Mittwoch, 3. Februar 2021
FRANTIC FRANKFURT
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
FRANTIC FRANKFURT
Ich bin außer mir, neudeutsch: frantic! Da habe ich das fünfte Spiel der Goslar-Brüder vor mir und ihr Markenzeichen fehlt! Wo sind die Rauten? Vergeblich drehe und wende ich die kleine quadratische Schachtel und finde nur Spielkarten. Auch ihre Autorennamen suche ich vergeblich auf der Schachtel. Günter Burkhardt macht bei den Kronbergern mit FRANTIC FRANKFURT auf sich aufmerksam.
Zur schnellen Einordnung: FRANTIC FRANKFURT gehört in die Kategorie der rasanten Ablegespiele á la LIGRETTO und SPEED. Die Regeln sind denkbar einfach und sorgen trotzdem in der Ablegehektik immer wieder für Durcheinander und Kopfzerbrechen. 132 Karten in drei Farben sind im Spiel, Kartenwerte mit geraden Zahlen von 8 bis 20 und ungeraden Zahlen von 1 bis 13. Die Logik dieser ungleichen Verteilung ergibt sich aus den zwei Regeln für die Kartenablage:
1. Wird eine andere Farbe als die ausliegende gespielt, muss diese höher im Zahlenwert sein.
2. Wird die gleiche Farbe gespielt, darf dies nur mit einer ungeraden Zahl auf eine gerade erfolgen.
Diese einschränkenden Regeln machen eine gewisse Auswahl für die Kartenablage nötig. Jeder Spieler besitzt dazu einen Kartenstapel, den er loswerden möchte. Zehn Karten davon liegen in einem Vierer-, Dreier-, Zweierstapel und einer Karte vor ihm, die oberste jeweils offen. Vier Karten hat man also bei der aktuellen Ablage am Anfang im Blick. Abgelegt wird auf zwei bis vier Kartenstapel, je nach Spieleranzahl. Dazu zieht jeder am Anfang verdeckt eine Karte vom Nachziehstapel. Nachdem alle gleichzeitig ihre Karten umgedreht haben, geht’s los. Wer als erster seine zehn Karten los ist, klopft auf einen der Abwurfstapel, möglichst einen mit wenigen Karten, da die Reststapel unter den übrigen Spielern, nachdem sie auch fix Hand angelegt haben, verteilt werden. Gespielt wird bis ein Spieler nach dem Ende einer solchen Kurzrunde nur noch eine Karte im Nachziehstapel hat. Der hat damit nach zehn bis fünfzehn Minuten eine Partie Frantic Frankfurt gewonnen.
Wer sich dem Stress solcher hektischen Ablegespiele gern stellt, der muss sich FRANTIC FRANKFURT näher anschauen. Nicht weil hier jemand neue Legeregeln „erfunden“ hat, das sind letztlich willkürliche Setzungen, die einmal dieses und dann jenes von den Spielern verlangen, was mehr oder weniger lustvoll nachvollzogen werden kann, sondern weil phantasievolle redaktionelle Arbeit geleistet wurde. Eine Hommage an die Stadt Frankfurt und deren ehemalige und immer noch lebende Bewohner. Hier wird die Spielmechanik durchaus sinnvoll in Beziehung gesetzt zu den Bildmotiven. Die blauen Karten spiegeln das wirtschaftliche und politische Leben der Mainmetropole, die gelben Karten stellen Motive aus der Frankfurter Geschäfts- und Kulturwelt dar, vom Äpelwoi-Schenk bis J.W. v. Frankfurt. Das Rot führt uns letztlich in Frankfurts Nachtleben. Die Gebäudekarten haben die geraden Zahlen, Personenkarten sind in dem Spiel generell ungerade.
Tobias Goslar legt Grafiken vor, die auf Wiedererkennung angelegt sind. Er spielt mit Bildausschnitten und zoomt sich an die Objekte heran. So bekommen wir im Bildschnitt den hälftigen Reich-Ranicki mit demütiger Blickperspektive von unten noch gut mit, wenig später dürfen wir uns erhebend über seine dominierende Glatze freuen. Petra Roth ist in der Detailsicht allein an ihrer Amtskette erkennbar und Joschka mikrofongewaltig in allen Posen seiner jungen Jahre. Klasse Arbeit! Für das Spiel selbst macht diese Einteilung Sinn, so muss man sich bei den hohen Zahlen in Folge von Regel 2 nur noch auf Personen und gleiche Farben konzentrieren.
