Montag, 25. Januar 2021
DIE OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Spiel & Kunst: DIE OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL
In Zeiten, in denen die Schließung von Opernhäusern droht, zumindest die Spielzeiten begrenzt werden, lohnt die eigene Anschaffung eines Opernhauses. Wenn auch noch gleich das Phantom mitgeliefert wird, ein Ambiente mit geheimnisvollen Spiegeln, kapitalen Säulen und einer entführten Primadonna stimmig scheint, alles eingebunden in ein Szenario des 19. Jahrhunderts, gefertigt aus edlen Materialien wie Samt, Messing, Gold und Silber, dann wächst das Interesse.
Diese Opernwelt ist das Produkt eines Spieleautors, der sich gern anregen lässt von literarischen Stoffen, phantastischen Themen, um selbst einzutauchen in diese Welten. Die dort erlebten eigenen Geschichten setzt er um in Rollenspiele und baut um alles ein Gesamtkunstwerk, das in keine herkömmliche Schublade zu packen ist. Er verbindet Kunst und Spiel, indem der Objektcharakter des Spiels durch optische und haptische Reize auf ein Niveau jenseits aller üblichen spielerischen Erfahrungen gehoben wird. Da außerdem das spielerische Vergnügen nicht auf der Strecke bleibt, ein hoher intellektueller und psychologischer Spielreiz vorhanden ist, erliegt man leicht der Verführung der Spielkunstobjekte dieses Autors.
Thomas Fackler heißt der junge Mann, der in der Nähe von Augsburg lebt und sich seit vier Jahren seine spielerischen Träume erfüllt. Als Diplomdesigner hat sich Fackler während seines Studiums schon intensiv der Designkonzeption von Brettspielen gewidmet. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit Brettspiel-Didaktik und deren grafischer Gestaltung. Anstatt danach bei großen deutschen Spieleverlagen anzufragen, ob er nicht etwas frischen Wind in das Produktdesign des Brettspieleinerleis bringen könnte, stürzte sich Fackler gleich nach dem Studium in das Abenteuer der Eigenproduktion. 1991 stellte er auf den Spielertagen in Essen seine spielerische Adaption zu "Der Name der Rose" vor. In Facklers ABTEI DER WANDERNDEN BÜCHER wandeln feinst modellierte Mönche und Novizen aus Ton über einen Grundriss einer Abtei, mit Sieb bedruckt und danach vom Künstler aquarelliert. Sie sind auf der Suche nach einer geheimen Botschaft, die sich in zehn kleinen mit Gold bedruckten Holzfolianten befindet. Ein stimmungsvolles Deduktionsspiel, in dem der Autor keine Kompromisse bei der Materialauswahl eingegangen ist. 820.- DM kostete in Essen das Spiel, die Auflage war auf 200 Exemplare limitiert. Spieleinsider der Messe sahen die Schmerzensgrenze beim Spieleinkauf bei 100.- DM und prognostizierten das schnelle Scheitern des jungen Spieleautors. Das Ende der Messe zeigte, dass Thomas Fackler erfolgreich Neuland beschritten hatte. Der Spielwert seiner "Abtei" wurde allseits gelobt, für etwa 50 Spiele hatte er Aufträge erhalten, die Preisschallmauer im Brettspielsektor war durchbrochen. Das war auch für die Preiskalkulation Facklers notwendig, denn bei der Einzelanfertigung seiner Spiele zahlte er erst einmal kräftig drauf. So ging das erstverdiente Geld fast vollständig an den Buchbinder und Schreiner weiter, die wichtige Zuarbeit geleistet hatten. Davon leben konnte Thomas Fackler nicht. Ohne seine als Heilpädagogin arbeitende Frau, die mit ihm aber seine spielerischen Träume weiterträumt, hätte er 1991 aufgeben müssen. Wirtschaftlich kalkuliert, musste der Preis für dieses edle Spielobjekt deutlich höher liegen. Die wenigen Restexemplare, die heute noch bestellt werden können, kosten inzwischen fast das Vierfache. Für die Käufer der ersten Stunde eine ansehnliche Gewinnsteigerung.
In den folgenden Jahren der Produktion schob Fackler Bugwellen von Spielmechanismen vor sich her und verschwand erneut in literarische Phantasiewelten. Der "Glöckner von Notre Dame" reizte ihn dabei ebenso wie der Fauststoff oder Kafkas "Prozess". Da er das "Phantom der Oper" aber schon stimmig in seiner Diplomarbeit angedacht hatte, stellt er jetzt als zweites Spiel DIE OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL vor.
