
Wie war das mit dem Schmetterling, der in Shanghai mit seinen Flügeln wackelt? Was der Schmetterlingseffekt für die Chaostheorie ist, könnte ein FLÜGELSCHLAG in der Spielwelt werden. Ein Schneeballeffekt, der 170 amerikanische Vögel über die ganze Welt verteilt und demnächst auch für die Verbreitung jeweils heimischer Vogelwelten sorgen wird. Keine Zombies, keine Drachen, keine Raumschiffe, keine Armeen, gefiederte Begleiter begeistern weltweit inzwischen schon 50.000 Besitzer des Spiels.
Erst einige Monate auf dem Markt und schon auf dem Weg in die Top 50 der beliebtesten Spiele auf BGG. Seit März gibt es einen Soundtrack mit 35 „Songs for the boardgame“. Sogar die New York Times widmete sich am 11.03. dem Phänomen WINGSPAN. Dort erzählt die Autorin Elizabeth Hargrave, die als gesundheitspolitische Beraterin in den Vororten von Maryland in Washington DC tätig ist, dass der Rosalöffler ihr Lieblingsvogel sei. Hargrave ist eine begeisterte Vogelbeobachterin. Ihr beliebtester lokaler Wintervogelort ist das Naturgebiet des Artemesia-Sees. Ihr Wissen um viele Vögel hat Eingang in ihr erstes Spiel gefunden. Ein einerseits schematisches, andererseits äußerst thematisches Spiel um die Eigenarten der Vögel in ihren Lebensbereichen.
Der Herausgeber ihres Spiels, Jamey Stegmaier, berichtet in der New York Times, dass Hargrave mit Hilfe von Tabellenkalkulationen die Punktzahl für jeden Vogel als Summe verschiedener Werte, wie zum Beispiel den seiner Eier, exakt kalibriert habe. Als Verleger habe er sich in die feine Balance zwischen Mathematik und Psychologie verliebt. "Der Schlüssel für mich waren nicht die Vögel, sondern das befriedigende Gefühl, schöne Dinge zu sammeln", sagte er.
Hargrave hat ein sehr eingängiges und zügig ablaufendes Kennerspiel entwickelt. Ihre 170 Vögel besitzen einen Punktwert für das Spielende, ihnen ist ein Lebensraum zugewiesen, manchmal auch mehrere und sie benötigen bestimmte Futtersorten, um auf die Spielertableaus zu kommen. Über die detailgenau gezeichneten Vögel gibt es viele Zusatzinformationen wie ihre Größe, ihre Nestformen und die maximale Eierzahl. Zusätzlich besitzen sie Fähigkeiten, die im eigenen Zug einmalig oder immer wieder aktiviert werden können. Einige Vögel treten in Aktion, wenn Mitspieler Spielzüge auslösen.
Alle starten mit fünf Vogelkarten und fünf Futtersorten. Für jeden Vogel, der auf der Hand bleibt, müssen sie ein beliebiges Futterstück abgeben. Daher fangen die meisten Spieler höchstens mit zwei oder drei Vögeln an, da man sofort Futter zur Verfügung haben möchte, um Tiere in die eigene Auslage zu spielen. In der ersten Runde stehen allen Spielern acht Aktionen zur Verfügung, die sich in den folgenden drei Runden jeweils um einen Spielzug verringern. Eine elegante Regelung, die der Beschleunigung des Spieles dient. Wer an der Reihe ist, darf entweder einen Vogel ausspielen, Futter aus einem Würfelturm besorgen, Eier legen oder sich neue Vogelkarten aussuchen. Jeder Vogel, der in den Wald, ins Grasland oder in Wassergebiete gespielt wird, erweitert die dortigen Möglichkeiten, sodass man mit der Zeit mehr Futter und Karten bekommt oder mehr Eier legen kann. Zusätzlich reizt jede Aktivität in bestimmten Landschaften, weil dort ausliegende Vögel mit Daueraktivierung immer wieder neu genutzt werden können. Da sind vor allem die Jägervögel beliebt, unter denen sich Jagdbeute sammelt, die am Ende Siegpunkte bringt.
Am Rundenende gibt es eine von acht verschiedenen Zwischenwertungen, für die immer ein Aktionswürfel geopfert wird. Abgerechnet werden kann dabei kompetitiv mit Mehrheitswertung oder additiv mit Punktezählung. Nach der vierten Runde ist FLÜGELSCHLAG vorüber. In die Endbilanz gehen die Punkte für die Vogelkarten, Bonuspunkte für entsprechende Karten, Rundenziele und für Eier, Futtermarker und eigesammelte Karten unter ausliegenden Vögeln ein.
Der Wiederspielreiz ist hoch. Besonders in Partien zu dritt und zu viert wird oft eine Anschlussrunde verlangt, da sich FLÜGELSCHLAG schnell und zügig spielt. Es gibt viel zu entdecken in dem Spiel Elizabeth Hargraves, in dem man zwar abhängig von seiner Starthand ist, andererseits aber sehr genau für die Zukunft planen kann. So liegen die Rundenwertungen bis zum Spielende offen, auch neue Vögel kauft fast niemand als Katze im Sack. Neben den Startkarten bringen die Futterwürfel eine gewisse Zufälligkeit ins Spiel, der man aber durch Tauschaktionen entgegenwirken kann. Kritisiert wird oft, dass am Ende alle nur Eier legen würden, um Siegpunkte zu bekommen. Die Eier sind sicherlich wichtig, aber das Gesamtarrangement muss aufgehen, nicht nur die Ausnutzung der Legekapazität der Vögel. Siegentscheidender scheinen mir die Vögel zu sein, die Karten sammeln. Wer davon keine abbekommt, hat es in der Endbilanz schwerer.
Die anhaltende Begeisterung ergibt sich aus dem neuen Thema und dem herausragenden Material. Das fängt bei der Kartengrafik an, geht über den Würfelturm weiter und endet bei den 75 Miniatureiern, die Zuckereiern erstaunlich ähnlich sehen. Spieltechnisch würde ich übrigens nicht zu Hargraves Lieblingsvogel, dem Rosalöffler, greifen. Er bringt zwar sechs Siegpunkte hat aber nur einen Einmaleffekt und ein überschaubares Gelege von zwei Eiern. Dafür frisst er mit Wurm, Körnern und Fisch ziemlich viel Futter weg. Die letzten deutschen Exemplare wurden letztes Wochenende auf der Spiel doch-Messe in Duisburg verkauft. Alle Interessierten müssen nun bis Juli auf die zweite deutsche Auflage warten. Einige gut sortierte Spieleläden haben vor Ort aber noch Spiele vorrätig, zu denen gehört zum Beispiel Die Spieleburg in Göttingen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: FLÜGELSCHLAG
Autor: Elizabeth Hargrave
Grafik/Design: Ana Maria Martinez Jaramillo, Natalia Rojas, Beth Sobel
Verlag: Feuerland
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 1 - 5
Spielzeit: 30 – 60 Min.
Preis: ca. 49 Euro
Spiel 25/2019