Donnerstag, 1. Juni 2017
RÄUBER DER NORDSEE
Vor der Bekanntgabe der Nominierungen der Jury „Spiel des Jahres“ erfasste Carsten Reuter vom Schwerkraft Verlag doch die Nervosität. Er schrieb: „Eigentlich wollte ich cool bleiben, aber das ist absolut unmöglich“. Jetzt fiebere er auch mit und hoffe, dass sein junger Verlag in irgendeiner Form berücksichtigt werde.
Dass die Berücksichtigung dann gleich doppelt erfolgte, hatte er sich allerdings nicht träumen lassen. RÄUBER DER NORDSEE war für viele schon nicht mehr ein Geheimtipp für die Nominierung im Kennerbereich, dass die Jury das eher als Expertenspiel eingeordnete TERRAFORMING MARS ebenfalls berücksichtigte, war dann schon eine kleine Sensation. Reuter war „baff“.
Die Auszeichnungen sind nicht unverdient, zumal der Verlag aus Oberhausen schon seit einigen Jahren überraschend frische Spielideen präsentiert. Da sind seine WINZIGEn WELTEN und die Welten von Ryan Laukat, die sich teils OBEN, teils UNTEN abspielen. Reuter liebt DAS GOLDENE ZEITALTER und KATAKOMBEN, für viele der von ihm übernommenen Lizenzen gilt, dass INNOVATION im Vordergrund steht.
Das trifft genauso für den Teil der NORDSEE-SAGA des Neuseeländers Shem Philips zu, den Reuter nun veröffentlicht hat. RÄUBER DER NORDSEE definiert das Worker Placement-Prinzip auf elegante Weise neu. Thematisch bewegt sich Philips allerdings in ausgetretenen Pfaden oder segelt in den üblichen Gewässern. Seine RÄUBER sind keine Vitalienbrüder, sondern lebten rund vierhundert Jahre früher. RÄUBER DER NORDSEE reiht sich ein in die Armada der Wikinger-Spiele, die schon lange Zeit und im Augenblick besonders den Spielemarkt fluten.
Bei Philips tun Wikinger das, was sie immer machen, sie überfallen Siedlungen, sacken Beute ein und beeindrucken damit ihren Häuptling. Nichts Neues, richtig, und trotzdem spielt sich das Bekannte anders. Zuerst werkeln und agieren die Wikinger ganz friedlich in ihrem Dorf, sie stellen dort für Kaperfahrten ihre Mannschaft zusammen und sammeln Proviant. Alle starten mit einem Team von drei Mitgliedern in Form von Handkarten, etwas Silber und einem schwarzen Arbeiter.
Der Arbeiter steuert den Spielablauf auf einfache, aber geniale neue Weise. Er kann zum Arbeiten ins Dorf geschickt werden, aber auch zum Plündern in Häfen, später auch in Außenposten, Klöstern oder Festungen. Anfangs sind nur schwarze Arbeiter im Spiel, mit den Plünderungen kommen weiße und graue dazu. Im Dorf gibt es Einrichtungen wie Rüstkammer, Mühle, Langhaus und Silberschmiede, die der Ressourcen- und Geldgewinnung dienen. Das Handkartenmanagement läuft überwiegend im Torhaus, der Ratshalle, Schatzkammer und Baracke ab. In eins dieser Gebäude wird am Anfang der eigene schwarze Arbeiter gestellt und dessen Funktion damit genutzt. Zusätzlich wird ein anderer Arbeiter von einer anderen Einrichtung entfernt und damit auch deren Aktion genutzt. Arbeiten stellt damit immer ein Geben und Nehmen dar, verbunden mit zwei Effekten, die eingelöst werden. Wer plündert, braucht ausgelegte Mannschaftsmitglieder, Proviant und manchmal auch Gold und einen Arbeiter einer passenden Farbe. Bei den Häfen reichen noch die schwarzen Arbeiter, später sind graue oder sogar weiße nötig. Die gewonnenen höherwertigen Arbeiter bringen beim Einsatz im Dorf meist bessere Erträge und lassen teilweise erst die Nutzung einiger Gebäude zu. Plündern bringt stets zu Beginn zufällig zugeloste Erträge wie Gold, Eisen, Vieh und Siegpunkte, die mit der militärischen Stärke korrelieren. Kurzfristig bitter, langfristig aber eher positiv sind im Beutegut auftauchende Walküren. Jede Walküre hat den Tod eines Mannschaftsmitglieds zur Folge. Wer am Ende aber sieben Walküren vorweisen kann, erhält zum Trost immerhin 15 Siegpunkte.
Über die Walküren wird auch eine der drei möglichen Schlussbedingungen ausgelöst. Gibt es keine mehr auf dem Spielbrett, enden die Plünderungen. Das passiert ebenfalls, wenn nur noch Beute für eine Festungsplünderung ausliegt. Schließlich gibt es noch Siegpunkte, die über sogenannte Darbringungsplättchen gewonnen werden können, können diese auf dem Spielplan nicht mehr auf drei ergänzt werden, ist ebenfalls das Spiel beendet. Am Ende zählen die Walkürenpunkte, Punkte auf einer Rüstungsleiste, alle Darbringungsplättchen, Mannschaftsmitglieder und nicht verwertete Beute wie Gold, Eisen und Vieh.
Einstieg und Spielablauf werden durch eine sehr eingängige Ikonographie unterstützt. Der Spielplan liefert alle notwendigen Informationen und ist selbst erklärend. Das gilt auch für die Karten der Mannschaftsmitglieder, die nicht nur auf den Schiffen eingesetzt werden, sondern die zusätzlich Aktionen in der Ratshalle ermöglichen. RÄUBER DER NORDSEE beginnt gemächlich, da der Aufbau einer schlagkräftigen Gruppe Zeit benötigt, mit Blick auf die Siegpunkte sollten alle zusätzlich früh in ihre Rüstungen investieren. Läuft die Maschinerie aber erst einmal an, dann folgt schnell eine Plünderung der anderen. Aufpassen müssen alle allerdings, dass sie gegen Ende die für die Plünderung der Klöster notwendigen weißen Arbeiter parat haben.
RÄUBER DER NORDSEE stellt mit den überschaubaren Anforderungen, den vielen kleinen Stellschrauben und damit verbundenen Spannungsbögen ein ideales anthrazites Spiel dar, das deutlich unter Expertenniveau liegt. Der schnell überschaubare Ablauf stellt auch das einzige Problem des Spiels dar. Der Rhythmus des Spiels ist zwischen Vorbereitung und Überfall doch arg repetitiv. Entschädigt werden die Akteure durch die Boni, die am Ende jedes Überfalls stehen. Unterm Strich ergibt das ein Spielvergnügen, dem ich mich gern morgen wieder stelle.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: RÄUBER DER NORDSEE
Autor: Shem Philips
Verlag: Schwerkraft-Verlag
Alter: ab 14 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 60 - 90 Min.
Preis: ca. 45 Euro
Spiel 42/2017
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