
„Ist doch ein alter Hut!“ Die erste Begegnung mit DEAD MAN`S DRAW ruft nicht gerade Begeisterungsstürme hervor. Der eine erinnert sich an Neugebauers KLEINE FISCHE, bei denen Kraken ganze Auslagen verschlangen, der andere an HÄNDLER DER KARIBIK oder PORT ROYAL von Alexander Pfister, wo identische Schiffe Planungen zum Kentern brachten. Der Dritte zuckt die Schulter, murmelt CAN`T STOP! und liegt irgendwie auch richtig.
Das Prinzip, zum Feierabend gezwungen zu werden, wenn man nicht rechtzeitig aufhört und eine Karte doppelt aufdeckt, zieht scheinbar magisch die nautische Umgebung an. Entsprechend passt DEAD MAN`S DRAW wunderbar ins Umfeld. Piraten, Nixen, Kraken, Schätze und Kanonen, die Seeräuberwelt wird ideal bedient. Das Spiel ist ursprünglich als Computerspiel entwickelt worden, war erfolgreich unter iOS. Im App Store ist es zurzeit in einer Zweipersonenvariante kostenfrei zu bekommen. Die Kartenspielversion liegt seit 2015 vor und ist u.a. bei Heidelberger erschienen.
Im Grunde genommen läuft das Spiel genauso ab, wie die anfangs genannten. Die Spieler decken Karten auf. Wer rechtzeitig aufhört, sammelt sie, wer das versäumt, guckt in die Röhre. Aber wie schon bei den Karibikhändlern, die doppelte Schiffe abwehren konnten, bestimmen Sonderfunktionen den Piratenwettkampf. Und das treibt DEAD MAN`S DRAW auf die Spitze, denn alle zehn Beutekarten, die jeweils sechsmal im Spiel sind, besitzen Spezialaufgaben. Zusätzlich gibt es 17 Charaktere vom Casanova bis zum Resteverwerter, die in den Spielablauf einwirken. Wem das noch zu wenig ist, der kann mit sechs Spielvarianten andere Spielzugänge eröffnen. DEAD MAN`S DRAW bietet eine Schatzkiste von Spieloptionen, hinter denen sich alle Vorgänger verstecken können. Aber wie das so ist, wer schon einmal eine echte Schatztruhe geöffnet hat, wird geblendet von der Vielfalt, erschlagen vielleicht und weiß gar nichts mit dem unverhofften Reichtum anzufangen.
Mein Rat: Langsam an das Spiel herantasten und nur das aus der Kiste greifen, was der Gruppe Spaß macht. Das Grundspiel startet man am besten nur mit den 60 Spielkarten, um sich mit ihren Besonderheiten vertraut zu machen. Die grünen Nixenkarten können ohne Probleme schon von Anfang an mit den höheren Werten 4 bis 9 dabei sein, alle anderen Karten besitzen Werte zwischen 2 und 7.
Wer an der Reihe ist, deckt auf, hat er drei oder vier verschiedene Karten in der Auslage liegen, sollte er aufhören. In der Endabrechnung zählt nur der höchste Wert jeder Kartenart, das kann also maximal eine 9 bei der Nixe und eine 7 bei jeder anderen Sorte sein. Die Nixen haben einfach nur höhere Werte, Anker sichern Karten, die vor ihnen liegen. Wer den grünen Haken aufdeckt, muss eine eigene Karte in die Auslage legen und nutzt erneut deren Funktion. Effektiver ist der Säbel, weil man die Karte vom Gegner holt. Auch die Kanone trifft einen Gegenspieler, dessen Karte in der Ablage verschwindet. Die Schatzkarte kann solche Karten zurückholen, drei vom gemischten Ablagestapel stehen dabei zur Auswahl. Vorteilhaft ist das Orakel, das einen Blick auf die kommende Karte zulässt, weniger hilfreich ist die Krake, die zwingt, zwei weitere Karten aufzudecken. Stark ist die Kombi von Schlüssel und Schatztruhe, die verdoppelt die ausliegende Kartenzahl. Wer beispielsweise vier Karten aufdeckt, erhält vier weitere vom Ablagestapel. Da eine Runde schnell vorbei ist, bringt eine solche Kombination mit vielen Karten oft den Spielsieg. Eine aufgedeckte Schatztruhe erhöht aber das Risiko, weiter spielen zu wollen, um noch an den Schlüssel zu kommen. Oft klappt es dann nicht und es kommt das Aus. Damit ist alles weg, es sei denn, irgendwo liegt ein Anker. Übersichten erläutern hilfreich alle Karteneffekte, sodass es nur eine Einführungsrunde braucht, bis alle im Spiel sind. Spieler, die sich viel merken können, haben eindeutige Vorteile, aber auch wenn sie Wahrscheinlichkeiten besser einkalkulieren können, trifft der Zufall sie wie jeden anderen. Deshalb macht DEAD MAN`S DRAW aus dem Bauch heraus gespielt am meisten Spaß.