Leider sind rasante Spiele wie FRANTIC FRANKFURT nicht für jeden Spieler geeignet. Ungefähr gleiche Voraussetzungen in der Auffassungsgabe sollten bei den Beteiligten schon vorhanden sein, sonst kommt schnell Frust auf. Diejenigen, die nun gar kein Auge für neue Kartenkonstellationen auf dem Spieltisch haben, können eventuell bald doch etwas mit FRANTIC FRANKFURT anfangen, denn ursprünglich soll es ein Stichspiel gewesen sein, das der Autor Burkhardt auf dem Spieleautorentreffen 2004 in Göttingen Tobias und Roland Goslar vorgestellt hat. Auf ihrer Homepage kündigen die beiden Verlagsinhaber an, dass dort demnächst die Ausgangsregel für den Prototyp QUICK STOP veröffentlicht wird. Der Einsatz eines grünen Eddings wird allerdings notwendig werden. Für Ästheten ein Gräuel, vielleicht erweist sich diese Maßnahme auch förderlich für den Kauf eines Zweitspiels. Wie BONOBO und CRONBERG, zwei beachtliche Rautenspiele aus dem Verlag, lässt das Spielprinzip unendliche Variationen zu. Ich warte auf FRANTIC FRANKFURT mit einem Kanzler, der an der Leine liegt.
Wieland Herold
Titel: FRANTIC FRANKFURT
Autor: Günter Burkhardt
Grafik: Tobias Goslar
Verlag: Kronberger Spiele (www.kronberger-spiele.de)
Spieler: 2-4
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 10 Minuten
Preis: ca. 10 €
Spiel 6/2004 R28/2021
Die Rezension erschien 2004 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Der Realschullehrer Günter Burkhardt startete 1997 als 36jähriger zu Beginn gleich richtig durch. Er durfte sich nicht nur über MANITOU freuen, sondern hatte mit LANG LEBE DER KÖNIG und BÜRO CRAZY (beide FX Schmid) gleich zwei weitere Spiele in seinem Erstveröffentlichungsprogramm. BGG verzeichnet vorher noch Eigenpublikationen wie die QUASSELSTRIPPE (1994) und DAS LIEBLINGSSPIEL DES ADAM RIESE 1996.
MANITOU gefiel nicht nur den Juroren von Spiel des Jahres, es erreichte den fünften Platz beim Kartenspielpreis der Fairplay und den zehnten Platz beim Deutschen Spielepreis. Im Jahresrhythmus folgten mindestens zwei bis drei weitere Veröffentlichungen. Mit KUPFERKESSEL (Goldsieber) landete er 2002 erneut auf der Auswahlliste der Jury, gewann den österreichischen Titel Spiele Hit für Zwei und erreichte den achten Platz des Kartenspielpreises der Fairplay. Die Spiele MAORI (Hans im Glück, 2009) und POTATO MAN (Zoch, 2014) kamen auf die Empfehlungsliste der Jury Spiel des Jahres.
Beim Kartenspielpreis der Fairplay war er noch erfolgreicher, sein VOLLTREFFER (Berliner Spielkarten) gelangte 2000 auf den vierten Platz und mit VOM KAP BIS KAIRO (Adlung Spiele) erreichte er 2002 den ersten Platz.
Sein bisher größter Erfolg im Team mit seiner Tochter Lena war 2018 die Auszeichnung mit dem Kinderspiel des Jahres für FUNKELSCHATZ.
Von seinem Lehrerberuf hat er sich schon vor einiger Zeit beurlauben lassen. Er arbeitet inzwischen hauptberuflich als Spieleautor, engagiert sich in seiner Heimat in der Nähe von Bad Ditzenbach im Sportverein und ist für Die Grünen im Gemeinderat.
Das Bild zeigt Günter Burkhardt 2004 im Veröffentlichungsjahr des Spiels in Göttingen.
Trackbacks
Trackback-URL für diesen Eintrag
Keine Trackbacks
Kommentare
Ansicht der Kommentare:
(Linear | Verschachtelt)
Die Kommentarfunktion wurde vom Besitzer dieses Blogs in diesem Eintrag deaktiviert.