Montag, 8. Mai 2017
TERRAFORMING MARS
Täglicher Ausverkauf in Essen, exorbitante Preise bei ebay, die Marsbesiedlung der schwedischen Fryxelius Familie löste einen Hype aus, u.a. durch drei 9er-Wertungen in der spielbox, der TERRAFORMING MARS auf Platz neun der allgemeinen Bestenliste bei BoardGameGeek geführt hat. Bei den Strategiespielen liegt das Spiel sogar auf Platz sechs, direkt hinter TERRA MYSTICA und vor SCYTHE (Stand: 09.05.17).
Hinter der Idee steht eine spielbegeisterte Familie in Schweden. Vier Fryxelius-Brüder, die gerade einmal 25 Prozent ihrer Geschwister ausmachen, haben 2011 den Verlag FryxGames gegründet. Jacob Fryxelius taucht dabei häufig als Autor auf, der sich gern Science-Fiction-Themen widmet. So in SPACE STATION, 2012 erschienen, nun in dem Marsspiel, das sein Bruder Isaac gestaltet hat. Für den deutschen Markt übernahm der Schwerkraft-Verlag um Carsten Reuter die Bearbeitung.
Auch wenn Pläne für menschliche Marsmissionen wahrscheinlich noch in diesem Jahrhundert umgesetzt werden, setzt Fryxelius seine Marsbesiedlung und den Prozess des Bewohnbarmachens des Roten Planeten im 25. Säkulum unserer Zeitrechnung an. Die Spieler arbeiten gemeinsam an den Voraussetzungen des Terraformings. Als Spielziel gibt der Autor vor, dass der Mars genügend Wasser besitzt, konkret erwartet er neun kleine Ozeane. Das Wasser darf nicht gefroren sein, deshalb muss die Temperatur einen Schnittwert von acht Grad erreichen. Zusätzlich soll die Luft atembar sein, was einen Sauerstoffgehalt von mindestens 14 % verlangt. Da bewegen wir uns auf der Erde in Höhenregionen wie den Anden und Städten wie La Paz ohne Probleme.
Die gemeinsamen Ziele versprechen nur scheinbar ein kooperatives Spiel. Im Gegenteil, die Akteure vertreten Konzerne, die knallhart gegensätzliche Interessen verfolgen und im Kampf um die Besiedlung des Mars stets die Nase vorn haben wollen. Jede Ausgangsverbesserung wird mit Siegpunkten bewertet, die geldwertig sind und in jeder Runde oder besser Generation höhere Einnahmen generieren. Daher interessieren alle die Wasserentwicklung, der Temperatur- und Sauerstoffanstieg.
Gesteuert wird TERRAFORMING MARS hauptsächlich durch Projektkarten, von denen über 200 verschiedene im Spiel sind. Jeder startet mit einer Auswahl zehn solcher Karten, die alle mit drei MegaCredits (M€), der Währung des Planeten, bezahlt werden müssen, um in die Kartenhand zu gelangen. Insofern steht anfangs eine Kartenselektion an. Je nach Konzern, den man vertritt, haben die Kontrahenten unterschiedliches Ausgangskapital, meist zwischen 40 und 60 M€. Wer alle zehn Karten kaufen will, ist schnell einen beachtlichen Teil des Anfangskapitals los. Hinzu kommt, dass das Ausspielen der Karten ebenfalls mit Kosten und der Erfüllung von Entwicklungsbedingungen verbunden ist. Da gibt es preiswerte Karten im einstelligen Bereich, aber auch teure, die über 30 M€ kosten. Manchmal müssen bestimmte Temperaturen erreicht sein oder der Sauerstoffgehalt und die Zahl der Ozeane festgelegten Werten entsprechen. Die Karten enthalten meist einmalige Aktivitäten, wobei blaue Projekte wiederkehrende Aktionen und Effekte zur Folge haben.
Die Konzernlenker sind daran interessiert, über die Karten Effekte ihrer Firma zu verstärken und damit auf sechs Produktionsbereiche ihres Tableaus Einfluss zu nehmen. Das gilt für die Geldentwicklung, für die Stahl- und Titanproduktion, den Pflanzenwuchs und die Energiebeschaffung und Wärmeproduktion. Wer über den Konzern Thorgate verfügt, wird sich auf Energieproduktion konzentrieren, weil solche Aktionen für ihn kostengünstiger sind. Mit diesem Konzern wird er mittelfristig viele Siegpunkte über den Temperaturanstieg generieren. Ähnlich ist es bei der starken Helion-Gruppe, die direkt in Wärme investiert und diese zusätzlich in Geld umsetzen darf. Der Konzern Phoblog ist an intensiver Titanproduktion interessiert, mit der er besondere Weltraumprogramme unterstützt, die interessante Einmalaktionen zur Folge haben, die Siegpunkte bringen. Ecoline unterstützt ganz wesentlich die Begrünung des Planeten und steigert damit punkteträchtig den Sauerstoffgehalt.
