„Kleine Welten“ nennt Frank Kunert seine Bildinszenierungen. Der 56jährige Fotograf sucht seine Objekte nicht in der Realität, sondern entwickelt Bildideen auf Märklinebene Spur 1. Er arbeitet damit nicht nur als exzellenter Fotograf, sondern ist außerdem perfekter Modellbauer. Seine Sichtweisen wirken real, sind aber bei genauer Betrachtung gebrochen, melancholisch, oft auch grotesk. Kunerts Bilder erfordern das genaue Hinsehen, den zweiten Blick.
Doppelt Hinsehen darf man nun auch in der gelungenen Kooperation des Frankfurter Verlages MeterMorphosen mit dem Inszenierungskünstler aus Boppard. Kunert spendiert dafür 36 seiner besten Motive, die er zusätzlich interpretatorisch mit einem Begleittext versieht, einer KLEINANZEIGE. Daraus macht der Verlag das, was häufig in seinem Programm auftaucht, ein MEMO-Spiel. Spieltechnisch ergibt dies dann Hausmannskost, gilt es doch ganz simpel der passenden Anzeige ein Bild zuzuordnen oder umgekehrt. Teilweise helfen Farben und Strukturen auf den Pappkärtchen weiter, so der Schnee bei der „geschlossenen Gesellschaft“, die den Tischvorsitzenden ausgrenzt und vor dem Fenster in eisiger Kälte sitzen lässt. Menschen sind auf Kunerts Bilder nicht zu sehen. Wir bemerken nur den gepolsterten leeren Stuhl, der in seinem geschwungenen Holzdesign den Stühlen am festlich gedeckten Tisch im warmen Wohnzimmer entspricht.
Selten habe ich erlebt, dass MEMO-Karten so lange und intensiv betrachtet werden. Der Verlag hat sich zum Glück nicht auf die üblichen kleinen quadratischen Bilder beschränkt, sondern bietet recht große Abbildungen im Format 8,5x6,5 cm an. Da kann man die Dachwohnung auf dem First mit separatem Eingang und dem „Gefühl von Freiheit“ genauer betrachten. Das gilt auch für die öffentliche Toilette, die in einer Bushaltestelle eingebaut ist. „Freiwillige“ werden „zur Abwicklung kleiner und großer Geschäfte vor Publikum“ gesucht. Die Zuschauerbänke stehen mehrreihig schon bereit.
Der Verlag spendiert dieser besonderen Kartenzusammenstellung eine ganz ausgefallene Umverpackung. Die 72 MEMO-Karten stecken in einem Leitz-Schuber. Die integrierte Tesafilmklebung verführt fast zum Abpulen des Klebers. Mit Register kommt die Spielanleitung daher, die weit über die übliche Spielregel hinausgeht. Sie berichtet ausführlich über die Arbeit des Künstlers und liefert eine Gesamtübersicht über alle Bild-Text-Kombinationen. Das ist alles so stimmig gemacht, dass Kunerts Spiel KLEINANZEIGEN im Juni dieses Jahres den Produktpreis FORM 2019 vom Bundesverband Kunsthandwerk erhalten hat. Auch wenn alles brüchig und morbide in Kunerts Bildern zugeht, die spielerische Umsetzung klappt perfekt. Nur die unterschiedliche horizontale und vertikale Ausrichtung der Karten gefällt mir nicht, außerdem finde ich die Alterseinordnung ab sechs Jahren sehr ambitioniert.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: KLEINANZEIGEN
Autor: Frank Kunert
Grafik/Design: Frank Kunert
Verlag: MeterMorphosen
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 und mehr
Spielzeit: ca. 15 Minuten
Preis: ca. 19 Euro
Spiel 63/2019