Mittwoch, 3. Mai 2017
MAGIC MAZE
Der Jahrgang 2016/17 ist durch wenige Trends gekennzeichnet. Da sind vor allem die vielen ESCAPE-Spiele, dann draften wir ständig Karten und sogar an ganz alte Spielprinzipien wie das DOMINO wird wieder angeknüpft. Echte Innovationen sind rar, daher fallen Echtzeitspiele wie CAPTAIN SONAR und MAGIC MAZE besonders auf.
Kasper Lapp ist der Erfinder von MAGIC MAZE, ein Autor aus Kopenhagen, der mit seinem Spieleerstling voll überzeugen kann. Vom belgischen Verlag Sit down! gibt es zwar schon einige Spiele mehr auf dem Markt, aber unter den sieben Veröffentlichungen seit 2011 fallen wenige heraus, vielleicht noch EKÖ (2015) und ROCKWELL (2013). Mit MAGIC MAZE dürfte sich der Bekanntheitsgrad der Firma aus Éghezée, einem kleinen Ort aus dem wallonischen Teil Belgiens, deutlich ändern. Im Gegensatz zu EKÖ, das gerade einmal in acht Ländern vertrieben wird, kommt MAGIC MAZE jetzt schon auf einen Vertrieb in neunzehn Staaten.
Wie ist der Erfolg der thematisch an den Haaren herbeigezogenen Spielidee erklärbar? Lapp lässt den Raub auf vier typische Fantasyhelden zu. Ein Magier, ein Barbar, ein Elf und ein Zwerg stehen dadurch ohne Ausrüstung und jegliches Geld dar, sodass sie auf gemeinsamen Raubzug im Einkaufszentrum MAGIC MAZE unterwegs sind, um endlich wieder mit Zaubertrank, Schwert, Bogen und Axt ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen zu können.
MAGIC MAZE ist ein modernes Kaufhaus im Ikea-Stil mit vielen Wegen, die in alle Ecken führen, um den Kunden das gesamte Sortiment zu zeigen. Dort gibt es Rolltreppen, Überwachungskameras, ständige Umbauten und verschiedene Ebenen. Eher magisch sind das überwiegend geltende Schweigegelübde der Einkäufer, die Nutzung von Feldern, auf die man sich beamen lassen kann, Mäuselöcher, in die nur der Zwerg verschwindet und eine rieselnde Sanduhr, die die Endlichkeit menschlichen Tuns ständig vor Augen führt.
MAGIC MAZE ist ein Teamspiel, bei dem die Spieler nicht über eine Figur verfügen, sondern über Bewegungs- und Aktionsoptionen, die sich zeitgleich auf alle Figuren übertragen lassen. So sind Bewegungen in allen vier Himmelsrichtungen möglich und zusätzlich noch Aktionen wie die Nutzung der Rolltreppe, die Erweiterung des Kaufhausplanes und das Springen auf Beamfelder, die Lapp Vortexfelder nennt. Je nach Spielerzahl stehen ein bis vier Aktionen auf jeder Karte zur Verfügung, die ohne die Einhaltung von Reihenfolgen ständig genutzt werden können.
Erst einmal müssen die Spieler im Kaufhaus schnell zu ihren vier Gegenständen, dazu erweitern sie das Kaufhaus ständig. Im ersten Szenarium sind es nur neun quadratische Plättchen, schon im zweiten werden es zwölf, bis am Ende der Grundspielvarianten 19 Kartenteile erreicht sind. Sobald alle Helden ihr Diebstahlfeld erreicht haben, wird die Fluchtphase eingeleitet, bei der am Ende die Diebe aus dem Kaufhaus verschwunden sind. Leider können sie die Vortexfelder nun nicht mehr nutzen, sodass sie alle Wege durchs verwinkelte Kaufhaus vollständig bis zu ihren Ausgängen durchlaufen. Erschwerend ist in allen Phasen, dass Zeitdruck herrscht. Solange die Sanduhr läuft, die maximal drei Minuten rieselt, ist alles gut. Aber drei Minuten reichen nicht aus, um alle Aufgaben zu bewältigen, deshalb nutzen die Akteure zwischendurch Sanduhrfelder einmalig, die das Umdrehen der Sanduhr zulassen. Das sollte möglichst spät geschehen, damit man mindestens 150 Sekunden dazu gewinnt. Das Haupthindernis und besonders Untypische für ein Kooperationsspiel ist, dass bei fast allen Vorgängen nicht geredet werden darf. Nur wenn die Sanduhr aktiviert und umgedreht wird, sind Absprachen möglich, die sofort enden, sobald ein Spieler eine Figur zieht. Jeder bewegt nach seinen Optionsmöglichkeiten jede Figur. Hakt es einmal, hilft nur ein „Tu was“-Spielstein weiter, der auffordernd vor einen Spieler gesetzt wird, der für kurze Zeit den Überblick verloren hat.
