
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Deutschlandreise á la Alan Moon: ZUG UM ZUG MÄRKLIN
Ohne Erweiterungen kommen erfolgreiche „Spiele des Jahres“ nicht mehr aus. Kosmos hat mit den SIEDLERN VON CATAN mit der Erweiterungsorgie begonnen, Hans im Glück hat sie extensiv mit CARCASSONNE fortgesetzt und in diese Riege reiht sich Days of Wonder mit ZUG UM ZUG-Nachfolgern ein. Nicht immer brachten die an die Originale angelehnten Erweiterungen Verbesserungen, wie es dabei um die dritte Erweiterung von Alan Moon steht, werden Sie gleich erfahren.
Vom Start weg war dieses geniale Eisenbahnspiel Moons erfolgreich mit seinem US- amerikanischen Streckenplan, kamen der Europaplan mit Bahnhöfen und unkalkulierbaren Tunneldurchfahrten, erst 2006 bietet das Spiel seiner deutschen Fangemeinde heimisches Ambiente. Und nicht nur das: Days of Wonder verknüpft dank einer gelungenen Kooperation die Brettspielwelt mit der der Spielzeugeisenbahnen. Ob damit neue Käuferschichten gefunden werden, weiß ich nicht, aber der Schachzug scheint genial, wenn die bisher uniformen Lokomotiven und Waggons ihren individuellen Märklin-Charakter erhalten.
ZUG UM ZUG MÄRKLIN bleibt natürlich die logistische Herausforderung mit Streckenbau und Zielkarten mittels Wagenkarten und platzierter Kleinwaggons aus Plastik. Die Märklin-Variante bietet aber viel mehr als einen Abklatsch des Originals, erstmalig tauchen Passagiere, Passagierkarten und Waren auf , zudem gibt es besondere Jokerkarten, die sogenannten "4+-Lokomotiven", die erst bei Zügen ab einer Länge von 4 Wagenkarten und mehr eingesetzt werden können.
ZUG UM ZUG MÄRKLIN benötigt deutlich mehr Vorbereitung als seine Vorgängerspiele. Punkteplättchen, das sind die Warensteine, müssen erst einmal in jede Stadt gelegt werden, meist ist es nur ein 2er-Pappchip, aber es gibt auch viele kleine Stapel mit abnehmenden Punktwert. Berlin wird seinem Hauptstadtstatus insofern gerecht, dass dort der einzige Viererstapel mit immerhin 7,6,5 und 4 Punkten liegt. In anderen Zentren wie Hamburg und München müssen sich die Spieler schon am Anfang mit 4 Punkten begnügen. Neben den 45 Eisenbahnwaggons erhalten die Spieler zu Spielbeginn jeweils drei Passagiere und vier Wagenkarten. Von den Zielkarten, die in dieser Version in je einem Stapel mit kurzen und langen Strecken aufgeteilt sind, müssen vier aufgenommen und mindestens zwei behalten werden. Auf den den meisten Lesern sicherlich bekannten Ablauf wird nur in aller Kürze eingegangen. Einerseits gilt es, die Zielkarten zu erfüllen, denn das bringt am Ende Zusatzpunkte, bzw. bei Nichterfüllung Punktabzug. Zum Streckenbau sammeln die Spieler farbige Waggonkarten, mit denen entsprechend farbige Bahnstrecken zwischen Städten bebaut werden, auch dafür gibt es Punkte, die sofort auf einer Wertungsskala angezeigt werden. Jokerkarten erleichtern den Streckenbau, im Laufe des Spiels können auch weitere Auftragskarten angenommen werden. Das Spiel geht in eine Schlussrunde, sobald ein Spieler nur noch ein oder zwei Waggons besitzt. Erst dann werden die Zielkarten ausgewertet, zusätzlich wird der Spieler mit den meisten erfüllten Aufträgen (bisher: längste Strecke) belohnt. Soweit das übliche Procedere mit seinem dynamischen Spielverlauf.
Sobald eine Strecke gebaut ist, darf ein Passagier in eine der beiden Städte gestellt werden, wobei in jeder Stadt nur ein Reisender stehen darf. Soll dieser Fahrgast reisen, kostet das eine vollständige Aktion. Seine Reiseroute führt weitgehend über eigene Strecken, die der Mitspieler dürfen dann benutzt werden, wenn zusätzlich Fahrgastkarten ausgespielt werden, die sich bei den Wagenkarten befinden. Außerdem darf ein Passagier jede Strecke nur einmal benutzen. In allen besuchten Orten, allerdings nicht im Startort, gibt es, sofern noch vorhanden, die Punktechips als Handelsgüter. Eine frühe Reise kann deshalb äußerst lukrativ sein, die Planungen der Gegenspieler, die sich zum Teil aus den aufgestellten Passagieren ablesen lassen, sind im Blick zu behalten.
