
Als Historiker ist mir zwar bewusst, dass „Carpe Diem“, das „Pflücke den Tag“, aus einer Ode von Horaz im ausgehenden 1. Jahrhundert v. Chr. stammt. Einzuordnen ist diese Sentenz aber eher ins Barock-Zeitalter. Der Dreißigjährige Krieg mit seiner ständigen Todesdrohung brauchte einen Gegenpol, den die Sinnlichkeit und Verspieltheit von Barock und Rokoko schufen. Wenn das Ende denn schon bald ansteht, dann sollte man doch das Leben auskosten. Daher hätte ich ein Spiel mit dem Titel CARPE DIEM auch eher ins 17. Jahrhundert verortet, als in die Zeitenwende unter Augustus.
Ehrlich betrachtet, könnte dieser Landschafts- und Gebäudebau von Stefan Feld in jedem Jahrhundert spielen und müsste nicht in Rom angesiedelt sein. Wir könnten uns ebenso den Wiederaufbau Deutschlands nach 1648 vorstellen. Das Motto wird auch eher calvinistisch interpretiert, im Sinne einer effektiven Nutzung der Arbeitskraft, um Häuser und Landschaften zu entwickeln.
CARPE DIEM ist ein strategisches Legespiel, bei dem in einem 6x6 Raster von zwei bis vier Spielern Villen gebaut werden, Weinberge und Hühnerställe entstehen, aber auch Fischteiche und Kräutergärten. Jedes Plättchen benötigt mindestens ein Pendant, damit ein Kräutergarten abgeschlossen wird oder das Haus eines Händlers, Bäckers oder Handwerkers. Ohne Abschluss sind nur die isolierten Brunnen brauchbar. So entstehen die meisten Gebiete und Gebäude aus zwei oder drei Plättchen, nur die Villen wachsen ausufernd und mit möglichst vielen Schornsteinen bestückt. Abgeschlossene Gebäude und kultivierte Gebiete bringen Ressourcen oder zusätzliche Aktionsmöglichkeiten.
Der Erwerb der Plättchen kostet nichts, muss aber, gut geplant, aus sieben Spielplanfeldern mit jeweils vier Teilen genommen werden. Von jedem Feld aus führen zwei Wege zu gegenüberliegenden Bereichen, sodass absehbar ist, was im zweiten Zug erreicht werden kann. Dieses Gerangel um die begehrtesten Plättchen machen einen besonderen Reiz im Spielablauf aus. Da ist zu beachten, was die Konkurrenten brauchen, besonders derjenige, der direkt vor mir sitzt. Die fast esoterisch wirkenden Wegkreuzungen gaukeln dabei Zugalternativen vor, die in Wirklichkeit viel beschränkter ausfallen. Feld hätte die Figuren auch einfach kreisförmig ziehen lassen können mit der jeweiligen Alternative des Ziehens im und gegen den Uhrzeigersinn, dann wäre das gleiche herausgekommen. In der aktuellen spielbox verrät der Autor, dass er ursprünglich von acht Verteilungsorten und jeweils drei Wegen ausgegangen war, die sternförmigen Wege habe man dann trotz der Reduzierung auf sieben Plätze beibehalten.
Beim Landschafts- und Häuserbau ist nicht nur zu beachten, dass diese abgeschlossen werden. Sie sollen auch Wertungen genügen, die über variable Randfelder Aufgabenvarianz für jeden Spieler schaffen. Außerdem gibt es eine Wertungstafel mit 8 bis 12 Wertungskarten, die viermal Punkte für Waren oder bestimmte Gebiete bringen. Das Problem dieser Wertungen, sie müssen durchgeführt werden und wer das nicht schafft, erhält Minuspunkte. Daher ist die Reihenfolge auf einer sogenannten „Banderrolenleiste“ von entscheidender Bedeutung. Dort liegt man vorn, wenn man besonders viele Felder, die mit einer solchen Banderole gekennzeichnet sind, überbauen konnte.
CARPE DIEM bietet feldsche Vielfalt im Spielablauf, die vor allem durch die hohe Interaktivität des Spiels überzeugt. Das geht beim Gerangel um die besten Plättchen los und endet im Kampf um die Plätze bei den Wertungskarten. Der Landschaftsaufbau hat viele Aspekte. Wichtig ist der Blick auf die Schlusswertung über die Rahmenleiste, wichtig sind die Boni für die Zwischenwertungen und überhaupt nicht zu vernachlässigen sind die winzigen Banderolen, die man ständig übersieht, die aber für die Wertungsreihenfolge von immenser Bedeutung sind. Eine durchaus abendfüllende Aufgabe, bei der in Vollbesetzung ruckzuck zwei Stunden vorübereilen. Zu zweit geht es deutlich schneller und die Zwänge fallen geringer aus.
In der Begeisterung für das Spiel könnte ich mich eigentlich endlich einmal wieder zu einem „Jederzeit wieder“ durchringen, wenn nicht die grafische Umsetzung den Enthusiasmus deutlich trüben würde. Die Plättchen selbst zeigen eine Beliebigkeit, die nun überhaupt nichts mehr mit Rom und Patriziern zu tun hat. Kartenrückseiten, bei denen Grüntöne von Bedeutung sind, fallen wenig kontrastreich aus. Bei einzelnen Kärtchen muss man schon sehr genau hinschauen, ob nun eine Bäckerei oder Handelsstation aufgebaut wird. Auch die Einheitlichkeit von ovalen und rechteckigen Ausbauten lässt zu wünschen übrig. Redaktionell und in der Abstimmung mit der völlig unerfahrenen Grafikerin Lalanda Hruschka, die mit CARPE DIEM ihre erste Arbeit im Spielebereich ablegt, gab es viele Probleme. Augen zu und durch, kann daher nur das Motto im Augenblick lauten, denn Felds Spiel ist richtig gut.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: CARPE DIEM
Autor: Stefan Feld
Grafik/Design: Lalanda Hruschka
Verlag: Alea
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2 - 4
Spielzeit: 45 – 90 Min.
Preis: ca. 39 Euro
Spiel 73/2018