Klingt ungewöhnlich, ist es auch! Daher helfen Einstiegsszenarien in das Spiel zu finden, um alle Elemente auszuloten und kennen zu lernen. Am Anfang gibt es noch einen gemeinsamen Fluchtausgang, der schon im zweiten Spiel durch spezifische Ausgänge der einzelnen Helden ersetzt wird. Ab dem dritten Szenarium wechseln die Aktionskarten jedes Mal, wenn die Sanduhr gedreht wird. Später kommen dann Mauselöcher, Überwachungskameras und Kristallkugelfelder hinzu. Der Elf ermöglicht eine Absprache zwischendurch, sofern er auf einem Lautsprecherfeld steht.
Die Grundregeln sind eigentlich einfach, das Ziel schnell verinnerlicht. Trotzdem ist die Einstiegshürde recht hoch, da sind viele Icons auf dem Spielbrett zu beachten, für die ich mir eine Kurzspielregel gewünscht hätte. So sind ständig die Farben der einzelnen Helden zum Beispiel beim Erweitern des Kaufhausplanes oder beim Ausstieg zu beachten. Die Verantwortung des Einzelnen für die Gruppe ist hoch. Höher als bei den meisten kooperativen Spielen, bei denen sich oft ein Dirigent des Ganzen in den Vordergrund spielt. Hier ist es nur der Druck der großen „Tu was“-Figur, die oft mit Vehemenz vor einem zögerlichen Spieler landet.
Die Bewegungsmaschinerie, die wie geölt ablaufen kann, ist vor allem durch den Zeitdruck ständig spannend. Selten habe ich die Bedeutung einer Sanduhr so elementar für ein Spiel empfunden wie in MAGIC MAZE. Einer muss sie immer im Blick behalten und alle müssen kurze Wege zur Sanduhrdrehung beachten. Je mehr Kaufhausteile ins Spiel kommen, umso schwerer wird es die Runden zu gewinnen. Wenn dann ab dem sechsten Szenario die Überwachungskameras hinzukommen, bedeutet das, dass ab zwei Geräten die Akteure Sanduhrfelder nicht mehr betreten dürfen, dann kann es schnell eng werden. Hektik und Druck ist nicht für jeden Spieler etwas, sodass ich durchaus schon Mitspieler erlebt habe, die wegen des hohen Stressfaktors ausgestiegen sind. Die meisten sind aber besonders in Runden ab vier Spielern angetan von dieser ganz neuen Spielerfahrung, wobei die hohe Varianz der unterschiedlichen Szenarien für einen ebenso hohen Widerspielreiz sorgt.
MAGIC MAZE gehört zu den wenigen großen Überraschungen des aktuellen Spielejahrgangs. Die Faszination, die von dieser Diebstahl-Kooperation ausgeht, ist außergewöhnlich und begeistert vor allem erfahrene Spieler. Es gibt wenig, was mich an dem Spiel stört. Die Regel könnte besser strukturiert sein, Hilfen für Icons fehlen. Ein Inlay sucht man auch vergebens. Da fliegen Kaufhausteile und Aktionskarten durcheinander, wobei man andauernd am Sortieren ist, wenn es um Spielerzahl und bestimmte Szenarien geht. Auch die Aufkleber für die Helden-Pöppel taugen nichts und gehen ständig wieder ab. Ob das in der Pegasus-Fassung, die ab Mai erscheinen soll, anders sein wird, ist mir zurzeit nicht bekannt. Trotzdem geht der Daumen eindeutig hoch. MAGIC MAZE spielt für mich mindestens in der oberen Kaufhausetage der Brett- und Kartenspiele dieses Jahres eine wichtige Rolle.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MAGIC MAZE
Autor: Kasper Lapp
Verlag: Sit down! / Pegasus
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 1 - 9
Spielzeit: ca. 15 Minuten
Preis: ca. 25 Euro
Spiel 23/2017
Trackbacks
Trackback-URL für diesen Eintrag
Keine Trackbacks
Kommentare
Ansicht der Kommentare:
(Linear | Verschachtelt)
Die Kommentarfunktion wurde vom Besitzer dieses Blogs in diesem Eintrag deaktiviert.