Diese neue Form des Punktesammelns verändert deutlich die Taktik des Spiels. Wer dreimal lukrativ seine Passagiere in Deutschland herumschicken konnte und dabei durchaus mit 30 und mehr Punkten rechnen kann, muss sich nicht mehr so viel Mühe mit den Zielkarten geben. Das Problem war dem Autor sicherlich auch bewusst, der deshalb erstmalig die Erfüllung besonders vieler Aufträge mit einer Bonuskarte belohnt. Dem kommen außerdem die differenzierten Auftragsstapel mit den kurzen und langen Strecken entgegen. Der Deutschland-Plan selbst erzwingt einen anderen Spielrhythmus, das kleinmaschige Netz mit vielen Kürzeststrecken im Westen steht im deutlichen Gegensatz zu dem eher langstreckigen Osten. Das bedingt, besonders wenn nur zwei oder drei Spieler beteiligt sind, einen beschleunigten Streckenbau. Da werden keine Karten gehortet, wie beim Eisenbahnbau in den USA, sondern da schließt der Startspieler (der mit der besten Märklin-Sammlung natürlich) gleich am Anfang aus der Hand die Verbindung Köln-Düsseldorf. Sobald vier Spieler im Spiel sind, darf diese Strecke sogar dreimal gebaut werden.
Days of Wonder hat ZUG UM ZUG MÄRKLIN erneut hervorragend umgesetzt. Nicht nur für Märklin-Fans sind die vielfältigen Zugkarten ein Augenschmaus. Die Regel ist akzeptabel, Kenner der Vorgängerspiele werden kaum Probleme damit haben. Fehler sind wohl nie ganz zu vermeiden, nur gut, dass zumindest ein ganz grober geografischer Schnitzer nur noch im Spielaufbauplan der Regel erkennbar ist. Der dortige Spielplan zeigt nämlich Expansionsgelüste der Brüder Kwasnieski, die Tschechien vereinnahmt haben.
Die Werbebeigaben sind vielfältig: Das Märklin Gesamtsortiment kommt auf CD daher, das Days of Wonder-Programm sogar auf DVD.
Meine Kaufempfehlung am Ende hat nichts mit der Werbung zu tun, auch nichts mit dem Märklin-Ambiente, von mir aus hätten es Heros-Bahnen sein können. Das Spiel selbst überholt seine Vorgänger mindestens um Lokomotivenlänge. Es ist zwar fummeliger im Spielaufbau und auch beim Einsammeln der Punktechips braucht man ruhige Finger, aber deutlich weniger glücksbetont und spannender. Die indirekte Interaktion wächst, da das Mitspielerverhalten stärker im Blick sein muss. Damit ist ZUG UM ZUG MÄRKLIN aber auch anspruchsvoller als das Spiel des Jahres 2004. Ob wirklich achtjährige Kinder mit dieser Version klar kommen, bezweifele ich. Ab zehn Jahren und aufwärts wird Alan Moons Deutschlandreise aber zum Hochgenuss.
Titel: ZUG UM ZUG MÄRKLIN
Verlag : Days of Wonder
Autor : Alan R. Moon
Graphik: Julien Delval
Spieleranzahl : 2-5
Alter : ab 8 Jahren
Dauer : 30-60 Min.
Spiel 28/2007 R195/2021 Rezension erschien 2007 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 8 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder

Zum Spiel und zum Autor:
Alan Moon war in den 80er Jahren für Avalon Hill journalistisch tätig, arbeitete auch an der Spielentwicklung für diese Firma und für Parker Brothers. Dem deutschen Publikum wurde er Anfang der 90er Jahre durch Spiele wie AIRLINES (Abacus) und Spiele des Verlags White Wind bekannt, den er zusammen mit Peter Gehrmann gründete
In 1000er Auflagen erschienen die meisten Spiele bei White Wind so auch ELFENROADS, das später in der Version von Amigo als ELFENLAND Moons erstes „Spiel des Jahres“ wurde. Zwischen 1998 und 2004 war Moon besonders erfolgreich. Mit UNION PACIFIC (1999) und DAS AMULETT (2001) landete er auf der Nominierungsliste. 2004 gelang ihm sein größter Erfolg mit ZUG UM ZUG, zu dem in der Folgezeit verschiedene Varianten und Erweiterungen erschienen sind und immer noch erscheinen.
In dieser erfolgreichen Phase war Moon erster Vorsitzender der Spieleautorenzunft. Das Bild stammt aus einem Gespräch zweier Preisträger in Göttingen aus dem Jahre 2005. Werner Hodel und Alan Moon diskutieren, ob der Mississippi oder die Schiene der bessere Transportweg in den USA sei.
ZUG UM ZUG MÄRKLIN wird mit einer Wertung von 7,4 auf Platz 55 der Familienspiele auf BGG geführt (Stand 31.10.21). Das Original steht auf Platz 35. Unter Sammlern ist diese Ausgabe sehr beliebt und ist nur um die 100 Euro zu bekommen.