Die Fragmente eines Opernwerkes bietet der Autor als dramatischen Erzählstoff an. Mir ist keine vergleichbare umfangreiche, märchenhafte Einstimmung in ein Spiel bekannt. Durch ein tragisches Unglück verliert Pandaré, Starsänger einer Opernbühne, seine Stimme. Verzweifelt sucht der Sänger sich von einer Brücke zu stürzen, zurückgehalten nur von der Nymphe Lucina, die ihm einen Pakt anbietet. Gegen seine menschliche Seele erhalte er ihre Zauberkräfte und natürlich seine Stimme wieder. Pandaré existiert weiter, aber fortan als Phantom, dessen gesichtsloses Antlitz eine silberne Maske verdeckt. Seine neugewonnene Gewalt macht ihn zum Tyrannen der Oper. Seine Liebe zu Lucina, die als Soubrette ins Ensemble aufgenommen wird, bleibt aber ohne Erwiderung. Als diese sich zu einem Komponisten hingezogen fühlt, verwandelt er sie in eine steinerne Herme und versteckt sie in einer großen Säule des Opernhauses. Die Rettung kann nur innerhalb der nächsten vier Nächte erfolgen. Der Komponist macht sich mit Hilfe des Intendanten, des Direktors des Bühnenensembles und eines Kriminalrats auf die Suche nach Lucina.
Hier beginnt die Rollenverteilung für das Spiel. Auf der einen Seite Pandaré, der Lucina in seiner Macht behalten möchte, kooperativ, gegen ihn spielend, die vier Verfolger. Auf dem Grundriss der Oper verteilt der Spieler des Phantoms beliebig sieben Säulen auf 51 Räume und Bühnenbereiche. Zur Tarnung stecken in sechs Säulen Nachbildungen der Herme Lucinas, die echte ist durch einen blauen Saphir gekennzeichnet. Die Gegenspieler Pandarés, zwei bis vier, die aber immer alle vier Verfolgerfiguren bewegen müssen, versuchen, die richtige Säule zu finden, ohne sich von dem Phantom fangen zu lassen. Ständig laufen sie dabei in Gefahr, in Spiegelfallen des Phantoms zu tappen, so dass sie das Schicksal Lucinas teilen müssen und in eine der Säulen gesperrt werden. In jeder Nacht haben die Spielgegner die Möglichkeit zu vier Spielzügen, so dass spätestens nach 16 Runden das Phantom gewonnen hat oder Lucina befreit wurde.
Der besondere Spielreiz liegt in den verdeckten Spielzügen. Jeder Spieler besitzt ein Rollenbuch, in das die Spielzüge eingetragen werden. Die Verfolger starten im Vestibül der Oper und können von hier aus in jedem Spielzug maximal drei Felder weit gehen. Um vom Startfeld aus in den hinteren Bühnenteil zur Treppe, die zum Schnürboden führt, zu gelangen, sind schon mindestens drei Teilzüge nötig, also brauchen die Verfolger dafür fast eine ganze Nacht. Vom Startfeld aus können 22 Räume der Oper erreicht werden. Sobald die Verfolger ihre Züge geheim notiert haben, hat das Phantom die Möglichkeit bis zu vier Spiegelfallen auszulegen, außerdem taucht es selbst in einem Raum auf. Hat der Spieler des Phantoms die Bewegungen der Mitspieler gut eingeschätzt, konnte er damit vielleicht schon nach dem ersten Spielzug einige Gegner in Säulen verbannen. Diese können zwar von Mitspielern wieder befreit werden, das kostet dann aber in den Folgezügen Zeit, die beim Suchen nach der Säule mit Lucina fehlen kann. Sind am Ende eines Spielzuges alle Verfolger gefangen, kann das Phantom sogar vorzeitig gewinnen.
Am Ende einer Nacht können alle wieder aus den Säulen befreit werden, müssen dann aber erneut im Vestibül mit ihrer Suche beginnen. Das Phantom darf zusätzlich zwei Säulen vertauschen. Hier kann der Spieler des Phantoms kräftig bluffen, manchmal ist dieser Tausch aber auch die letzte Rettungsmöglichkeit vor der großen Aufdeckung.
Für Spieleeinsteiger scheint die Macht des Phantoms groß, ein gut eingespieltes Verfolgerteam und überraschende, nicht ausrechenbare Bewegungszüge, können Pandaré aber in große Bedrängnis bringen und die Chancen, Lucina zu befreien, wachsen, sind sogar größer. Jedes Spiel verläuft daher anders, führt zu einer anderen Rettungsgeschichte.
