
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 201
Häuserbau in Italien
Spielen bildet! Das Geschlechtertürme im mittelalterlichen Italien Statussymbole waren, wissen wir spätestens seit CAMPANILE oder SAN GIMIGNANO. Dieses „Manhattan des Mittelalters“ taucht in Michael Schachts neuestem Amigo Spiel PATRIZIER zwar nicht auf, thematisch geht es aber sehr wohl um mittelalterlichen Häuserturmbau in neun beziehungsweise zehn italienischen Städten.
Die ständige Flucht der Spieleautoren in die Historie produziert ästhetisch wohl gefälligere Themen als aktuelle: Da wäre ein Wettkampf um die höchsten Müllberge wohl eher angemessen gewesen. Politisch weniger anrüchig und damit sicherlich auch besser zu vermarkten ist das, wenn zwei bis fünf Baumeister nach Ruhm und Ehre streben. Michael Schacht entwirft dazu einen leicht zugänglichen kartengesteuerten Bauwettkampf. Ruhmespunkte erhalten die Spieler, wenn sie mehr zum Turmbau in einzelnen Städten beitragen als Mitspieler, Punkte erhalten sie aber auch, wenn sie die richtigen Karten zu ihrem Häuserbau benutzen.
Der beidseitig nutzbare Spielplan zeigt im Spiel zu fünft zehn italienische Städte, sonst neun mit jeweils zwei Bauplätzen. Die maximale Zahl der dort zu errichtenden Stockwerke wird nur für die Städte und nicht für die Bauplätze vorgeschrieben, so können insgesamt fünf, sieben oder neun Stockwerke in fast beliebiger Verteilung errichtet werden. Entsprechend gibt es für diese Städte vier, fünf oder sieben Baukarten. Sind alle Stockwerke in einer Stadt auf beiden Bauplätzen errichtet, werden Ruhmespunkte verteilt. Der Spieler mit den meisten Bauanteilen im höchsten Turm erhält ein Plättchen, das den Punktwert der maximalen Stockwerke der jeweiligen Stadt entspricht, für den niedrigeren Turm gibt es mit sechs, vier und zwei Punkten entsprechend weniger. Im Falle des Gleichstands zählt für den Punktgewinn natürlich das höhere Stockwerk.
Sehr geschickt hat Michael Schacht den Kartennachschub in PATRIZIER geregelt. Jeder startet mit drei Auftragskarten für den Turmbau in den Städten. Die Karten tragen das jeweilige Stadtwappen und meistens einen von drei unterschiedlichen Patrizierköpfen. An jeder Stadt liegt eine Auftragskarte offen aus, wobei darunter auch Sonderkarten ohne Kopf sein können, die zum Beispiel ein Doppelwappen tragen und damit den Bau von zwei Stockwerken in einer Stadt ermöglichen, oder Verschiebekarten, die das Versetzen eines obersten Stockwerks in einer Stadt gestatten. Den Kartennachschub erhalten die Spieler in der Regel in der Stadt, in der sie bauen. Dadurch schafft Schacht es, die Optionsauswahl vielschichtig zu verknüpfen. Einerseits müssen die Spieler auf die Stockwerkmehrheit achten, andererseits geht es aber auch um den Baukartenerwerb, da Sonderkarten, zur richtigen Zeit eingesetzt, erhebliche Veränderungen bewirken. Schließlich ist es nicht von Nachteil, die Schlusswertung der Patrizierköpfe mit dem Blick zu behalten, da jeweils drei identische Köpfe sechs Ruhmespunkte bringen. Gewertet wird im Übrigen, sobald kein Spieler mehr eine Auftragskarte besitzt. Wer dann nach allen Stadtwertungen und den Punkten für die Köpfe die meisten Ruhmespunkte gesammelt hat, gewinnt.
Michael Schacht Spielidee ist wieder einmal genial einfach, entwickelt aber trotzdem eine erstaunliche Spieltiefe. Sicherlich ist der Glücksfaktor in dem Spiel recht hoch, wer aber PATRIZIER erfolgreich spielen will, muss über ein vorzügliches Gedächtnis verfügen und kann dadurch vor allem bei weniger Spielern das Spiel kalkulierbar machen. Bis auf die Ausgangssituation liefert PATRIZIER alle Informationen offen, so dass eine Abwägung der Chancen, ob Bauinvestitionen lohnen, sehr wohl möglich ist. Die Spieler haben zwar nur drei Baukarten zur Auswahl, aber sie haben es in einem gewissen Rahmen selbst in der Hand, wie ihre Handkarten mit der Zeit aussehen.
Eine Runde Turmbau in PATRIZIER geht erstaunlich schnell vorüber, die angegebene Spieldauer von 45 Minuten wird nur mit Grüblern am Spieltisch erreicht. In der Regel reichen 30 zügige Bauminuten, die zu Revancherunden einladen. Das macht auch deshalb Sinn, weil das Spiel von hinten deutlich besser kontrolliert werden kann und deshalb die letzten auch einmal die ersten sein sollten. Die grafische Umsetzung des Spiels ist gelungen, der Holzanteil - 149 gut stapelbare Stockwerke - ist beachtlich, die Regel lässt keine Fragen offen. Erneut ein gutes, elegantes Spiel des „Spiel des Jahres“ Preisträgers 2007, ein typischer Schacht, der etwas an KARDINAL UND KÖNIG erinnert und fast ebenso viel Spaß bereitet.
Titel: PATRIZIER
Verlag: Amigo
Autor: Michael Schacht
Graphik: Design Main
Spieleranzahl: 2-5
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 30-45 Min.
Preis: ca. 20 Euro
Spiel 6/2008 R201/2021 Rezension erschien 2008 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder

Zum Spiel und zum Autor:
Der 56jährige Michael Schacht ist gelernter Grafiker, in diesem Beruf hat er auch bis 2005 gearbeitet, bevor er sich entschied, vom Spieleerfinden zu leben. Inzwischen gehört er hinter Kramer, Kiesling und Knizia zur erfolgreichen zweiten Garde der deutschen Spieleautoren und kann rund 200 Veröffentlichungen vorweisen.
Wichtig war für seine Autorenkarriere der Hippodice Autorenwettbewerb, darüber gelangten Spiele wie TAXI (Spiel im Heft, 1992) und CHARTS (Piatnik,1996) zur Veröffentlichung. Den Wettbewerb 1998 gewann er mit KONTOR. Mit der Umsetzung durch Goldsieber gelangte Schacht 1999 erstmalig auf die Auswahlliste für das Spiel des Jahres, das er dann 2007 für ZOOLORETTO gewann.
„Spiele aus Timbuktu“ war ein Eigenverlag des Autors, in dem er preiswerte Bastelpackungen von Spielideen in Kleinstauflage anbot, außerdem viele Erweiterungen zu COLORETTO und ZOOLORETTO.
Das Bild zeigt Michael Schacht 2007 in Göttingen.
PATRIZIER wird auf BGG (Stand 11.11.21) mit einer Wertung von 6,6 geführt und liegt auf Rang 676 bei den Familienspielen.