Der Rundenablauf ist einfach strukturiert. Der Startspieler wechselt im Uhrzeigersinn, dann gibt es in einer Forschungsphase vier neue Karten, die erworben werden können. Die Verteilung dürfen die Spieler zufällig vornehmen oder einem Kartendrafting überlassen. Danach folgen die zentralen Aktionsphasen, in den die Konzernlenker stets ein oder zwei Aktionen ausführen, bis alle gepasst haben. Eine typische Aktion besteht im Ausspielen einer Karte, dann dürfen die Spieler Standardprojekte nutzen, mit denen sie zum Beispiel gegen Geld die Energieproduktion erhöhen. Auch den Terraforming-Prozess können sie voranbringen, indem sie Ozeane oder Grünflächen auf dem Marsplan platzieren. Wer will, kann dies ebenfalls über die Abgabe von Ressourcen von Pflanzen tun oder den Temperaturanstieg durch Wärme-Ressourcen antreiben. Mit Blick auf die Schlusswertung sind außerdem der Wettlauf um Meilensteine und die Finanzierung von Auszeichnungen zu beachten. Da gibt es fünf Siegpunkte für den ersten, der drei Städte baut oder drei Grünflächen anlegt. Der Wettlauf ist insofern interessant, weil in jeder Partie nur drei von fünf verschiedenen Meilensteinen in die Wertung kommen. Ähnliches gilt bei Auszeichnungen, bei denen zum Beispiel der größte Grundbesitz, die meisten Wissenschaftssymbole oder Wärmeressourcen Punkte bringen. Schließlich werden noch Aktionen der blauen Karten genutzt und manchmal Karten unter Wert verkauft. Das betrifft oft Projekte, die mit fortlaufender Entwicklung nicht mehr genutzt werden können. Wer die arktischen Algen besitzt, kann diese nur bis -12 Grad einsetzen, wärmere Temperaturen lassen die Projektausführung nicht zu. Nach den Aktionen folgt noch eine Phase der Produktion, in der alle Beteiligten Geldnachschub erhalten und neue Ressourcen in den jeweiligen Produktionsbereichen. Dann beginnt eine neue Generation erneut mit dem Startspielerwechsel.
Sind alle Ziele erreicht, wird die Runde mit der letzten Produktionsphase beendet. Pflanzen können noch in Grünflächen für den Mars umgewandelt werden, erst danach folgt die Schlusswertung. Zu den Siegpunkten werden Auszeichnungen und Meilensteine hinzugerechnet, manche Karten bringen ebenfalls Punkte, schließlich werden die spielerbezogenen Plättchen auf dem Mars bewertet. Jede Grünfläche bringt einen Punkt, jede Stadt den Wert ihrer addierten Grünflächen, die an ihr grenzen. Der Gewinner mit dem meisten Siegpunkten beendet nach 120 bis 180 Minuten das Spiel.
Die Faszination, die von der Spielidee ausgeht, kann ich gut nachvollziehen. Jacob Fryxelius gelingt es überraschend authentisch, die Besiedlung der Roten Planeten zu simulieren. Die Vielfalt der Karten, die anfangs erschlägt, trägt gekonnt zu dieser Atmosphäre bei. Das Spiel zieht damit die meisten Spieler in seinen Bann und lässt sie nicht mehr los. Da will man einfach vielmehr ausprobieren, neue Konzerne, neue Kartenkombis. Deshalb sollte man auch schnell von der einfachen Grundversion mit identischen Anfänger-Konzernen und kostenfreien Startkarten umspringen in das sogenannte „Zeitalter der Konzerne“. Auch wenn sie etwas mehr Zeit kostet, empfehle ich die Draft-Variante. Sie schränkt das durchaus kritisierbare große Kartenglück deutlich ein. Interessant ist übrigens ein in der Regel nicht vorgesehenes Drafting schon am Anfang mit den zehn Startkarten, was eine bessere Anpassung an die Konzernstrategie ermöglicht. Wer will, kann als Hausregel mit etwas Anfangskapital die Konzerne versteigern lassen.
Durchweg Begeisterung? Nun ja, es gibt schon Defizite, die sich zum Teil aber korrigieren ließen. Die Materialanzeige mit kleinen Würfelchen auf einem dünnen Papp-Plan ist dürftig und die Rutschgefahr extrem hoch. Die schlecht strukturierte Regel gaukelt ein komplexeres Spiel vor, als TERRAFORMING MARS in Wirklichkeit ist. Die Kartentexte sind vor allem mit Blick auf die Auslagebedingungen nicht immer ganz eindeutig. All das könnte der Verlag vor dem Hintergrund des Erfolgs dieses Spieles in einer überarbeiteten Neuauflage abstellen. Was er wohl nicht abstellen wird, ist ein immanentes Problem einzelner Karten, bei denen Produktion und Ressourcen von Mitspielern angegriffen werden. Für ein Strategiespiel, das so hoch gehandelt wird, ist mir das zu viel Willkür. Was auch bleiben wird, sind recht lange Wartezeiten im Spiel mit mehr als drei Spielern.
Bei der Preisvergabe in Essen wird TERRAFORMING MARS sicherlich eine große Rolle spielen. Bei meiner gestrigen Besprechung von GREAT WESTERN TRAIL habe ich meine Vorliebe schon deutlich gemacht. Das Spiel von Alexander Pfister hat nicht nur beim Material, bei der Regel und bei der Gestaltung für mich eindeutig die Nase vorn. Das spielerische Gesamtkonzept ist stimmiger und nicht so vielen Zufällen ausgesetzt wie in TERRAFORMING MARS. Trotzdem besiedle ich den Roten Planeten schon morgen gern wieder mit.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: TERRAFORMING MARS
Autor: Jacob Fryxelius
Verlag: Schwerkraft-Verlag
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 1 - 5 Spieler
Spielzeit: ca. 120 bis 180 Min.
Preis: ca. 60 Euro
Spiel 29/2017
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