Die verdeckten Spielzüge, die Suche nach einer großen Unbekannten erinnern an einen Spielklassiker, an SCOTLAND YARD, 1983 bei Ravensburger erschienen. Thomas Fackler hat dieses Spielprinzip benutzt, aber ganz eigenständig weiterentwickelt und atmosphärisch so stimmig umgesetzt, dass seine OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL spielerisch allemal das Niveau des "Spiel des Jahres" 1993 hält. Es ist kein komplexes Spiel, mit einer Spieldauer von etwa einer Stunde wird es auch nie zu lang. Kinder ab zehn Jahre kommen mit dem Spielmechanismus schon gut klar und nehmen mit Begeisterung an der Befreiung Lucinas teil, noch lieber wird sie aber von ihnen versteckt.
Einmalig gelungen ist zudem die Spielgestaltung. Alle 342 Einzelteile des Spiels sind Sonderanfertigungen, alles Handarbeit, sie machen jedes Spiel zum Unikat. In Samt verpackt, alles in einer leinengebundenen großen Spieleschachtel, ohne die übliche Verpackungsluft der großen Spielefirmen, liefern drei Schachtelebenen den aquarellierten Spielplan der Oper, das Spielmaterial mit den gedrechselten Hermen, eine mit Saphir, der Phantomfigur mit Silbermaske, den hohlen Stecksäulen mit vergoldetem Sockel, dazu zehn versilberte Spiegel, gedrechselte Verfolgerfiguren um einen Silberkern, jede individuell durch einen anderen Mantelkragen unterschieden. Im letzten Kasten steckt das Erzählwerk, fünf Spielbücher und das Opernfragment. Alles ergibt ein Gesamtwerk, das im Brettspielbereich einmalig ist. DIE OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL ist ein gelungenes zweites Kunstwerk Thomas Facklers.
Vom Erfolg dieses Spiels ist der Autor auch fest überzeugt. Optimistisch setzt er deshalb die Limitierung der OPER deutlich höher mit 873 Exemplaren an. Thomas Fackler arbeitet dabei ohne Netz und doppelten Boden, mit hohem persönlichen Risiko. Fragt man den Autor nach einer Erklärung für seinen Optimismus, erzählt er, der so gerne Geschichten erzählt, eine, die unglaublich klingt, aber wahr ist. Im April 1971 ist der 104. Starfighter direkt auf den damals neunjährigen Thomas abgestürzt. Es ist ein Wunder, dass der Junge, der mitten in den Flugzeugtrümmern mit schweren Brandverletzungen aufgefunden wurde, die Explosion überlebt hat. Dieses Erlebnis gibt ihm sein Urvertrauen in die Zukunft und uns die Gewissheit, dass er noch zu vielen weiteren Ausflügen in fantastische spielerische Welten einladen wird.
(Wieland Herold)
Spieletelegramm:
Titel: DIE OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL
Autor: Thomas Fackler
Grafik: Thomas Fackler
Verlag: Thomas Fackler
Spielerzahl: 2-5
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: ca. 60 Minuten
Preis: 2900 DM
Die Rezension erschien 1994
Wertung Spielreiz damals 8 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Spiel 10/ 1994 R 21/2021
Zum Autor:
Thomas Fackler ist 1991 durch DIE ABTEI DER WANDERNDEN BÜCHER bekannt geworden. Die individuelle Gestaltung mit hochwertigen Materialien machten jedes Spiel zum Unikat, mit dem er damals an der Preisobergrenze von 1000 DM kratzte. Ein Schnäppchenpreis wie sich bald herausstellte, denn die OPER DER SCHWARZEN SPIEGEL konnte er 1993 locker für das Dreifache verkaufen. Augenblicklich liegt der Verkaufspreis seines ersten Spiels bei 3800 Euro. Wer eines der ersten Spiele für 820 DM erworben hat, dessen Einsatz hat sich fast verfünffacht.
Fackler, der 1998 mit dem „Inno-Spatz“ der Stadt Göttingen ausgezeichnet wurde, arbeitete danach ein knappes Jahrzehnt als Spieleredakteur für Prestel. 2001 bekam er für TROIA – DAS SPIEL den Sonderpreis „Geschichte im Spiel“, den die Jury „Spiel des Jahres“ damals vergab. DIE MAUER wurde ebenfalls 2001 für den Deutschen Designpreis Holzspielzeug nominiert.
Aktuell arbeitet der 58järige Fackler als freier Künstler in Aystetten. Zu Beginn des letzten Jahres wurde er mit dem Kunstpreis der Stadt Donauwörth ausgezeichnet.
Das Bild zeigt Thomas Fackler 1992 in Essen bei der ersten Präsentation von der OPER.
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