Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1988 und 2010
Wollten Sie nicht schon immer einmal hinter die Kulissen der Kreml-Politik schauen, Mäuschen im Politbüro der UdSSR spielen? Jetzt können Sie es, Mitgliedschaften im BND oder einem anderen Nachrichtendienst sind nicht erforderlich, erspielen Sie sich mit dem neuen Spiel des Schweizers Urs Hostettler ihre eigene KREML-Geschichte.
Worum geht es? Der greise Nestor Aparatschik, seines Zeichens noch Partei- und Regierungschef in Moskau, wartet im Spieljahr 1951 auf seine Ablösung. Die Politbüromitglieder, besonders der Verteidigungs-, Außenminister und der KGB-Chef sitzen schon in den Startlöchern, jeder baut sich seine Troika im Politbüro auf, um beim Ableben des Chefs den Nachfolger stellen zu können. Übersteht dieser dann Säuberungsaktionen, Anklagen und gesundheitliche Attacken, und kann er sich dreimal winkend der Weltöffentlichkeit bei der Oktoberparade präsentieren, ist ein mögliches Spielziel erreicht; sonst endet KREML spätestens nach elf Spielrunden im Jahre 1961. Sieger ist jeweils der Spieler, der am meisten Einfluss auf den Regierungschef hat.
Hier liegt auch der besondere Spielreiz, gepaart mit Pokerelementen. Am Anfang verteilt nämlich jeder 1-10 Einflusspunkte auf seine persönliche Auswahl aus den 23 zur Verfügung stehenden Männern und einer Vorzeigefrau, Ludmilla Patina. Die Punkte, die erst im Laufe des Spiels offengelegt werden, berechtigen zum Handeln für einzelne Politiker, so kann man an Abstimmungen teilnehmen, Säuberungen durchführen, imperialistische Spione enttarnen - Sibirien wartet. Häufiger noch rafft der Stress der politischen Auseinandersetzungen die immer älter werdenden Politbürolisten hin, wenn nicht eine Kur sie rettet. Es geschieht also einiges im KREML - von Glasnost und Perestroika ist noch keine Rede.
Wer sich nicht abschrecken lässt von dem umfangreichen, witzig geschriebenen Regelwerk, wer Spaß an Politsatire hat (soll Leonid Bungaloff Ihr Liebling werden oder vielleicht Edward Zuhorstrapadse?) und auch einmal zwei Stunden am Spieltisch sitzen mag (Spieldauer 1 bis 2 Stunden), der wird mit diesem Spiel (für 3 bis 6 Spieler) viel Freude haben.
Der Schweizer Verlag Fata Morgana hat mit dem Spiel KREML inzwischen auch breitere Anerkennung gefunden, die Jurymitglieder des ,,Spiel des Jahres" setzten es auf die Bestenliste und die Leser der,,Pöppel-Revue", der ältesten Spielezeitung in der Bundesrepublik, wählten es sogar mit großem Vorsprung zum beliebtesten Spiel des Jahres 1987.
WIELAND HEROLD
Titel: KREML
Verlag: Fata Morgana Spiele
Autor: Urs Hostettler
Grafik: Res Brandenberger
Spielerzahl: 3 – 6
Spieldauer: 60 bis 180 Minuten
Alter: ab 12 Jahren
Preis: ca. 45.- DM
Die Rezension erschien 1988
Wertung Spielreiz damals 8 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Spiel 1/1988 R 76/2020
Zum Spiel und zum Autor:
Diese Rezension ist meine erste Spielbesprechung und erschien damals im Göttinger Tageblatt.
Der Berner Autor und Liedermacher Urs Hostettler gründete 1982 mit dem Verlag Fata Morgana einen eigenen Spieleverlag und eine Vertriebsfirma für Spiele und Liedermacher-Platten. 1985 kam der renommierte Laden das „DracheNäscht“ dazu, ein Verkaufsladen für Spiele und Drachen in der Berner Altstadt, der immer noch existiert. Den Trend zu Krimispielen hat er mit seinen MYSTERIE WEEKENDS schon lange vorweggenommen. Seit 1993 unterhält er mit Stücken wie MORSOC und GENIE UND WAHNSINN.
Mit KREML, EIN SOLCHES DING, SCHRAUMELN und WIE ICH DIE WELT sehe landeten Spielentwicklungen Hostettlers auf der Auswahl- und Empfehlungsliste der Jury Spiel des Jahres. Auch das geniale TICHU und die ANNO DOMINI-Reihe stammt von ihm. Die meisten seiner Spiele hat Abacus in Deutschland herausgebracht.
Leider besitze ich kein Foto von Urs Hostettler, daher stammt das zweite Bild aus dem Spielmaterial und zierte damals meinen Artikel.