
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
„Die Müh ist klein, der Spaß ist groß!“
Um Themen nie verlegen scheinen die deutschen Spieleautoren. In die klassische Kiste wird allerdings selten gegriffen. Kultur ist häufig im Spiel, aber literarische Vorbilder werden nur selten verarbeitet. In diesem Jahr hat sich ein Autor an den Faust-Stoff herangewagt. Um mit Goethe zu sprechen. "Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er mag." Reinhold Wittig, Spieleautor aus Göttingen, hat's probiert und mit Erfolg abgeschlossen.
Thematisch und optisch außergewöhnlich stimmig umgesetzt, jagen in dem Spiel zwei diabolische Gegenspieler Faust hinterher. Das Spielmaterial ist teuflisch gut. Der erst im letzten Jahr neu gegründete Blatz-Verlag aus Berlin hat ein feines Gespür für tolle Spieleproduktionen. Alle großen Verlage verliert man bei den Spielen dieses Verlages aus den Augen, aus dem Sinn. Eine Art Spielplanläufer, 90cm lang, schlicht und passend in schwarz-weiß gehalten, mit 30 mit Faustzitaten gespickten Spielfeldern, umrahmt von klassischen Faustabbildungen, stimmt hervorragend auf das Spiel ein.
Das Spielmaterial setzt ebenfalls Akzente. Faust's Seele wird durch eine große Glaspyramide symbolisiert, die Teufel sind rote und blaue Glassteine, die in einem sinnvollen Kontrast zum schwarz-weißen Spielplan stehen. Der ästhetische Reiz, der von diesem Spiel ausgeht, ist einmalig. 1994 gibt es kein schöneres Spiel! Hoffentlich ein Anreiz für viele Verlage, nicht nur in Plastik zu schwelgen.
Spielerisch hat Wittig mit DOCTOR FAUST ein Taktikspiel entwickelt, mit dem sich zwei Spieler etwa eine halbe Stunde lang gut unterhalten können. In der Jagd nach elf Seelenkarten, deren Wert sich immer mehr steigert, stellen sich die Teufel intrigant stets ein Bein, um selbst erfolgreich sein zu können. Das Spiel kommt ganz ohne Würfel aus, die Siegchancen sind damit völlig gleich. Um mit Faust zu enden: "Die Müh ist klein, der Spaß ist groß!"
Titel: DOCTOR FAUST
Autor: Reinhold Wittig
Verlag: Blatz
Spielerzahl:2
Spieldauer: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 39.00 DM
(Wieland Herold)
Die Rezension erschien 1994
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Spiel 3/1994 R 81/2020

Informationen zum Spiel und zum Autor:
1988 hatte Reinhold Wittig mit RUFUS eine interessante Fuchsjagd für zwei bis fünf Personen herausgebracht. Das Spiel stieß auf Interesse bei den Verlagen, die Firma Mattel übernahm schließlich das Spielprinzip und verlegte das Thema in den Computerbereich: Für 50 000 DM wurde MR.CHIPS entwickelt, dann aber nie produziert. Zur Spiel '90 gab es eine neue RUFUS-Variante aus dem Hause Wittig: DR. FAUSTUS. Das Spielprinzip hatte sich nicht geändert; da es nun als Zweipersonenspiel konzipiert war, wurden nur die Zahl der Spielfelder und Karten verringert. Dieses Remake lebte vor allem von der neuen Spielplangestaltung und dem außergewöhnlichen Spielmaterial. Alte Kupferstiche zur Faustfabel gaben die Spielplanfelder ab, die Spielsteine waren große Halbedelsteine, zum Teil mit Lupeneffekt, der auf den alten Bildern besondere Wirkung hervorruft. Mit den wertvollen Spielsteinen setzte Wittig eine im letzten Jahr mit HOTU MATUA begonnene Tradition fort. Besondere Faszination übte der Seelenschutzstein aus, für den der Geologe Wittig geschliffene Chiastolite beigesteuert hatte, Steine mit eingelagerter Kreuzstruktur, die dem Spiel die nötige atmosphärische Dichte gaben. Blatz hat versucht durch Übernahme der Grafik, Glassteine und Glaspyramide die Atmosphäre aus Wittigs Original ins Verlagsprodukt zu transportieren.
Die Jury würdigte dieses Spiel 1994 mit dem Sonderpreis Schönes Spiel.
Über den Göttinger Geologen, Puppenspieler, Künstler und Spieleerfinder ließen sich Seiten füllen. Ich halte mich an dieser Stelle kurz:
Reinhold Wittig, der 83jährige Erfinder des Spieleautoren Treffens in Göttingen, entwickelt seit 1958 Spiele. 1976 gründete er seinen Kleinverlag Edition Perlhuhn, der mit Skaiplänen und Spielen in der Rolle bekannt wurde.
Zu seinen bekanntesten Spielen gehört die Würfelpyramide DAS SPIEL (1980 mit dem Sonderpreis Schönes Spiel ausgezeichnet), das heute immer noch von Abacus vertrieben wird. Für WIR FÜTTERN DIE KLEINEN NILPFERDE und MÜLLER & SOHN bekam er ebenfalls diese Auszeichnung, für die Grafik war jeweils sein Sohn Matthias verantwortlich. Seine ästhetischen Maßstäbe für Spielmaterial und Optik haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der einfache Pöppelalltag aus den Spieleschachteln verschwand. Den Kosmos-Verlag brachte er durch edle Spiele in der Reihe mit der Feder voran, darunter auch eigene Veröffentlichungen wie MARITIM, das 1987 Chancen auf das Spiel des Jahres hatte. In den 90er Jahren prägt seine Handschrift die Spiele von Blatz. KULA KULA und das hier vorgestellte DOCTOR FAUST aus diesem Verlag bekamen ebenfalls den Preis für das Schöne Spiel. Die ganz großen Erfolge blieben dann zwar im neuen Jahrtausend aus, immerhin landete CORNU 2007 auf der Empfehlungsliste der Kinderspieljury und MOGULI erhielt 2013 eine MinD-Würdigung.
Die Organisation des Autorentreffens hat Wittig 2016 an die SAZ übergeben, in seiner Edition Perlhuhn unterstützt ihn seit letztem Jahr Timo Diegel.
Das obere Bild ist zeigt DOCTOR FAUST 1994 auf dem Autorentreffen in Göttingen. Das untere Bild zeigt Reinhold Wittig 2017 bei der Entgegennahme seines Göttinger SPATZ.
