Freitag, 16. November 2018
AZUL DIE BUNTGLASFENSTER VON SINTRA
Next Move und Michael Kiesling bleiben Portugal treu. War AZUL noch ohne Untertitel ausgekommen, aber schon in einer konkreten portugiesischen Stadt angesiedelt, ging es doch um die Fliesen eines Palastes in Evora, ist AZUL II, der Unterscheidbarkeit wegen, der Weltkulturerbe-Stadt Sintra zugeordnet. Fliesenleger sind zu Glasermeistern mutiert, ansonsten bewegen wir uns weitgehend auf bekanntem Terrain, zumindest in den Anfangssituationen der Runden. In SINTRA liegen genauso wie in Evora Manufakturen aus, die mit vier Spielsteinen bestückt werden. Sogar das Material unterscheidet sich nur in Form und Farbe, entspricht aber exakt der Verteilung in AZUL. Die Lutschgefahr bei den bonbonfarbenen Glassteinen von SINTRA ist allerdings höher. Die Aufnahme der Steine läuft identisch ab, inklusive der Strafsteinregelung, wenn man sich als erster aus der Tischmitte bedient.
Die Unterschiede beginnen in dem Musterbereich der Handwerker. Das neue Spiel ist nicht statisch, sondern enthält acht flexible Musterstreifen, die zudem noch beidseitig verwandt werden können. Außerdem taucht der Handwerker, hier also der Glaser, leibhaftig auf. Seine Position regelt die Bereiche, in denen gesammelte Glassteine abgelegt werden. Er startet über dem ersten Vorbereitungsstreifen, wenn er nach vorn gesetzt wird, sind die überschrittenen Bereiche vorerst für ihn tabu. Erst wenn er aussetzt, um seinen Glaser wieder in die Startposition zu bringen, stehen ihm alle acht Fensterstreifen wieder zur Verfügung. Wertungstechnisch geht alles viel schneller. Die Spieler müssen nicht warten, bis in einer Runde alle Steine verteilt sind, sondern werten sofort, wenn ein Streifen mit fünf Steinen belegt ist. Nur ein Stein davon wandert dann in das eigentliche BUNTGLASFENSTER VON SINTRA hinein. Der Streifen wird umgedreht, beziehungsweise nach der zweiten Füllung entfernt.
Interessant für die Wertung ist die Regelung, dass die Glaser einerseits mindestens einen, aber auch bis zu vier Siegpunkte für den Streifen erhalten und zusätzlich noch alle Punkte von schon abgerechneten Fenstern, die rechts von dem aktuell gewerteten liegen. Daraus ergibt sich, dass man anfangs möglichst hintere Fenster glast und vor allem den Startbereich, der vier Punkte bringt, für die Endphase übriglässt, mit allen Unwägbarkeiten und den Störmanövern der Mitspieler, die wir schon aus AZUL kennen. Wie gehabt, gibt es auch eine Abschlusswertung, die im Grundspiel mit der A-Seite der Palastfenster vor allem geglaste Bereiche auf jeweils zwei benachbarten Streifen belohnt. Maximal können vier Fenster belegt werden, was zehn zusätzliche Punkte bringt, drei Fenster ergeben sechs Punkte, alles andere entsprechend weniger. Auf der B-Seite muss man stärker auf die Farben der Glassteine achten, die auf die Palastfenster gelegt werden. Die Anzahl der vollständigen Fenster mit zwei Steinen wird mit der Anzahl der am häufigsten vorkommenden Farbe multipliziert.
Mit Blick auf die Farben der Glasfenster überzeugt noch ein interessanter Rundenzähler. Im Gegensatz zu AZUL, das oft nach fünf Runden beendet wird, ist die Rundenzahl in AZUL II mit sechs fixiert. Jede Runde wird durch einen Farbstein angezeigt, wobei nur eine Farbe doppelt vorkommt. Bei der Wertung bringt die aktuelle Rundenfarbe für jeden passenden Stein einen zusätzlichen Punkt. Alle Punkte werden direkt auf einer entsprechenden Zähltafel bilanziert und dort wird auch über die Minuspunkte Buch geführt, die es, wie bekannt, für den Startspielermarker und nicht untergebrachte Steine gibt. Der wesentliche Unterschied ist hier, dass erst zum Schluss abgerechnet wird und die Leiste hohe Sprünge enthält, wobei das Ende der Fahnenstange nicht mit 18 negativen Punkten erreicht ist, sondern dann oben wieder beginnen kann. Diese Eskalation führt zu nicht so schnellen Griffen nach dem Startspielermarker.
SINTRA bietet viel Bekanntes, aber auch Neues. Vom Spielgefühl her gleichen sich die Ärgerkomponenten, die strategische Ausrichtung ist durch das Wandern des Glasers deutlich komplexer. Beim Kalkulieren vieler Strafsteine ist die Möglichkeit des Aussetzens mit einzubeziehen. Auch die Wertung über die Streifen, die vielfach berücksichtigt werden können, ist vielschichtiger. Das wird reizvoll ergänzt durch die Bonuspunkte für die Rundenfarben.
Wer kann es dem Verlag verdenken, dass er nach dem weltweiten Erfolg von AZUL, dessen Ende der Spitzenplatzierungen überhaupt noch nicht absehbar sind, ein vergleichbares Produkt nachschiebt. Mit dem Risiko allerdings, dass Spieler das zweite Spiel besser als das Original finden und damit auf das Ursprungsspiel gleich verzichten, da Michael Kiesling nicht einfach einen billigen AZUL-Ableger abliefert, sondern ein anspruchsvolles Spiel, das in einer ähnlichen Liga spielt. In meinen bisher 12 Partien, war am Ende häufig das Urteil zu hören: „Das hat mir noch besser gefallen.“ - „AZUL II finde ich reizvoller.“ Andere vermissen die elegante Einfachheit des „Spiel des Jahres“, ich tendiere eher zur zweiten Meinung. Trotzdem stelle ich mich der Herausforderung als Glaser in SINTRA gerne morgen wieder.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: AZUL DIE BUNTGLASFENSTER VON SINTRA
Autor: Michael Kiesling
Grafik/Design: Karla Ron
Verlag: Next Move
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4
Spielzeit: ca. 30 - 45 Min.
Preis: ca. 39 Euro
Spiel 67/2018
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