Samstag, 13. Februar 2021
FINOPOLIS
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
FINOPOLIS - SPIEL DES LEBENS auf Schollessche Art
Dass wir inzwischen schon im pränatalen Zustand unseres Nachwuchses an dessen zukünftige Rentenabsicherungen im Jahre 2069 denken müssen, wissen wir, seitdem Renate Schmid und Horst Seehofer Hand in Hand staatliche Zusagen einkassieren. Rentenvorsorge ist angesagt, Finanzplanung für die Zeit nach 65 oder 70. Das können wir üben, nicht so ganz real zwar, aber spielerisch. Dazu haben sich ein renommierter Autor, immerhin INNO-Spatz-Preisträger, und ein auf Versicherungen spezialisiertes Internetportal zusammengetan, das Ergebnis heißt FINOPOLIS. Klar, dass das Produkt, letztlich ein Marketingmittel der Firma Avanturo, die Absicherung jeglicher Lebensereignisse in den Vordergrund schiebt. Klar auch, dass der Spieleautor Franz Scholles dafür Sorge trägt, dass das Spielerische, Unterhaltsame nicht auf der Strecke bleibt.
Franz Scholles führt drei bis fünf Spieler auf einem 80-Felder-Weg durch sein SPIEL DES LEBENS, das durch fünf Lebensphasen von der Geburt bis zum 80. Geburtstag führt. Die dazwischen liegenden Spielfelder stehen für Konsumzuwachs, Vermögensaufbau, Versicherungen und – damit man weiß, weshalb man das viele Geld für Sekuranzen ausgeben musste – unvorhersehbare Ereignisse.
Geldvermehrung ist das Spielziel. Es gilt aus 50.000 Euro Startkapital und dem Zugewinn der gleichen Summe bei Eintritt in jede neue Lebensphase möglichst viel Profit zu schlagen. Der mögliche Gewinn kann von den Spielern beeinflusst werden. Vor dem ersten Würfeln und immer dann, wenn der führende Spieler in eine neue Lebensphase eintritt, werden die Marktbedingungen beeinflusst. Die Marktsteuerung geschieht durch so genannte „Marktsteine“, von denen die Spieler acht besitzen. Vier wirken als Bonus-, die anderen vier als Malussteine. Jeweils sechs Steine müssen stets platziert werden. Die Marktsteine können die Preise von Konsumgütern, wie Autos und Mobiliar verbilligen, aber auch verteuern. So lässt sich der Preis einer Segelyacht von 50.000 Euro auf 25.000 Euro senken, genauso kann er bis auf 75.000 Euro steigen. Jeder Stein verändert den Konsumgüterwert um 10 Prozent nach oben oder nach unten. Da die Marktsteine verdeckt gelegt werden, bleibt immer die Spannung bis zur ersten Kaufentscheidung in einem Marktsegment. In der Endabrechnung zählt immer nur der empfohlene Preis, so dass die selbst gesteuerte Rabattierung entscheidend für den Gewinn ist. Lukrativer sind die Vermögensfelder, deren Aktien- und Fondsmarkt ebenfalls durch die Marktsteine beeinflusst werden kann. Bei den Aktien verändern die Steine den Wert sogar um 20 Prozent nach oben und nach unten. Im Idealfall, den ich allerdings nie erlebt habe, könnte man dadurch sogar ein 50.000er Aktienpaket kostenlos erhalten. Insgesamt stehen leider nur drei Aktienpakete und zwei Fondsbeteiligungen zur Verfügung. Aus dem Bereich Vorsorgen und Sparen erweisen sich besonders die Bausparverträge – nur drei sind vorhanden – als äußerst lukrativ. Wer sich mit 36.000 Euro einen Bausparvertrag über 90.000 Euro sichert, steht beim Immobilienerwerb blendend da, zumal eine Rückzahlung des Kredits in den Regeln nicht vorgesehen ist. Da die Immobilien geheim versteigert werden, lässt sich bei geschicktem Kalkül und mit etwas Glück innerhalb von zwei Spielzügen ein Maximalgewinn von 134.000 Euro erwirtschaften. Haus- oder Wohnbesitz muss nicht einmal versicherungstechnisch abgesichert werden, man geht also kein Risiko ein und muss nicht vorher oder sofort danach auf einem Versicherungsfeld landen.
