
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
TIKAL – abenteuerliche Entdeckungsreise im Urwald Guatemalas
Lang, lang ist’s her, dieses Gefühl, nach der ersten Spielrunde sagen zu können: Wahnsinnig gutes Spiel, sofort noch einmal! EL GRANDE und SIEDLER müssen mit dem Rückblick auf 1995 und 1996 herhalten, und dann erinnere ich mich fast nur noch an alte Klaus Teuber-Spiele. Brettspielerlebnisse, bei denen man feuchte Hände während des Spielverlaufs bekommt, sind wahrlich nicht so häufig anzutreffen und von der großen Firma aus Ravensburg haben wir sie fast eine Ewigkeit nicht mehr erlebt. 1999 ist alles anders. Das Spitzenspiel dieser Spielesaison, ausgezeichnet mit dem Titel „Spiel des Jahres“, kommt vom Bodensee. Mit TIKAL von Wolfgang Kramer und Michael Kiesling werden zwei bis vier Spieler in den Urwald Guatemalas entführt, um sich dort auf die Suche nach Mayatempeln zu begeben.
Größtenteils unerforschte Urwaldlandschaft liegt vor den Spielern, nur auf vier sechseckigen Feldern lüftet der mittelamerikanische Dschungel sein Geheimnis. Ein Basiscamp zum Start großer Expeditionen ist sichtbar, und jeder Spieler verfügt über einen Expeditionsleiter und 18 weitere Teilnehmer, außerdem erhält er zwei Zelte zur Errichtung neuer Camps. Neben dem Zeltlager befinden sich links und rechts zwei Tempelstätten der Mayas mit dem Wert 1, abgeholzt liegt zwischen ihnen eine freigelegte Urwaldfläche brach. Sonst blicken die Spieler auf eine undurchdringliche Waldlandschaft, begrenzt durch Flüsse, Gebirge und Vulkane. Neben dem Spielplan liegen 36 sechseckige Geländetafeln bereit, die nach Buchstaben von A bis G geordnet sind, sie verbergen die Geheimnisse dieses Dschungels. Außerdem liegen am Spielplanrand quadratische Tempelplättchen mit aufsteigenden Zahlenwerten von zwei bis zehn und 24 Schatzkärtchen.
Im Grundspiel decken die Spieler reihum eine Geländetafel auf und legen sie an bereits vorhandene Tafeln an. Über Steinplatten muss dabei die neu gelegte Tafel mindestens von einer Seite her begangen werden können. Die Geländekarten können einfache Urwaldkärtchen sein, auf denen neue Camps errichtet werden dürfen, außerdem findet man unter ihnen weitere Tempelanlagen, Schatzfelder und drei Vulkantafeln in den Buchstabenphasen B, D und F, die stets Wertungsrunden einleiten.
Nach Legen der Geländekarte darf der Spieler insgesamt zehn Aktionspunkte für unterschiedliche Aktivitäten verbrauchen. Dabei muss man wissen, dass in den Wertungsphasen vor allem die Tempelpunkte der Anlagen zählen, bei denen ein Spieler die Mehrheit von Expeditionsteilnehmern besitzt, außerdem zählen gefundene Schätze, von denen es insgesamt acht verschiedene gibt, die jeweils dreimal vorhanden sind. Für einzelne Schätze erhält man einen Punkt, Pärchen bringen drei Punkte und ein Drilling 6 Punkte. Auf die Wertungen hinarbeitend, versuchen die Spieler, ihre zehn Punkte geschickt einzusetzen.
Das Spiel bietet dabei vielfältige taktische Möglichkeiten, die schon beim geschickten Platzieren der Geländekarte beginnen. Expeditionsteilnehmer ins Spiel zu bringen kostet einen Punkt, möglich ist dies nur im Basiscamp und später errichteten eigenen Camps. Das Bewegen der Forscher kostet pro Steinplatte einen Punkt. Manche Zugänge über drei Steinplatten sind recht teuer, bei entsprechender Kartenablage können die Kosten sogar noch weiter gesteigert werden. Die freigelegten Tempelanlagen besitzen Werte von eins bis sechs, durch Spateneinsatz können weitere Ebenen bis zum Wert zehn freigelegt werden. Pro Zug können dies maximal zwei Ebenen einer Pyramide sein, sofern zwei Arbeiter zur Verfügung stehen und vier Aktionspunkte geopfert werden. Auf den Schatzfeldern liegen maximal vier Schätze versteckt, die für drei Aktionspunkte pro Schatz gehoben werden dürfen. Auch hier gibt es eine Begrenzung von zwei Schatzkarten pro Zug und Feld. Für drei Punkte darf man die Mitspieler zum Schatztauschhandel zwingen, um an Pärchen oder Drillinge zu gelangen. Noch teurer kommt die Einrichtung eines neuen Camps, das einerseits fünf Aktionspunkte kostet, andererseits aber zu erheblichen Einsparungen bei den Wegekosten führt. Zweimal im Spiel besitzt man außerdem die Möglichkeit, einen Tempel mit einem Wächter zu schützen, so dass bei einem teuer erkauften Zehner- oder Neunertempel die Mehrheitsverhältnisse nicht mehr verändert werden können. Voraussetzung für eine solche Übernahme ist allerdings, dass der Spieler zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit am Tempel besitzt. Ein Expeditionsteilnehmer wird zur Kennzeichnung auf die Spitze des Tempels gesetzt, alle anderen, die zur Mehrheitsbildung nötig waren, gehen verloren.
