Dienstag, 16. März 2021
NERO
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
NERO
Otho klingt nach Versandhaus, Galba nach neuer Eissorte und Vitellius nach Mineralwasser, deshalb prangt in Schachtelbreite der Titel NERO über dem neuen Phalanx-Spiel. Erst der Untertitel, „Vermächtnis eines Tyrannen“, verweist auf den historischen Kontext, in dem sich das strategische Brettspiel von Alexander S. Berg bewegt. Der von Seneca erzogene Nero trat 68 von der politischen Bühne ab. Seine Nachfolgeregelung ist als Vierkaiserjahr in die Geschichte eingegangen und lief zwischen 68 und 69 ab. Spielerisch müssen Sie sich auf zwei Stunden Machtgeplänkel einstellen.
Das Ambiente ist stimmig. Franz Vohwinkels Grafik trägt dazu bei. Sein Spielecover, in blutiges Rot getaucht, führt Schlachtgetümmel vor dem brennenden Colosseum vor (historisch zwar zweifelhaft, da von Vespasian, dem historischen Gewinner der Auseinandersetzung, erst später erbaut), eine Büste Neros greift den Spieltitel wieder auf. Ein großer Spielplan mit Wertungsleiste, viele stabile und nicht zu kleine Pappcounter, große Holzzylinder zur Spielstandanzeige, stabile Pappsteller für die Anwärter der Macht, alles solide und viel versprechend gemacht, so dass nach ausführlichem Regelstudium (16 Seiten) die Erwartungshaltung hoch ist.
Die Ausgangslage ist für alle vier Feldherren identisch. Sie besitzen jeweils ein großes Gebiet des römischen Imperiums mit fünf Provinzen. Herrschaftsfrei sind zu Spielbeginn Italien, das in zwei Provinzen eingeteilt ist, und die Hauptstadt Rom. Die Spieler starten mit sieben Legionen, die am Anfang in den fünf Provinzen platziert werden, außerdem wird in eine dieser Provinzen, die jeweils gewählte Spielfigur, also Otho, Galba, Vitellius oder Vespasian, gestellt, die zu diesem Zeitpunkt den Rang eines Generals innehat. Das Spiel wird gesteuert durch den Einsatz von Spielkarten, von denen jeder zehn erhält. Maximal vier dieser Karten dürfen in einem Spielzug gespielt werden. Sobald alle Spieler ihre Karten ausgespielt haben, endet eine Spielrunde, drei Monate sollen nun vergangen sein. NERO endet meist erst nach einem Spieljahr, d.h. nach vier Runden, wer dann am meisten Siegpunkte hat, ist Nachfolger Neros. Ein Sieg während des Spiels tritt dann ein, wenn es ein Spieler schafft, alle vier Regionen zu kontrollieren, oder wenn er seinen General zum Herrscher gemacht hat und drei Regionen kontrolliert. In der Regel sind die Siegpunkte wichtig, die am Ende jeder Runde verteilt werden. Sollte es einen Herrscher geben, erhält er 5 Punkte, zwei Zusatzpunkte, wenn er sich gleichzeitig in Rom aufhält. Zwei Punkte erhält jeder für jede kontrollierte Region, einen Punkt für jede Provinz Italiens. In der vierten Wertung am Ende gibt es 8 statt 5 Punkte für den Herrscher und 3 Punkte für die Regionen.