Die Beispiele spiegeln einen prinzipiellen Eindruck des Gelderwerbs von Finopolis wider. Die Gewinnmaximierung ist sehr unterschiedlich geregelt. Erwähnenswert ist noch der 50/50-Markt, der bei fast der Hälfte der Ereigniskarten ins Spiel kommt. Dieser Risikomarkt birgt die Chance einer Kapitalverdopplung, aber auch die eines Totalverlusts. Eine Reihe von Karten setzen Kaufsummen bis 15.000 Euro für Antiquitäten oder Kunstgegenstände fest. Ob sich der Kauf als wertvoll oder wertlos erweist steuern alle Spieler durch einen Knobeleinsatz ihrer Marktsteine. Jeder legt verdeckt einen der beiden übrig gebliebenen Marktsteine auf das entsprechende Spielplanfeld. Sollten kein oder zwei bzw. vier Bonussteine aufgedeckt werden, erweist sich der Kauf als gewinnträchtig, bei ungerader Zahl war es eine Fehlinvestition. Da gerade am Anfang die Spieler oft alle Bonussteine einsetzen, ist die Gewinnmöglichkeit groß. Gegen Ende muss man vorsichtiger sein, zumal vier dieser Ereigniskarten eine manchmal spielentscheidende Rolle spielen können. Diese Karten ermöglichen nämlich einen Einsatz nach eigener Wahl. Wer darauf spekuliert, viel Bargeld aufgehoben hat und Spaß am Vabanque-Spiel á la „rouge et noir“ hat, kann so die Gewinnreihenfolge ganz schön durcheinander wirbeln.
Obwohl Franz Scholles einen Farbwürfel als Antriebsmotor einsetzt, ist das Spiel durchaus steuerbar. Einmal dadurch, dass zwei weiße Würfelseiten eine freie Auswahl der Felder ermöglichen, außerdem darf man innerhalb der Farbfelder auch noch entscheiden, ob man zum Beispiel im Konsumbereich ein Auto oder eine Reise erwerben möchte, in dem man auf das entsprechende Feld geht. Nur so macht das Legen der Marktsteine Sinn. Diese Optionen lassen außerdem ein schnelles Vorankommen zu. Das ist deshalb wichtig, weil jede neue Lebensphase zur Kapitalaufstockung führt. Wer zum Beispiel die oben beschriebene Immobilienstrategie verfolgt, hat ein großes Interesse an einem schnellen Spielende und wird versuchen mit großen Sprüngen auf die 80 zuzueilen.
Das Spielmaterial ist funktional, optisch sicherlich nicht mitreißend, aber von solider Qualität. Das gilt vor allem für die Holzspielsteine und Marktsteine. Die Grundidee der Marktsteuerung ist nicht neu. Scholles greift auf Steuerungselemente zurück, die er in dem Wirtschaftsspiel INCOME benutzt hat. Er selbst bezeichnet das Versicherungsspiel deshalb auch als „Enkelchen von INCOME“. Identisch sei die Grundidee, die geheimen Kräfte des Marktes durch Marktsteine (Bonus & Malus/ Preistreiber und Preisdrücker), die die Spieler verdeckt setzen, wirken zu lassen. Beide Spiele hätten dadurch den Charakter eines Bluffspiels. INCOME sei das anspruchsvollere Spiel, FINOPOLIS eher das Familienspiel. Die Einschätzung ist sicherlich richtig. Ohne große strategische Überlegung ganz im Sinne einer „Tour durchs Leben“ gespielt, kann FINOPOLIS Spaß machen. Bei Vielspielern hinterlässt das Spiel aber einen eher ambivalenten Eindruck. Einerseits gibt es zwar reizvolle Steuerungsmechanismen durch die Marktsteine, oft sind aber dadurch, dass die gegenseitige Wirkung der Steine sich aufhebt, die Gewinnmargen zu gering, so dass nicht wenige Spieler die Ereignisfelder gezielt aufsuchen, um ihr Glück auf dem 50/50-Markt zu suchen. Ob das der Sinn des Spiels ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn eine gerade oder ungerade Steinzahl gegen Ende über den Spielsieg entscheidet, dann könnten wir doch gleich am Anfang würfeln. „Spiel und Spaß mit Versicherungen – unglaublich, aber FINOPOLIS hat’s geschafft!“, textet die Spielregel werbend am Ende. Ob Rainer Elmer, Geschäftsführer von Avanturo, dem diese Worte in den Mund gelegt werden, glücklich damit ist, dass manche Spieler die 80 Jahre absolvieren und ohne große Nachteile ganz auf Versicherungen verzichten können?
