 4
Alter: ab 4 Jahren
Spieldauer: ca. 15 Minuten
Spiel 23/2007 R190/2021 Rezension erschien 2007 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Heinz Meister gehört zu den produktivsten und am längsten aktiven Spieleautoren in Deutschland. Mit Blick auf die Anzahl seiner Veröffentlichungen dürfte ihn nur Reiner Knizia übertreffen.
Besonders erfolgreich war und ist Heinz Meister mit Kinderspielen. Mit SCHWEINSGALOPP gewann er 1992 sowohl den Sonderpreis der Jury Spiel des Jahres als auch den des Deutschen Spielepreises. Auf diesen war er Anfang der 90er Jahre abonniert, er gewann ihn 1993 für VERFLIXT GEMIXT und 1994 für HUSCH, HUSCH, KLEINE HEXE. Ein Jahr später zeichnete ihn die Jury Spiel des Jahres mit dem damaligen Sonderpreis Kinderspiel für KARAMBOLAGE aus. ZAPP ZERAPP war dann fast wieder ein Doppelerfolg, mit Klaus Zoch zusammen gewann er 2001 den Deutschen Kinderspielepreis und eine Nominierung zum Spiel des Jahres.
TURBULENTO kam 2007 auf die Empfehlungsliste der Kinderspieljury.
Das Spiel besitzt eine Wertung von 6,5 auf BGG (Stand 30.10.).
Das Bild zeigt Heinz Meister auf der Spiel in Essen 2000.
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