
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Liberale Hochstimmung: 1848
Unfähig zur Durchsetzung einer echten Revolution seien die Deutschen, behaupten Historiker, bevor sie auf einen revolutionären Zug aufspringen, würden sie erst einmal brav ihre Bahnsteigkarte lösen. Diese Charakterisierung spiegelt revolutionäres deutsches Verhalten im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert wider. Einer dieser gescheiterten Revolutionen gedachte man 1998 in besonderem Maße: Der Märzrevolution des Jahres 1848, die es immerhin zur Schaffung eines deutschen Nationalparlaments in Frankfurt gebracht hat. Ein historisch komplexes, vielschichtiges Ereignis im Gegeneinander von restaurativen alten monarchischen Elementen und bürgerlich-liberalen Strömungen, ergänzt durch wenige republikanisch-demokratische Elemente. Insgesamt ein politisches Szenario, das, versucht man es spielerisch nachzuvollziehen, ein aufwendiges Konfliktsimulationsspiel erwarten lässt.
Der Hannoveraner Gerhard Kuhlmann hat sich an das Thema herangetraut, gehört es doch sozusagen zu seinem genuinen Aufgabenbereich, da er sich mit seinem Verlag „Kuhlmann-Geschichtsspiele“ der realitätsnahen Aufarbeitung historischer Themen verschrieben hat. Sein Longseller „Welfen und Staufer“ zeugt eindrucksvoll von den Möglichkeiten historischer Brettspiele. Kuhlmann versucht diesmal mit 102 Spielkarten dem Thema gerecht zu werden. 26 Ereigniskarten spiegeln den Verlauf von den Märzaufständen des Jahres 1848 bis zur Kaiserwahl ein Jahr später wider. Die Hauptakteure von dem Republikaner Friedrich Hecker über den Demokraten Robert Blum bis zu dem Liberalen Heinrich von Gagern und dem Konservativen jungen Otto von Bismarck sind auf 42 Personenkarten mit unterschiedlichen Punktwerten von 1 bis 8 vertreten. Einflüsse, die die Revolution zum Teil von außen mitbestimmten, wie die Entwicklung der Februarrevolution 1848 in Frankreich, kommen durch 34 Zusatzkarten mit ins Spiel. Alles deutet auf einen komplexen und historisch offenen Spielablauf hin. Das Scheitern ist nicht vorprogrammiert, der Sieg der Gegenrevolution kann aufgehalten werden, sogar die republikanische Option ist umsetzbar.
Das Kartenmaterial belegt sorgfältige historische Recherche des Autors. Die Abbildungsqualität ist gut, für kleinere Fehler gibt es einen Errata-Zettel. Die größeren hatte Carta Mundi zu verantworten, weil verschiedene Kartenarten auch unterschiedliche Kartenrückseiten erforderlich machen. Zu Beginn der Spiel in Essen wartete der Autor sehnlichst auf die Nachlieferung, die dann am Nachmittag des ersten Tages noch einigermaßen rechtzeitig eintraf. Leider gibt es bisher erst die Grundregeln zu „1848“, die sich auf ein recht einfaches Kartenspiel für zwei Personen beziehen, in dem es darum geht, nach 15 Spielrunden den größten Einfluss über die dann erfolgreichste politische Richtung zu besitzen.
Die Ereigniskarten, von denen 11 aussortiert werden, dienen als Rundenzähler, gespielt wird mit allen Personen- und den meisten Zusatzkarten. Pro Spielrunde erhält man je zwei dieser Karten. Eine von den vier Karten muss jeder spielen, danach ist Passen erlaubt. Passen beide Spieler oder kann keiner mehr Karten ausspielen, endet eine Spielrunde. Da die Personenkarten stets an politische Gruppierungen der damaligen Zeit gebunden sind (Republikaner, Demokraten, Liberale oder Reaktionäre), werden erst einmal die Punktwerte der Parteien addiert. Diese Werte können durch die Zusatzkarten verstärkt, aber auch verringert werden. Einige dieser Sonderkarten, die mit einem Eisenbahnsymbol gekennzeichnet sind, dürfen als Aktionskarten direkt gegen den Mitspieler eingesetzt werden. So bringt die berüchtigte Lola Montez im Spiel nicht nur gekrönte Häupter in Bedrängnis, sie kann eine beliebige männliche Persönlichkeit so in ihren Bann ziehen, dass sie aus der Wertung herausfällt. Öffentlichkeitswirksam sind auch Satiren, die liberale und demokratische Politiker außer Gefecht setzen. In die Wertung einer Spielrunde kommt nur die stärkste Partei. Der Spieler mit dem größten Einfluss auf diese Partei, darf sich alle Punkte, auch die seines Mitspielers, gutschreiben. Dann geht es nach dem gleichen Verfahren in die nächste Spielrunde. Vorher werden die Handkarten wieder auf vier ergänzt und eine neue Ereigniskarte wird ausgespielt.