Wieland Herold
Titel: FINOPOLIS
Verlag: aktuell-spiele-verlag, Batterieweg 42f, 53424 Remagen
Autor: Franz Scholles
Grafik: Ulrike Vater
Spielerzahl: 3-5
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: ca. 90 Minuten
Preis: ca. 20.- €
Spiel 11/2003 R34/2021
Die Rezension erschien 2003 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 6 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Über 40 Jahre war der diplomierte Handelslehrer als Spieleautor und Kleinverleger in der Szene vertreten und hat dabei eine Nische der engagiert politischen und kommunikativen Spiele gepflegt, an die sich die großen Verlage nicht herantrauen. 2001 erhielt er dafür in Göttingen den Inno-Spatz, ich durfte damals sein Laudator sein.
Teile dieser Lobrede möchte ich hier nutzen: „Den Beginn der 80er Jahre bezeichnet Franz Scholles selbst als die ‚goldene Zeit des Brettspiels‘. Im Kleinverlagsbereich gab es nichts außer der Edition Perlhuhn und wie so viele Kleinverleger nach Wittig packte Franz Scholles 1980 seinen Erstling in die Reinholdsche Röhre. Programmatisch waren Titel und Thema dieses Spiels, typisch für sein später immer wieder auftauchendes Gespür für die Trends der Zeit, die er aber oft genug lange vor der breiten gesellschaftlichen Diskussion aufgriff. Hier finden wir die herausragende Stärke dieses Autors, der uns und unserer Gesellschaft mit vielen seiner Spiele einen Spiegel vorhält, der uns nachdenklich werden lässt. Passend zum Zeitgeist 1979/80 , die Grünen standen vor ihrem ersten Einzug in den Bundestag, hieß sein erstes und immer noch erfolgreiches Spiel ÖKO. Das von ihm selbst verlegte, alternativ produzierte Gesellschaftsspiel, das Verlage wie Schmidt und Bütehorn, damals ein durchaus angesehener Hannoveraner Spieleverlag, 1979 abgelehnt hatten. Schon sein erstes Spiel zeigt, dass er trotz der Neigung zu politischen Themen keine "Zeigefinger-Autor" ist. Seine Spiele transportieren zwar Botschaften, die er aber spielerisch vermittelt, so dass nicht nur Erkenntnis, sondern der Spielspaß im Vordergrund stehen.“ … „‘Der macht nur den aktuellen Kram‘ heißt es oft etwas abfällig über ihn, ich selbst bin auch jahrelang auf der Spiel in Essen an seinem Stand vorbeigegangen - aber wenn nicht er, wer macht solche Spiele sonst - frage ich Sie? Die großen Verlage trauen sich an politisch angehauchte Spielthemen nicht heran, damit ist nicht das große Geld zu machen. Für uns sind die Spiele von Franz Scholles aber ein hochinteressanter Zeitspiegel der 80er und 90er Jahre. Die zur Zeit geführte Gen-Diskussion hat er schon 1988/89 in GEN ZEIT und GEN WELT vorweggenommen, Mit dem Spiel JOB - 1987 erschienen - entwirft er ein realistisches Bild der von Stellenabbau bedrohten Arbeitswelt, Parteiprogramme lernen wir im pfiffigen POLIT POKER auf sehr spielerische Art und Weise unterhaltsam kennen, den Nord-Süd-Konflikt machte er zum Thema seines EINE WELT SPIEL von 1986, Menschenrechtsverstöße stellt der Autor 1991 an den PRANGER. Den Ökotouch der Frühphase hat der Kleinverleger inzwischen abgelegt, seine Spiele sind hochwertig produziert, grafisch zum Teil gefällig, zum Teil aber auch avantgardistisch. Das gilt vor allen Dingen für die Spiele, die Ulrike Vater für ihn bearbeitet hat. Der Trend der letzten Jahre geht bei Franz Scholles eindeutig zum psychologisierenden kommunikativen Spiel, sehr witzig in TYPISCH MANN, TYPISCH FRAU umgesetzt, etwas schwerfälliger in IDENTITY und GENERATIONEN.“
Der zuletzt erwähnte Trend prägt auch die meisten Spiele in den anschließenden Jahren. Da folgen Ideen wie FAMILIENGEFLÜSTER, LIEBESGEFLÜSTER und PAARTIE. Zum 18. April 2021 stellt Franz Scholles seine Arbeit in seinem Kleinverlag ein. Alle noch vorhandenen Spiele können zu einem Preis ab 1 Euro erworben werden.
Das Bild zeigt Scholles 2001 mit seinem Göttinger Innospatz.
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