Wie wird man nun vom General zum Herrscher? `Wie erobert man fremde Provinzen und Regionen? Entscheidend ist der Karteneinsatz, der wohl überlegt sein muss. Da mindestens eine Karte pro Zug gespielt wird, andererseits aber auch bis zu vier gespielt werden können, ist die Terminierung des Karteneinsatzes von großer Bedeutung. Die Spielkarten haben unterschiedliche Funktionen: Jede Karte kann zur Bewegung (2-8 Felder) von Legionen benutzt werden, dabei ist es gleichgültig, ob eine Legion oder ein Stapel bewegt wird; die Regel spricht dann von Armeen, die Kosten pro Feld sind identisch. Ein zweiter Wert der Karten verweist auf Kampfpunkte (1 bis 4), die zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benötigt werden. Alle Karten können aber auch für Ereignisse benutzt werden, die von mehr oder weniger großer Bedeutung für den Spielverlauf sind. Es gilt also immer zwischen Bewegung, Kampf und eventuellem Ereigniseinsatz abzuwägen, all das stets verbunden mit Blick auf die Kartenzahl der Mitspieler.
Für die Eroberung einer fremden Provinz muss ein Angreifer mit einer Legion oder Armee in diese Provinz ziehen. Ein Angriff auf dort stationierte Truppen kostet einen zusätzlichen Bewegungspunkt. Jede Legion zählt einen Kampfpunkt, der verstärkt werden kann durch einen begleitenden Herrscher. Zusätzlich dürfen Karten gespielt werden. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass die Maximalzahl von vier Karten nicht überschritten wird. Der Angegriffene darf sich natürlich außer der Reihe wehren, dazu kann er bis zu drei Karten ausspielen. Das macht deshalb Sinn, weil der Sieger eine Legion des Verlierers in eine eigene umwandeln darf. Nur so lassen sich eigene Truppen vergrößern. Die Anzahl der Legionen bleibt stets gleich, die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Feldherren ändert sich aber durch die Angriffe. Sieben Legionen sind aber ein nicht allzu großes Startkapital, deshalb spielt der Schutz der eigenen Soldaten eine wichtige Rolle.
Für die Übernahme der Herrschaft müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Viele Wege führen nach Rom, drei führen im Spiel zur Herrschaft, wobei der Weg nach Rom auch von Bedeutung ist. Herrscher kann man nämlich durch Deklaration in Rom werden, dazu muss der eigene General sich in der Metropole befinden, außerdem benötigt man fünf sogenannte Deklarationspunkte (DP). Zwei besitzt man für jedes Gebiet, das man kontrolliert. Mehrheiten in den Provinzen Italiens sorgen ebenfalls für DPs. Ereigniskarten, wie die des Senatseinflusses oder die Prätorianer-Karte, bringen ebenfalls Punkte. Das Ausrufen des Herrschers durch eine Legion ist der zweite Weg, der zweistufig abläuft. Auf der ersten Stufe muss eine „Ave Caesar“-Karte gespielt werden und der General sich mit mindestens einer Legion in der Heimatregion des Spielers aufhalten. Dadurch wird der General zum Anwärter. Herrscher wird er, indem er nach Rom zieht und dort zu Beginn einer Spielrunde sich aufhält. Ein Herrscherwechsel tritt natürlich auch dann ein, wenn er eine Schlacht gegen einen anderen General oder Anwärter verliert. Herrscher, es können sogar zwei gleichzeitig sein, leben gefährlich, vor allem wenn sie sich in Rom aufhalten. Unter den Ereignissen befinden sich vier Meuchelmörderkarten, die gegen Herrscher in der Hauptstadt gespielt werden können. Ganz perfide ist die Kombination „Krise in Rom“ (nur einmal vorhanden) und „Meuchelmörder“. Die Krisenkarte beordert einen Herrscher in die Metropole, wo er sich sofortigen Angriffen stellen muss. Schutz bietet eine Prätorianerkarte, wobei auch deren Funktion durch andere Karten aufgehoben wird.
