Alte Schätze neu gehoben
Kollege Bartsch blickt regelmäßig 20 Jahre zurück und gräbt alte Erinnerungen aus. In meiner Reihe „
Alte Schätze neu gehoben“ möchte ich diesmal – altersgerecht – deutlich weiter, nämlich fast 60 Jahre zurückblicken. In dieser Zeit musste der kleine Wieland „nach drüben machen“. Meine Familie gehörte zu den Zehntausenden, die vor dem Mauerbau die DDR verließen und in den Westen flohen. Die Flucht war dabei mit überschaubaren Gefahren verbunden, zum Beispiel der, dass der Kleine vorher quatschen könnte. Deshalb wusste ich nur von einem Besuch bei Freunden in Ostberlin. Erst als wir in die S-Bahn am Bahnhof Friedrichstraße ein- und in Westen am Bahnhof Zoo ausstiegen, brach ich in Tränen aus, als meine Eltern mir eröffneten, dass es nicht mehr zurückging.
Wozu ich soweit aushole? Nun ja, der Weg in den Westen öffnete mir auch spielerisch neue Perspektiven, jenseits vom FLOH-Spiel, MÜHLE und MÄDN. Die wesentlichen Spiele fanden zwar Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre im Freien statt, das Hauptprogramm im Fernsehen war zu der Zeit noch das Testbild. Aber über die familiären ROMMÉ- und CANASTA-Runden hinaus, die von exakter Buchführung meiner Mutter begleitet waren, entdeckte ich bei den wöchentlichen Treffen der evangelischen Jungenschaft ÖL FÜR UNS ALLE, WILD LIFE, GOLDGRÄBER und STRATEGO. Das letzte Spiel stand auf meiner Weihnachtswunschliste und befand sich bald in meinem Besitz. Die SCHACH-Runden mit meinem Vater wurden nun durch andere strategische Duelle mit Spionen und Bomben ergänzt.
STRATEGO hat sich über knapp 60 Jahre hinweg so gut wie überhaupt nicht verändert. Als Erfinder gilt der Holländer Jacques Johan Mogendorff, der die Rechte 1958 an Jumbo veräußerte. Das Spiel war aber gut zehn Jahre lang vorher schon beim niederländischen Verlag Smeets & Schippers im Programm. Die Wurzeln der Spielidee reichen bis in den Ersten Weltkrieg zurück. Von Rudolf Rühle gibt es dazu einen interessanten Artikel in der Pöppel Revue (2/1995). Jumbo vergab 1961 eine Unterlizenz an MB, weltweit sind dadurch wahrscheinlich fast 50 Millionen Spiele verkauft worden. Jumbo blieb der klassischen Ausgabe verpflichtet, da changierte anfangs höchstens die Schachtelfarbe vom grün zum blau und lila. Starwars, Transformers und Narnia begleiteten die MB- bzw. später die Hasbro-Ausgaben.
Nervig war aber eine Entscheidung Jumbos in den letzten Jahren, dass dem Endverbraucher die mühsame Vorbereitung des Spiels überlassen wurde. 80 Figuren mussten langwierig beklebt und damit auf ihre Spielaufgaben vorbereitet werden. Mit der aktuellen Fassung von 2017 können zwei kleine Feldherren endlich wieder sofort losspielen.
Aus der Perspektive fortgeschrittener Spielentwicklung mag alles heute etwas mühsam scheinen. Ein langwieriger Aufbau vor dem Spiel, wenn jeweils 40 Figuren vom Spion bis zum Feldmarschall und den unbeweglichen Bomben und der Fahne positioniert werden müssen. Das ist zwar spielentscheidend, aber mühevoll. Auch die Bewegungsoptionen sind überschaubar, da jeder Dienstgrad nur ein Feld weit marschiert und ausschließlich die Aufklärer wie Türme beim SCHACH über das Feld gleiten. Diagonale Bewegungen oder überraschende Sprünge sieht Mogendorff nicht vor. Modernisiert hätten wir heute Ergänzungen durch Kartensteuerung, Charakterkarten für die Kommandeure mit ausgeprägten Sonderfertigkeiten, die für mehr Abwechslung sorgen würden.
Trotzdem zündet der STRATEGO-Funke auch heute noch. Mein ältester Enkel erlag gleich nach der ersten Partie dem Charme des alten Spiels, sodass der Achtjährige inzwischen viele Bomben hat hochgehen lassen und auch einige Fahnen erobern konnte. Sogar der Schummelreiz ist geblieben, wenn er dann doch einmal eine Bombe bewegt und steif und fest nach der Explosion behauptet, ich müsse mich getäuscht haben. STRATEGO wird der Duell-Klassiker für Kinder und Jugendliche bleiben. Sie können übrigens trotz des kriegerischen Spiels gute Pazifisten werden.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: STRATEGO
Autor: Jacques Johan Mogendorff
Grafik/Design: ?
Verlag: Jumbo
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 Spieler
Spielzeit: ca. 45 Min.
Preis: ca. 25 Euro
Spiel 8/2018