
Legacy-Spielen wenden sich von ihrer Kenner- und Expertenzielgruppe ab und werden familienspieltauglich, eignen sich gar für Kinder. Die Jury „Spiel des Jahres“ trägt diesem Trend 2020 im besonderen Maße Rechnung, taucht doch mit KING’S DILEMMA ein anspruchsvolles Spiel mit vielen Entscheidungsmöglichkeiten auf der anthraziten Nominierungsliste auf, auf der roten Liste nominieren die Juroren MY CITY von Reiner Knizia und für die Kinder empfehlen sie immerhin das geniale ZOMBIE KIDZ EVOLUTION. Hier wäre für meinen Geschmack auch eine Nominierung angebracht gewesen. Diese Chance, auf allen drei Nominierungslisten Legacy-Spiele zu präsentieren, verpassen die Juroren.
Dafür hat MY CITY die Aussicht, den Hauptpreis zu gewinnen, was zu einem Doppelsieg für Kosmos führen könnte, denn der Sieg des genialen kooperativen Stichspiels DIE CREW scheint mir sicher. Der 62-jährige Knizia, der schon vor 30 Jahren mit DIGGING und GOLDRAUSCH seine ersten Spiele veröffentlichte, versteht sein Handwerk. Es gelingt ihm deshalb, die Komplexität eines Legacy-Ansatzes so runterzubrechen, dass Familien mit Kindern ab acht Jahren zumindest am Anfang keine Probleme haben, das Spiel zu verstehen.
Knizia greift dabei auf eine Rosenberg-Vorliebe zurück, die er aber auch selbst schon früher genutzt hat. Grundsätzlich läuft die Stadtbildung in MY CITY in 24 Spielrunden mit einem Anfangssatz von 24 pentominoartigen Gebäuden in drei Farben ab. Diese TETRIS-Variation, mit der Rosenberg uns bei der Edition Spielwiese durch ein ganzes Jahr geführt hat, kennen wir von Knizias lückenlosem Spielvergnügen in FITS, mit dem er schon 2009 auf der Nominierungsliste war, dann aber gegen DOMINION verlor.
Knizias MY CITY erzählt eine Geschichte der Stadtentwicklung jeweils in drei Kapiteln, die in Ansätzen angelehnt ist an die Zivilisationsgeschichte. So kommt es wie in seinem ersten Spiel von 1990 zum Goldrausch, zu einer Art Industrialisierung mit Eisenbahnbau bis in eine abschließende Wohlstandsphase. Was erzählerisch angelegt ist, entwickelt nur in Ansätzen echte erzählerische Dimensionen, MY CITY bleibt über alle 24 Spiele hinweg ein abstraktes Legespiel.
Der Plan mit 11x11 Feldern ist anfangs nur naturgeprägt. Ein Fluss mäandert durch grüne Auen, dieser darf nicht überbaut werden. Das gilt auch für die große Waldfläche und das Gebirge. Kleine Steinhaufen und Zwillingstannen dürfen dagegen überbaut werden, wobei man das beim Steinmaterial tunlichst machen sollte, denn jeder Stein, der am Ende zu sehen ist, kostet einen Gewinnpunkt. Andersherum sollten die Bäume besser stehen bleiben, denn jeder Baum bringt einen Punkt.
Der Reihe nach werden Karten aufgedeckt, die jeweils ein spezielles Pentominoteil zeigen, das sofort auf dem Spielplangelegt wird. Die Spieler achten dabei auf die Grundbedingungen und legen stets angrenzend, der Fluss gilt dabei nicht mehr als nicht zu überschreitende Grenze. Sind alle Teile gelegt, wird abgerechnet. Der Sieger und der Zweite erhalten Fortschrittspunkte auf ihrem Legacy-Spielplan, zusätzlich gibt es Sticker, die für weitere Spiele den Hintenliegenden begünstigen und den Führenden etwas ausbremsen. Nach drei Spielen, darf ein neuer Umschlag geöffnet werden, der á la Legacy weitere Veränderungen durch neues Spielmaterial bringt.
Da sich die Grundstruktur nicht ändert und die Komplexität erst allmählich steigert, hält MY CITY fast das ganze Spiel über das Familieniveau. Ideal sind die kurze Spieldauer und die allmähliche Hinführung auf höhere Anforderungsebenen, die das reine Plättchenlegen nie langweilig werden lassen. Da gibt es viel zu entdecken, der Spannungsbogen bleibt vor jeder neuen Öffnung der Briefumschläge hoch. Am Ende bedauert man, dass es nur acht Umschläge sind, die die Kampagne begleiten. Für die Zeit danach sieht Knizia DAS EWIGE SPIEL vor, das auf der Planrückseite gespielt werden kann. Dabei zeigt sich, dass die Grundstruktur auf Dauer eher langweilig ist und für mich hinter den Rosenberg-Spielen aus Berlin eingeordnet werden muss. MY CITY lebt von der Lust auf Veränderung, die Knizia befriedigt, insofern gelingt die Umsetzung des Legacy-Prinzips auf der Ebene eines Familienspiels ausgezeichnet. Daher dürfte dieser Spielentwurf Reiner Knizia nach KELTIS 2008 erneut den Siegerpöppel für das „Spiel des Jahres“ einbringen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MY CITY
Autor: Reiner Knizia
Grafik/Design: Michael Menzel
Verlag: Kosmos
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 – 4
Spielzeit: ca. 20 - 30 Minuten
Preis: ca. 35 Euro
Spiel 51/2020