
Bei aller ausländischen Konkurrenz liefern deutsche Kleinverlage immer noch die eine oder andere Überraschung ab. 2014 war es CONCORDIA vom PD-Verlag, das auf der Nominierungsliste für das „Kennerspiel des Jahrs“ landete, 2015 folgt ORLÉANS von Reiner Stockhausen diesem Vorbild. Sein dlp-Verlag startete 2009 mit den von ihm entwickelten Produkten LÜBECK und CRAZY KICK. Zwischendurch verlegte er Spiele von Martin Schlegel und Jeffrey D. Allers, die beiden Neuheiten SCHEFFELN und ORLÉANS sind wieder Entwicklung des Kleinverlegers.
ORLÉANS ist ein Schwergewicht, das von den verarbeiteten Spielideen lebt, allerdings kaum thematische Atmosphäre besitzt. In der Regel heißt es, dass die Spieler im mittelalterlichen Frankreich die Vorherrschaft auf verschiedenen Gebieten zu erringen versuchen. „Mittels Warenproduktion, Handel, Entwicklung oder Engagement fürs Gemeinwohl können Waren, Münzen und Punkte errungen werden.“ Ähnlich abstrakt darf man sich das am Spieltisch vorstellen. Die Spieler entwickeln unterschiedliche Bereiche, sammeln durch Herumreisen Waren ein und errichten Kontore. Am Ende kommt alles in einen großen Punktetopf, mathematische Formelberechnung eingeschlossen.
Klingt schrecklich öde, ist es aber überhaupt nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Aktionsauslösung an einen frischen Bagbuilding-Mechanismus gebunden ist. Zwei oder drei Figuren aus dem Säckchen sind nötig, um eine Aktion nutzen zu können. Nur vier Akteure hat man anfangs zur Verfügung. Demgegenüber steht eine Vielzahl von Optionen, mit denen weitere Figuren gewonnen werden, die dann zu Lande und zu Wasser reisen, Kontore errichten und wohltätige Werke vollziehen. Zusätzlich verstärken weitere Orte die Optionsvielfalt. Die Qual der Wahl prägt 18 Runden, die, da vieles zeitgleich erledigt wird, aber gar nicht so lange dauern.
Wege zum Sieg gibt es viele und es macht den meisten Spielrunden Spaß, immer wieder neue auszuprobieren. Es bleiben aber Fragen: Müssen es wirklich 18 Runden sein oder könnte ORLÉANS nicht schon nach 12 oder 15 beendet werden? Am Ende zieht das Spiel sich oft hin. Viele Optionen lohnen nicht mehr, Figuren sind überflüssig und nutzen auch nicht mehr für segensreiche Werke. Bei den Ereignissen, die die Runden prägen, wäre eine größere Varianz wünschenswert. Für das parallele Spielen ist eigentlich ein Sichtschirm nötig. Wer mit zwei Personen ein segensreiches Werk beenden kann, aber Letzter in der Zugreihenfolge ist, der kann sich beim offenen Spiel natürlich daran orientieren, ob andere Spieler vor ihm Ähnliches planen. Ärgerlich, wie zuletzt bei DA LUIGI, sind nachgeschobene Regeländerungen. Bei ORLÉANS trifft es das starke Badhaus, der Verlag empfiehlt inzwischen, statt drei nur zwei Plättchen nachzuziehen.
Trotz der Kritik, ORLÉANS ist ein außerordentlich gutes Spiel. Der Bagbuilding-Mechanismus trägt. Trotz Vielfalt der Aktionen bleibt das Grundgerüst einfach. Unerfahrene Spieler sind schnell beteiligt und müssen die unterschiedlichen Möglichkeiten des Spiels einfach ausloten. Das Ausprobieren lohnt! Das meint auch die Jury: „Ein toller Mechanismus, der hervorragend Glück mit kluger Weitsicht kombiniert. Die vielseitigen Planungsmöglichkeiten und schnelle Züge machen ORLÉANS zu einem faszinierenden Spiel für Strategen.“
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: ORLÉANS
Verlag: dlp games
Autor: Reiner Stockhausen
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: ca. 90 Minuten
Preis: ca. 50 Euro