Freitag, 3. November 2017
AZUL
Der in Achim in der Nähe von Bremen lebende Autor Michael Kiesling musste Sechzig werden, um sich 2017 als erfolgreichster Autor von der Essener Spielemesse zu verabschieden. Seine Karriere währt schon über zwanzig Jahre. Die Wenigsten wissen, dass er einst in Essen mit einem Kleinverlag startete, wobei seine drei Spiele im 1x1 Verlag nicht wirklich für ZÜNDSTOFF sorgten. Danach war er über lange Zeit Partner Wolfgang Kramers. Mit TIKAL und TORRES landeten die beiden gleich einen Doppelerfolg beim „Spiel des Jahres“ 1999 und 2000. Vor zehn Jahren zeigten sich erstmals seine Solostärken wieder, da nahm er den späteren Trend der WIKINGER-Spiele überzeugend vorweg.
Ganz aktuell ist sein taktisches Legespiel AZUL das beliebteste Spiel der Messe, zumindest wenn man GeekBuzz-Wertung von BGG und die Fairplay-Liste zugrunde legt. Beim GeekBuzz landete AZUL auf dem ersten Platz, die Stimmberechtigen der Fairplay wählten es immerhin noch aufs Podium, dort erreicht das Spiel den dritten Platz. Dabei blieb es aber nicht, mit HEAVEN & ALE (eggertspiele) verzeichnete er mit seinem Bremer Koautor Andreas Schmidt noch einen weiteren Platz in der Top-Ten-Wertung der Fairplay. Außerdem war er mit seinem gewohnten Partner Kramer mit REWORLD (eggertspiele) im Weltraum unterwegs. Schließlich schippern wieder einmal Schiffe auf dem Mississippi. Sein RIVERBOAT (Lookout Spiele) ist ein landwirtschaftliches Logistikspiel, das ausschließlich aus seiner Feder stammt.
Zurück zu AZUL. An Kieslings Idee lässt sich trefflich die aktuelle Marktentwicklung ablesen. Die kanadische Firma Plan B Games, die bisher nur durch den ersten Teil der CENTURY-Trilogie im Vertrieb von Abacus auf dem deutschen Markt auffiel, sorgte Anfang Juli für Schlagzeilen. Der Verlag um Sophie Gravel übernahm eggertspiele und erhielt damit Zugriff auf viele herausragende Kenner- und Expertenspiele. Peter Eggert kündigte damals an, noch drei Jahre aktiv an Entwicklung und Herausgabe von Spieleneuheiten mitwirken zu wollen. Das Kerngeschäft mit den anspruchsvollen Spielen wird den Hamburgern erhalten bleiben, die einfacheren Familienspiele scheint Plan B übernehmen zu wollen. Denn redaktionell ist AZUL von den eggertspiele-Redakteuren Viktor Kobilke und Philippe Schmit betreut worden und wäre sonst mit Fuchs-Logo herausgekommen. Vertriebstechnisch schwenken die Kanadier nun auch um und schließen sich Pegasus an, für eggertspiele bleibt damit alles wie gehabt.
Für den Start des in Deutschland noch unbekannten Verlags konnte nichts Besseres passieren. AZUL wird das Ast-Logo mit dem angelehnten „B“ von Garmisch bis Flensburg bekannt machen. Warum der Erfolg? Kiesling gelingt mit AZUL das, was 2016 Bruno Cathala mit KINGDOMINO erreichte. Beide Legespiele sind in wenigen Minuten erklärt, die Spiele selbst entwickeln dann genügend Spieltiefe, dass der Spannungsbogen für die notwendige halbe Stunde ausreicht. Auch optisch wissen beide Spiele zu gefallen, wobei AZUL im haptischen Bereich das „Spiel des Jahres“ 2017 klar schlägt.
Und die Haptik ergibt sich aus den 100 Azulejo, quadratische Fliesen, die im spanischen oder portugiesischen Umfeld aus Keramik sind und im Spiel kongenial in Kunstharz umgesetzt wurden. Etymologisch hat der Begriff nichts mit dem portugiesischem „azul“ für blau zu tun, sondern ist ein Überbleibsel des maurischen Einflusses, stammt damit aus dem Arabischen und steht für Fayence.
Die 100 Fliesen gibt es in fünf verschiedenen Gestaltungen, wobei zur Abgrenzung deutlichere Kontraste gewählt wurden als beispielsweise auf der Spielregel, deren Kachelwerk ganz in Blau gehalten bleibt. Zwei bis vier Spieler dürfen sich als Fliesenleger fühlen und eine 5x5-Felder große Wand nach Vorgabe oder recht frei gestalten. Jeder erhält dafür eine Palastwand, die sein Spiels steuert und seine Punkte bilanziert. Kacheln in der obersten Reihe brauchen dabei nur einen Musterstein, darunter wird es stets eine Kachel mehr, sodass in der fünften Reihe fünf Kacheln einer Sorte nötig sind, um ein Feld zu belegen. Jede Kachel an der Wand bringt einen Siegpunkt und Zusatzpunkte für orthogonal angrenzende Reihen, ein fünfter Stein in Reihe oder Spalte bringt daher immer fünf Siegpunkte.
Der besondere Reiz ergibt sich aus dem Erwerb der Steine. Je nach Spielerzahl fabrizieren fünf bis neun Keramik-Manufakturen Angebote und zwar stets vier zufällig gezogene Fliesen. Wer sich bei einer Manufaktur bedient, muss alle Steine einer Sorte nehmen und die in eine Musterreihe seiner Auslage legen. Alle restlichen Steine kommen in ein zentrales Angebot, aus dem sich die Spieler analog der Manufakturregel bedienen.
Abhängig vom Angebot muss daher die Füllung der Musterreihen gut überlegt sein. Dabei bleibt die Wertung im Blick, damit man möglichst nicht Kacheln isoliert anbringen muss. Andererseits müssen die Fliesenleger im Laufe des Spiels aufpassen, da die Aufnahme aus dem zentralem Angebot nicht immer mit den freien Plätzen der Musterreihen korreliert. Nicht unterzubringende Kacheln verhageln die Bilanz und bringen Minuspunkte.
Das Spielende tritt recht schnell ein. Frühestens nach fünf Runden, wenn ein Spieler eine horizontale Linie durchgängig mit Fliesen kacheln konnte. Wer auf mehr Punkte aus ist, achtet aber eher auf Vollendungen der Spalten, denn diese bringen neben der normalen Bepunktung sieben Zusatzpunkte gegenüber zwei Punkten in der Reihe. Wer es schafft, alle fünf Kacheln einer Sorte zu setzen, der bekommt sogar zehn Punkte zusätzlich.
Optisch ein Traum, haptisch ein Vergnügen und vom Spielablauf durchgehend spannend: AZUL hat alles, was ein herausragendes Familienspiel ausmacht!
Wertung: Jederzeit wieder
Titel: AZUL
Autor: Michael Kiesling
Verlag: Plan B Games
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4 Spieler
Spielzeit: ca. 30 Min.
Preis: ca. 40 Euro
Spiel 68/2017
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