In der Schlussabrechnung werden die 15 Rundenergebnisse zusammengefasst. Danach siegt eine der vier Parteien. Der Spieler, der am meisten Punkte zum Sieg beigesteuert hat, gewinnt das Spiel. In einer einfacheren Variante kann man auch nur um die 15 Ereigniskarten spielen, für jeden Rundensieg erhält man dann eine Ereigniskarte.
Eine echte Chancengleichheit unter den Parteien ist nicht gegeben, die gab es auch nicht während der 1848er-Revolution, da wurde schnell deutlich, dass das Spielen auf Zeit den reaktionären Kräften entgegenkam, die letztlich den Sieg davontrugen. In Kuhlmanns Kartenspiel haben die Reaktionäre keine Chance, mit maximal 23 Punkten ihrer Personenkarten können sie nie in die Gewinnzone gelangen. Nicht viel besser steht es um die Republikaner, die immerhin auf 26 Punkte kommen. Diese Gruppe wird aber durch einige Zusatzkarten stärker bevorzugt als die reaktionäre Gruppierung. Die Karten Z2 und Z10, die den positiven amerikanischen und französischen Einfluss auf die deutsche Revolution verdeutlichen, bescheren den Republikanern (und Demokraten) zusammen 12 Zusatzpunkte pro ausgelegter Personenkarte. Wer die beiden besten Republikaner mit 11 Punkten unbeschadet auslegen kann und diese beiden Zusatzkarten besitzt, kommt damit auf einen Schlag auf 35 Punkte. Echte Chancen besitzen aber auch die Republikaner nicht. Durch die eben beschriebenen Zusatzkarten gilt dies aber für die Demokraten, die auf 41 Personenpunkte kommen und ebenfalls entsprechend viele Zusatzpunkte erhalten können. Damit besitzen sie eine realistische Chance gegenüber den Liberalen, die auf 61 Personenpunkte kommen, aber deutlich geringer durch die Zusatzkarten Unterstützung erfahren. Für den Spielablauf ist dieses Ungleichgewicht von ziemlichen Nachteil. Mit vier Karten sind die taktischen Einsatzmöglichkeiten sowieso begrenzt. Interesse hat man aber eigentlich nur an „Stichen“ mit Liberalen und Demokraten, die Reaktionäre und Republikaner gehen meist billigst weg, da die guten Zusatzkarten für die entscheidenden Auseinandersetzungen aufgehoben werden. Mehr Spannung kommt auf, wenn man die Abrechnungsmodalitäten ändert und – etwas unhistorisch, dafür aber spielerischer - zum Beispiel jeden Sieg in die Endabrechnung mit eingehen lässt.
Gerhard Kuhlmann versteht dieses „Vorspiel“ eigentlich auch nur als Appetitanreger für das komplexere Hauptspiel, in dem alle Karten zum Einsatz kommen und das vielversprechender zu werden scheint. Ursprünglich sollte diese Erweiterung schon Anfang November vorliegen. Schwere Erkrankungen von Familienmitgliedern haben die Herausgabe der Regeln verzögert. Gerhard Kuhlmann hofft, sie jetzt aber noch kurz vor Weihnachten allen Interessenten über das Internet zugänglich machen zu können. Unter der Adresse www.geschichtsspiele.de können sie abgerufen werden.
Titel: 1848
Autor: Gerhard Kuhlmann
Grafik/Design:
Verlag: Kuhlmann Geschichtsspiele
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 2
Spielzeit: 60 Minuten
Preis: ca. 9 Euro
Die Rezension erschien 1998 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 6 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder
Spiel 1/1998 R 1/2020