Soweit in Kürze die Beschreibung der wesentlichen Elemente des Spiels. Alles wirkt sinnvoll verwoben, klingt interessant, vielschichtig, spielt es sich auch so? Leider nein. Spätestens nach den ersten beiden Spielen führt die Spielmechanik zu einer durchaus historischen Strategie, die den Römern im Zweiten Punischen Krieg den Sieg über die Karthager gebracht hat. Fabius Maximus, der den Beinnamen „Cunctator“ (Zögerer) erhielt, verfolgte eine Ermattungsstrategie, indem er Schlachten aus dem Weg ging. Das, was historisch erfolgreich war, führt zur spielerischen Langeweile. Der Mutige wird bestraft, der Zögernde belohnt. Da das Haushalten mit den Karten wichtig ist, erhält auch das punktesparende Bewegen mehrerer Legionen eine große Bedeutung. So werden die Legionen schnell zu großen Armeen zusammengeführt. Das machen alle, da das Zurücklassen einzelner Legionen sofort zum Schlucken durch einen großen Moloch führt. Legionsverlust mit dem Vorteil für den Sieger ist bitter und oft ein spielentscheidender Nachteil. So zögerlich, wie mit den Angriffen umgegangen wird, erfolgt das Ausspielen der Karten. Auch hier muss man darauf achten, nicht ins Hintertreffen zu geraten. So werden ganz oft nur einzelne Karten ausgespielt, die am Anfang der Sammlung dienen und danach dem taktierenden Heranschleichen an Italien. Die Entscheidung ist letztlich sehr zufällig und hängt vom Besitz bestimmter Karten ab. Wenn ich einen Gegner schwächen kann, dann gelingt das mit der Aufruhr-Karte, die ihn zwingt, zwei seiner Legionen in einer Heimatprovinz zu stationieren. Hier ist er plötzlich angreifbar, alles natürlich nur in den letzten Kartenzügen. Sehr stark ist auch die Karte „Verräter“, da mit ihr einem Gegenspieler eine Karte weggenommen wird.
Inzwischen sind eine Menge Vorschläge gemacht worden, die NERO retten könnten. Auf der Forums-Seite von Phalanx gibt es eine sinnvolle Variante, die die Bewegung von Armeetürmen verteuert. Danach kostet es eine Armee, die ein bis drei Legionen umfasst, einen Bewegungspunkt pro Legion, um sich in eine benachbarte Provinz zu bewegen. Größere Armeen kostet es gar zwei bzw. drei Punkte pro Legion. Gute Erfahrungen haben wir auch mit der auf spielbox-online vorgestellten Bonusregel bei der Kartenvergabe für die nächste Runde gemacht. Jeder erhält danach nur sieben Karten, für jeweils zwei weitere Provinzen gibt es eine Karte zusätzlich. Beides kombiniert, macht aus NERO ein offeneres Strategiespiel, das die Erwartungen, die es weckt, auch erfüllt. Das Resümee bleibt aber doch gespalten. Der jetzige NERO-Käufer erwirbt die Cunctator-Fassung, mit der wahrscheinlich nicht oft gespielt werden wird. Erst intensive Internetnutzung kann zur Aufwertung des Spiels beitragen. Ist das für den Endverbraucher zumutbar? Ich denke, nein! Offizielle Ergänzungsregeln müssen dringend her, damit das Spiel die Verbreitung bekommt, die es verdient.
Wieland Herold
Titel: NERO
Verlag: Phalanx
Autor: Alexander S. Berg
Spieler: 3 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: ca. 120 Minuten
Preis: ca. 40 Euro
Spiel 19/2003 R51/2021
Die Rezension erschien 2003 www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 5 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Nach BGG ist Alexander S. Berg ein Pseudonym des bekannten Wargame-Designers Richard Harvey Berg (1943-2019), der auch als Papst des Wargaming bezeichnet wird. Von ihm stammt eine frühe Bearbeitung des Ringkriegs (WAR OF THE RING, 1977) und eine ganze Serie zum amerikanischen Bürgerkrieg (GREAT BATTLES OF THE AMERICAN CIVIL WAR). BGG verzeichnet fast 200 Spiele. Unter Pseudonym erschienen noch BORGIA und WATERLOO bei Phalanx games.
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