Wer hätte gedacht, dass Apologeten Ali Mitgutschs mit einer Wimmelbild-Idee einmal den ersten Platz der Fairplay Scoutaktion in Essen gewinnen und nicht Schwergewichte wie BONFIRE oder AEONS END. Im Buchsektor gibt es seit Jahren die vergleichbaren Ratekrimis FINDE DEN TÄTER von Julian Press. Die Wimmelbild-Idee in Spielen ist ebenfalls nicht neu, Parker hatte sich in den 90ern mit WO IST WALTER? in diesem Genre versucht und dabei an die weltweit erfolgreichste Reihe des britischen Grafikers Martin Handfords angeknüpft. Ravensburger experimentierte 2015 mit einer RIESEN BILDER-RALLYE im Disney-Universum auf einem exorbitanten Plan von 180 Zentimetern Länge. So richtig erfolgreich waren alle bisherigen Vorgänger aber nicht, das wird nun anders.
Johannes Sich, den wir von LA COSA NOSTRA kennen, hat Michael Schmitt von der Edition Spielwiese die Idee zu Wimmelbild-Krimis vor einiger Zeit angeboten und Schmitt war sehr angetan. Bei der letzten realen Spiel 2019 zeigte er im Hinterzimmer seines Standes schon stolz den damaligen Prototypen und seit der digitalen Spiel können 16 Kriminalfälle im wuseligen CRIME CITY auf einem Plan von ca. 110x80cm gelöst werden.
Sichs schwarz-weiße Städteschluchten mit Hafenanbindung zeigen keine Momentaufnahme der verbrecherischen Großstadt, sondern zeitversetzte Ausschnitte, die zwar ins große Ganze passen, aber kleine Zeitreisen vor und zurück erlauben. So erleben wir Mordopfer noch lebend, nur wenige Straßenzüge von dem späteren Tatort entfernt und eben daraus entwickelt Sich eine spannende Such-Deduktion, die hilft den Fall zu klären und den Täter zu finden.
Karten leiten uns durch die Diebstähle und Morde, anfangs leichter, später immer schwerer lösbar. Der Autor bietet Kartensätze in fünf Schwierigkeitsgraden an, die wir alle erst einmal eintüten müssen. Teillösungen führen uns zu immer weiteren Fragen, die sich mithilfe einer gründlichen Untersuchung der Bilder auf dem Plan und logischer Überlegungen beantworten lassen, bis schließlich die Lösung gefunden ist. Wirkt wie ein Solospiel, kann natürlich auch alleine gespielt werden, macht aber gerade im gemeinsamen Suchen unheimlich viel Spaß, weil es neben dem Fall soviel zu entdecken gibt. Da fällt anfangs die Konzentration auf die ersten eher leichten Fälle ziemlich schwer, weil die Großstadt viele Ablenkungen bietet.
Wer den Suchrhythmus verstanden hat, sich allmählich hineinzoomt in die Mikrowelt der kleinen Strichfiguren, darf sich dann an der ganz großen kriminalistischen Aufgabe versuchen, in der der Fall nicht mehr über Hilfsschritte gelöst wird, sondern nur aus der Anfangskonstellation heraus rekonstruiert werden soll. Das ist dann eine echte Herausforderung, die aber durchaus zu bewältigen ist.
Im Detail mag es Kritik geben, der große Faltplan macht ebensolche Probleme, wie wir sie früher mit Falk-Stadtplänen hatten. Er ist nur auf dünnes Papier gedruckt, alles andere würde das Spiel aber wohl viel teurer machen. Etwas unpraktisch sind auch die durchsichtigen Tütchen für die Fallkarten, sie spoilern über die Rückseite. Die beiliegende Lupe ist eher ein Wundertüten-Witz und bringt nur wenig Hilfe, zumal sie nur einer nutzen kann. Viel wichtiger ist eine gute Ausleuchtung des gesamten Spielplans und Einblicke von der Hafenseite ins Stadtinnere für alle Beteiligten. Aus nördlicher Perspektive lassen sich die Fälle weniger gut lösen.
Trotz allem hat Johannes Sich hier ein großartiges Konzept entwickelt, das nach neuen Plänen und Fällen nur so schreit. Ähnlich wie die brandtschen EXIT-Fälle dürfte der MICROMACRO-Ansatz das Zeug zum Dauerbrenner besitzen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MICROMACRO: CRIME CITY
Verlag: Pegasus / Edition Spielwiese
Autor: Johannes Sich
Grafik: Hard Boiled Games (Johannes Sich, Daniel Goll, Tobias Jochinke)
Spielerzahl: 1 - 4
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 15 - 45 Minuten
Preis: ca. 19.- Euro
Spiel 74/ 2020