Schon das Grundspiel begeistert. Wer dann noch zulegen möchte, greift auf die Charakterkarten zurück. Da kann der Casanova Meerjungfrauen sofort in seine Auslage ziehen. Der Resteverwerter bekommt die Abschüsse der Kanone, der Mystiker verstärkt das Orakel und blickt drei Karten in die Zukunft. Beim Schmuggler sind nicht nur die Karten vor dem Anker geschützt, sondern zwei weitere danach. Das Problem der Charaktere ist deren Unausgewogenheit. Wer den Plünderer hat, holt sich nicht aus der Ablage, sondern bei einem Gegenspieler die Bonuskarten für Schlüssel und Truhe. Das bedeutet oft das Aus für den Beraubten, der keine Siegchance mehr hat. Schlüssel und Truhe sind schon stark, mit dem Schatzjäger wird der Wert der Bonuskarten sogar noch verdoppelt. Zu stark empfinde ich auch Davy Jones, der alle Karten eines Gegners, die dieser versenken muss, zur eigenen Beute macht. Auch die Fähigkeiten werden auf einer Übersichtskarte erläutert. Die Gruppe sollte sich darüber verständigen, ob sie einige Karten vorher aussortiert. Experimentieren lohnt. Nach Regel erhält jeder zwei Karten zur Auswahl und sucht sich davon ein aus, die dann offen ausliegt.
Gut gefallen mir die sechs Spielvarianten, auch die kann man mischen und für jede Runde zufällig eine ziehen oder gezielt eine aussuchen. Bei den „fremden Ländern“ wird zum Beispiel die Beute versenkt, wenn zwei Mal die gleiche Zahl ausliegt. Bei der „Schatzinsel“ zählen alle Beutekarten und nicht nur die wertvollste. Bei „alle Mann an Deck“ muss auf Vollständigkeit geachtet werden, für jedes Symbol, das in der Auslage fehlt, gibt es Punktabzug. Diese Variationen verändern den Spielablauf und geben DEAD MAN`S DRAW zusätzlichen Pfiff.
„Ist doch ein alter Hut!“, sagt inzwischen keiner mehr und alle ziehen dieses Piratenspiel den Fischen und Händlern allemal vor. Da hat zwar jemand abgekupfert, aber eine Gesamttruhe daraus gemacht, die alles enthält und vor allem viel Spielspaß bringt. Auch die Grafik passt, das Kartenmaterial ist solide und die Regel gut. Bleibt nur noch die Frage nach der fehlenden vierten Übersichtskarte für die Fähigkeiten der Charaktere, aber die ist letztlich marginal.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: DEAD MAN`S DRAW
Verlag: Heidelberger Spieleverlag
Autor: Derek Paxton, Leo Li, Chris Bray
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 13 Jahren (Verlagsangabe, ohne Probleme ab 10 Jahren spielbar)
Dauer: ca. 10 bis 15 Minuten
Preis: ca. 12 Euro