
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Auf der Schnur sein: LEINEN LOS
Die Firma Haba entwickelt sich immer mehr zu der innovativsten Spielefirma im Kinderspielbereich. Die Spieleredakteure im bayerischen Rodach setzen Maßstäbe im Bereich des Materials, sie lösen sich vom herkömmlichen Brettspiel und öffnen sich für das Spiel im freien Raum, sie faszinieren durch immer wieder neue Spielideen.
Mit den 97er-Neuheiten haben sich die Rodacher wieder einmal selbst übertroffen. Aus der großen Reihe guter und sehr guter Spiele ragt ein Geschicklichkeitsspiel des in Venedig lebenden Amerikaners Alex Randolph heraus: LEINEN LOS! nennt er ein Bootsrennen für zwei bis vier Kinder ab 6 Jahren. Die Steuerung seiner Boote ist nicht einfach, da sie nur über einen lose in das Holzboot eingesetzten Holzmotor mit einem Finger vorwärtsgeschoben werden können. Dabei gerät das Boot schnell ins Schlingern und kommt vom vorgesehenen Spielplankurs ab. Stimmig umgesetzt hat der Autor die Dauer der Bootsfahrt. Solange ein Mitspieler um einen Kreuzpoller ein Tau in 8er-Schlingen wickelt, darf gefahren werden. Wer nach diesen Regeln als erster den schwierigen roten oder den einfacheren gelben Kurs bewältigt und dabei weder die kleinen Bojen berührt noch sein Schiff auf Land setzt, ist Spielsieger.
Ein hervorragendes Familienspiel, an dem auch Erwachsene ihre Freude haben. Nur sollten die Eltern beim Spiel mit ihren Kindern das Tau um den Kreuzpoller auf- und abwickeln, damit die Chancengleichheit gewahrt bleibt. Seine besten Qualitäten entfaltet LEINEN LOS! aber, wenn man die Spieleschachtel samt Spielplan vergisst, die Boote, Bojen und den Kreuzpoller in die Hosentasche steckt und damit jederzeit spielbereit ist. So können lange Wartezeiten auf das Essen im Restaurant wunderbar überbrückt werden, indem der Tisch zur Rennstrecke wird. LEINEN LOS! lässt sich nämlich sehr gut ohne Spielplan spielen.
Wieland Herold
Titel: Leinen los!
Verlag: Haba
Autor: Alex Randolph
Spielerzahl: 2 -4
Alter: ab 6 Jahren
Spieldauer: 10 bis 15 Minuten
Preis: ca. 40.- DM
Die Rezension erschien 1997 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Spiel 9/ 1997 R 123/2020

Zum Spiel und zum Autor:
Alex Randolph war der Kosmopolit unter den Spieleautoren. 1922 in Böhmen geboren. Seine Mutter stammte aus Colorado, sein Vater war Russe. Schon als Kind lebte er mehrere Jahre in Venedig, bevor er als Zehnjähriger in ein Schweizer Internat geschickt wurde. Ein Jahr vor dem Zweiten Weltkrieg ging die Familie zurück in die USA. Während des Krieges arbeitete er am Entschlüsseln feindlicher Codes.
Nach dem Krieg lebte er als Werbetexter und Romancier in Boston, bevor er 1961 mit Pentomino-Steinen sein erstes Spiel veröffentlichte. Randolph siedelte dann nach Wien um, spielte dort im Café Hawelka TWIXT mit Herbert Feuerstein, das bald als 3M-Spiel in einer edlen Buchschuberausgabe erschien und ihm einen mehrjährigen Aufenthalt in Japan finanzierte. Mitte der 70er Jahre fand der Spieleautor nach Venedig zurück, wo er 2004 starb.
Anfangs entwickelte er, inspiriert durch die Japanreise, hauptsächlich taktische Spiele für zwei, wie EVADE, BUFFALO und GEISTER. In den 80er Jahren erfand er erfolgreich viele Familienspiele wie SAGALAND, „Spiel des Jahres“ 1981, das er zusammen mit seinem engen Freund Michael Matschoss entwickelte, der sich inzwischen um sein spielerisches Erbe kümmert. Es blieb zwar sein einziges „Spiel des Jahres“, für GUTE FREUNDE (1989) gewann er den ersten Sonderpreis „Kinderspiel“, was er mit LEINEN LOS! 1997 noch einmal wiederholte. INKOGNITO (1988) und VENICE CONNECTION (1996) bescherten ihm den Sonderpreis „Schönes Spiel“.
In den 90er Jahren arbeitete Randolph eng mit Johann Rüttinger zusammen, der auch XE CIAO CIAO … in sein Programm nahm. Posthum veröffentlichten Rüttinger und Kathi Kappler 2012 das lesenswerte Buch Randolphs „Die Sonnenseite. Fragmente aus dem Leben eines Spieleerfinders“.
In seinem 68. Lebensjahr wird der Philosoph unter den Spieleautoren mit dem Göttinger SPATZ ausgezeichnet, außerdem erhält er 1992 einen Sonderpreis für sein Lebenswerk beim Deutschen Spielepreis. Randolph gilt neben Sid Sackson als einer der ersten Spieleautoren, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Er hat schon in den 70er Jahren dafür gesorgt, dass Autorennamen auf den Schachteln auftauchten.
Das Bild zeigt Alex Randolph mit Hajo Bücken 1993 in Essen bei einer Versteigerung seines Originals von TEMPO KLEINE SCHNECKE.