
HALLERTAU
Zwischen Ingolstadt und Landshut erstrecken sich auf einer Fläche von 2400 Quadratkilometern große Monokulturen, die Garant für das Gelingen eines Getränks sind, das viele Deutschen mögen. Humulus Lupulus heißt die im Hallertau-Gebiet angebaute Hanfpflanze, der beruhigende Wirkung zugeschrieben wird. Schon Hildegard von Bingen war im 11. Jahrhundert begeistert von den weiblichen Pflanzblüten, sie würden als Tee zubereitet bei nervöser Unruhe, bei Magenbeschwerden und auch bei Schlafproblemen helfen. Ich gehe davon aus, dass für solche Zwecke heute kaum noch etwas von den Ernteergebnissen abgezweigt wird. 95 Prozent der Fruchtstände werden zu Pellets verarbeitet und verleihen dem Bier sein ausgeprägtes Aroma und die spezielle Bitterkeit.
Der Hopfenanbau ist in der Region schon seit 1200 Jahren bekannt, daneben spielt eigentlich nur noch Spargel in der Gegend von Schrobenhausen eine zentrale Rolle. Uwe Rosenberg führt uns auf seiner Wanderschaft der agrarischen Entwicklungsspiele in diese Kulturlandschaft. Wir bewegen uns in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als zwar die Industrialisierung schon spürbar war, aber in der Hallertau Ackerbau und Viehzucht im Hauptfokus der dort lebenden Menschen stand. Nur kleine Manufakturen dienten der Weiterverarbeitung von Flachs, Wolle und Fellen. Und natürlich gab es Brauereien, die Gerste und Hopfen nach dem deutschen Reinheitsgebot verarbeiteten.
HALLERTAU erweist sich in diesem Genre als erstaunlich leicht zugängliches Spielkonstrukt Rosenbergs, für das er wieder auf den Worker-Placement-Mechanismus zurückgreift. 20 Felder eines Aktionsplans warten auf Arbeitereinsatz. Wer zuerst da ist, schließt andere nicht von der Nutzung der Felder aus, für die wird es nur teurer, sodass theoretisch fast jedes Feld dreimal genutzt werden kann. Die Aktionsfelder sorgen dafür, dass prioritär der Ackerbau vorangetrieben wird, dass Saatgut da ist und Ernteerträge lukrativ ausfallen. Das regelt Rosenberg über einen Ackerplan. Neben den Ackerprodukten reduziert der Autor die Tierhaltung ganz auf Schafzucht, der auch viele Aktionsfelder gewidmet sind. Dienen die wolligen Tiere doch wie Kühe der Milchproduktion und zur Not fallen auch Fleisch und Wolle ab. Wer es verpasst, genügend Lehm für die Ziegelfertigung zu haben, wird Probleme bekommen, darauf weist die Regel aber extra hin.
Der ganze Produktionsbereich dient wie meist in solchen Spielen der Generierung von Siegpunkten. Dazu kann man auch über die Arbeiter Siegpunkt- und Bonuskarten erwerben, aber vor allem auf Wanderschaft gehen. Dabei sind es keine Gesellen, die in der Gegend herumziehen, sondern – reichlich an den Haaren herbeigezogen – Häuser, die über die Landschaft wandern. Der Ertrag der sechs Spielrunden wird mit steigender Anforderung zum Rundenende stets eingesetzt, um das Dorfgemeinschaftshaus vor jedem Spieler nach rechts zu verschieben. Das bringt einerseits weitere Arbeiter, aber vor allem Siegpunkte. Wer es nicht schafft, dass am Ende möglichst das Maximum mit 70 Siegpunkten im Hausfenster auftaucht, hat kaum Chancen auf den Spielsieg. Es ist zwar nicht einfach, aber bei guter Ernteproduktion und entsprechender Tierhaltung zumindest in den Zweierpartien regelmäßig möglich. Obwohl der Autor den Spielern zusätzliche Erschwernisse in Form von großen Findlingen in den Weg legt. Auch das ist thematisch ziemlich abstrus, wobei wir mit Hammer und Zange die Steine beiseiteschieben.
Dieses Grundgerüst variiert Uwe Rosenberg durch verschiedene Kartendecks, die zu unterschiedlichen Spielschwerpunkten führen. Punktekarten und Bonuskarten bleiben zwar stets identisch, aber für das Einstiegsdeck von 30 Karten und für die 35 Hofkarten bietet der Autor jeweils vier Varianten an. So kann man sich vom Anfänger- über Kenner – und Experten- zum Profi-Deck vorarbeiten. Wobei vor allem die Bedingungen für die Erfüllung bestimmter Karten immer anspruchsvoller werden. Bei den Hofkarten gibt es ein Hopfen-, Schaf-, Acker- und Schmuck-Deck. Die Karten bringen Erleichterungen und Boni, auch zusätzliche Karten, sodass man seine fünf Startkarten durchaus ergänzen sollte. Das gilt besonders für die eine Punktekarte, die man anfangs bekommt. In der Kartenhand sollten sich am Ende deutlich mehr befinden, da die damit zu erreichenden Siegpunkte oft über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Die meist üppige Ernteentwicklung und sorgsame Schafhaltung sorgt über die Runden hinweg für die Erfüllung der meisten Ziele. Das ist in der Abwicklung gut vernetzt und wird wie üblich bei Uwe Rosenberg durch Spielerhilfen, Spielplanlenkung und eingängige Ikonographie überzeugend abgewickelt. Man ist dadurch ganz schnell im Spiel drin, hat am Ende allerdings Übersichtsprobleme mit den Ertragsmassen, die über den Ackerplan nicht unbedingt leicht zu managen sind. Die Varianz der Wege zum Ziel, die rosenbergsche Produkte auf diesem Niveau bisher immer ausgezeichnet haben, geht HALLERTAU etwas ab. Das Voranbringen des Dorfgemeinschaftshauses steht nicht nur wegen der vielen Siegpunkte im Mittelpunkt, auch die Zahl der Arbeiter hängt davon ab. Die Karten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Allerdings ist der Glücksfaktor bei der Zuteilung der Startkarten recht hoch, das Nachkaufen bleibt ebenfalls letztlich glücksabhängig. Zumindest anfangs könnte ein Draftverfahren hilfreich sein.
Obwohl das Spiel wahrscheinlich besser Magdeburger Börde hätte heißen müssen, da wir uns mehr mit klassischer Landwirtschaft als mit Hopfenanbau beschäftigen, obwohl die wandernden Häuser für das 19. Jahrhundert völlig absurd sind, spiele ich gerne den Bauern, Schafzüchter und Bürgermeister in HALLERTAU. Das Spiel reizt mich immer noch, da auch noch nicht alle Kartenkombis ausprobiert sind. Deshalb reicht es zu einer Bewertung für „gerne morgen wieder“, obwohl ARLER ERDE und AGRICOLA für mich recht deutlich die Nase vorn haben.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: HALLERTAU
Autor: Uwe Rosenberg
Grafik: Lukas Siegmon, Klemens Franz
Verlag: Lookout Games
Spieler: 1-4
Alter: ab 12
Spieldauer: ca. 50 - 140 Minuten
Preis: 60 Euro
Spiel 11/2021