
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
SANKT PETERSBURG: Der Rubel kommt ins Rollen
Russland war zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht unbedingt ein reiches Land. Peter der Große versuchte 1703 mit der Gründung von St. Petersburg, ein Fenster nach Europa aufzustoßen und Russland zu modernisieren. Das war in dem an der Newa gelegenen Sumpfgebiet nicht einfach, tausende Bauern und Arbeiter starben während des Aufbaus der Residenz an Hunger, Malaria oder Skorbut. Geschichte im Spiel spiegelt nicht immer die historischen Realitäten wider, dass, was zwei bis vier Baumeister in dem Spiel SANKT PETERSBURG erleben dürfen, macht einerseits die Geldknappheit deutlich und führt uns die prachtvolle Fassadenseite der Stadt, die zum geistigen Zentrum der Entstehung des neuen europäischen Russlands wurde, vor Augen, ein potemkinsches Dorf also.
SANKT PETERSBURG ist ein spannendes taktisches Wirtschafts- und Bauspiel, das im wesentlichen Kartenspielcharakter besitzt. Der Spielplan dient nur der Kartenaufnahme und als Punkteanzeiger. So richtig zum Rollen kommt der Rubel nur, wenn die Spieler genügend Arbeiter und Handwerker besitzen, deren Produktionsleistung bezahlt wird, um mit dem verdienten Geld prachtvolle Paläste, Banken, Sternwarten zu bauen, die schließlich punkteträchtige Adlige in die Stadt holen. Den Rundenablauf des Spiels haben Einsteiger schnell verstanden. Deutlich anspruchsvoller ist es, sinnvolle Strategien für die richtige Vernetzung der Karten zu entwickeln. Deshalb wird man erst nach der zweiten oder dritten Partie die eigentliche Tiefe von SANKT PETERSBURG erkennen. Die vielen Entscheidungsmöglichkeiten machen den Nachbau der russischen Zarenstadt zu keinem einfachen, dafür aber unheimlich spannenden Spiel. In den Bann gezogen werden die Spieler nicht nur durch die Herausforderung im Spielablauf, sondern auch durch die vorzügliche Gestaltung, für die die bekannte Grafikerin Doris Matthäus verantwortlich zeichnet. Dem Hans im Glück Verlag in München kann man nur gratulieren zu diesem herausragenden Gesamtkunstwerk.
Verlagschef in München ist Bernd Brunnhofer, Ein Spielverleger, der seit Jahren gute Spiele herausbringt und erfolgreich auf dem Markt besteht. Der Münchner macht das mit seinem anfangs ganz kleinen Hans im Glück Verlag nun schon über zwanzig Jahre. In den achtziger Jahren hat er selbst die eine oder andere Spielidee zu seinen Veröffentlichungen beigesteuert. Als Autor hat er sich aber nach 1987 zurückgehalten. Dafür ist aus dem engagierten Kleinverleger einer der erfolgreichsten Spieleproduzenten Deutschlands geworden, der mit der Firma Schmidt einen kompetenten Vertriebspartner gefunden hat.
Was macht ein solcher Verleger, wenn die Erfinderleidenschaft mit ihm wieder einmal durchgeht, wenn er sich in den Kreisen seiner renommierten Autoren Wrede, Kramer und Teuber mittummeln möchte? Er versteckt sich hinter einer Fassade, baut sozusagen auch ein potemkinsches Dorf auf, hinter dem sich allerdings mehr als eine Fassade befindet. Der Autor sucht sich ein Pseudonym. An dieser Stelle darf aus dem Nähkästchen geplaudert werden, da der Verlag auf seiner Homepage das Geheimnis gelüftet hat. Der Autor des hier vorgestellten Spiels SANKT PETERSBURG Michael Tummelhofer ist der Verleger Bernd Brunnhofer. Er hat hervorragende Chancen, in diesem Jahr den großen Preis in Doppelfunktion, als Verleger und Autor, in Empfang nehmen zu können.
Wieland Herold
SANKT PETERSBURG
Verlag: Hans im Glück
Autor: Michael Tummelhofer
Grafik: Doris Matthäus
Alter: ab 10 Jahren
Anzahl Spieler: 2-4
Spieldauer: ca. 60 Minuten
Preis: ca. 25 Euro
Die Rezension erschien 2004 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 8 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Spiel 4/2004 R 47/2020

Zum Autor:
Bernd Brunnhofer startete zusammen mit Karl-Heinz Schmiel 1983 den Kleinverlag „Hans im Glück“ in München. Brunnhofer hat selbst nur wenige Spiele zum Verlagsprogramm beigesteuert, aber die wenigen hatten alle etwas Besonderes. Das gilt für sein frühes Hunderennen GREYHOUNDS, das 1986 auf der Auswahlliste zum „Spiel des Jahres“ landete, sozusagen seine erste Nominierung. Danach war er der Mann, der das richtige Händchen bei der Auswahl des Verlagsprogramms besaß. Für DRUNTER & DRÜBER von Klaus Teuber bekam er 1991 sein erstes „Spiel des Jahres“, es folgten 1994 MANHATTAN, 1996 EL GRANDE und vor allem 2001 die Auszeichnung für das Ausnahmespiel CARCASSSONNE von Klaus-Jürgen Wrede.
Für SANKT PETESBURG reichte es 2004 nicht, dafür bekam Brunnhofers Spiel den Deutschen Spielepreis. Ähnlich erfolgreich war Brunnhofer 2008 noch einmal mit STONE AGE.
Inzwischen lebt der 74jährige Münchner überwiegend auf Mallorca, die Verlagsleitung hat er an seinen Sohn Moritz 2017 übergeben.
Das Bild zeigt Zar Brunnhofer ohne Furcht, aber geadelt auf einer Preisverleihung der Jury „Spiel des Jahres“ 2000 in Berlin.

Zwischen 2004 und 2010 konkurrierten gleich fünf Titel um das „Spiel des Jahres“.
Nominiert waren 2004:
DICKE LUFT IN DER GRUFT von Norbert Proena (Zoch)
Memorieren mit Vampiren für 2-4 Kinder und Erwachsene ab 6 Jahren
EINFACH GENIAL von Reiner Knizia (Kosmos)
Genial einfach alleine oder bis zu vier Spielern ab 10 Jahren
RAJA von Michael Kiesling und Wolfgang Kramer (Phalanx)
Arbeiten an einem indischen Palast für 2-5 Bauleute ab 10 Jahren
Der Rubel rollt in ST. PETERSBURG (Hans im Glück) von Michael Tummelhofer für 2-4 Spieler ab 10 Jahren
ZUG UM ZUG von Alan Moon (Days of Wonder)
Gleisbau mit Waggons in den USA für 2-5 Eisenbahner ab 8 Jahren