Die Möglichkeiten, seine zehn Aktionspunkte einzusetzen, spiegeln die Vielfältigkeit im Spielablauf wider. Das erst allmähliche Eindringen in den Urwald eröffnet immer neue Perspektiven, zumal die ersten Pyramiden mit Zweierwerten noch wenig attraktiv sind. Von zentraler Bedeutung ist im weiteren Spielverlauf die strategisch günstige Einrichtung neuer Camps, zumal damit automatisch Geheimgänge zwischen dem Basiscamp und allen eigenen eingerichtet werden, die kostengünstige Bewegungssprünge ermöglichen.
Für die Wertungsphasen haben sich Kramer und Kiesling einen interessanten Ablauf einfallen lassen. Beim Aufdecken einer Vulkankarte wird nicht der Ist-Zustand gewertet, sondern jeder Spieler macht für sich eine Wertung, nachdem er zehn Aktionspunkte eingesetzt hat. So können in einer Wertungsrunde Pyramiden einmal für den einen, dann wieder für den anderen Spieler gewertet werden, wenn die Mehrheitsverhältnisse geändert wurden. Die jeweiligen Punkte werden auf einer Außenskala angezeigt. Dieser Wertungsmechanismus gilt auch für die Schlusswertung nach Legen der letzten Geländetfafel. Die Zugreihenfolge ergibt sich durch den Punktestand, so dass der hinten liegende Spieler zuerst werten darf und damit in eine etwas günstigere Position kommt als die vor ihm liegenden.
Nach einer ersten Partie TIKAL empfehle ich, nur noch die Profiversion zu spielen, die sich insofern von der Grundfassung unterscheidet, dass jeder Spieler mit einem Vorschusskapital von zwanzig Punkten startet, um die Geländetafeln ersteigern zu können. Pro Spielrunde werden so viele Tafeln aufgelegt, wie Spieler teilnehmen. Der Spieler, der in der dann folgenden Versteigerungsrunde am meisten bietet, hat die freie Auswahl unter den ausliegenden Karten und erhält den ersten Zug, was von großer Bedeutung sein kann. Danach werden die restlichen Karten versteigert. Der gezielte Einsatz von Karten ist mit dieser Versteigerungsvariante viel besser möglich.
Spannung vom Spielanfang bis zum Schluss! Auf längere Grübelphasen muss man bei TIKAL aber eingestellt sein. Viel besser kann ein Spiel nicht sein, wobei die Umsetzung der Ravensburger vom Spielmaterial her (Holzsteine, Holzzelte, Spielbrett und –Karten in der gewohnten Qualität) und von der optischen Gestaltung (Franz Vohwinkel) zusätzlich zur gelungenen Spielatmosphäre beitragen.
Heo
Titel: TIKAL
Verlag: Ravensburger
Autoren: Wolfgang Kramer und Michael Kiesling
Grafik: Franz Vohwinkel
Spieler: 2-4 Spieler
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 90 bis 120 Minuten
Preis: ca. 50.- DM
Die Rezension erschien 1999 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 9 von 10 Sternen,
das entspricht: Jederzeit wieder
Spiel 12/1999 R 68/2020

Zum Spiel und zu den Autoren:
Die erfolgreiche Zusammenarbeit des Autorenteams Kramer& Kiesling begann 1997 mit HASTE WORTE (F.X. Schmid). TIKAL war 1999 der erste ganz große Erfolg, dem dann sofort der zweite mit TORRES folgte. Mit Spielen wie VERFLIXXT! und PALÄSTE VON CARRARA sind die beiden Autoren nur knapp an der großen Auszeichnung vorbeigeschrammt.
Mit TIKAL gelang Kramer&Kiesling ein Doppelerfolg, Sie gewannen nicht nur den Pöppel für das „Spiel des Jahres“, sondern landeten auch auf dem ersten Platz beim Deutschen Spielepreis. Das Foto zeigt bei de Autoren bei der Preisverleihung in Essen.