Mittwoch, 28. April 2021
ENERGIE 21
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Energisch feilschen: ENERGIE 21
Eine Auszeichnung hat ENERGIE 21 schon weg, Till Meyer und Nicole Stiehl vom Verlag Spieltrieb stehen auf der Nominierungsliste für den Deutschen Lernspielpreis 2005. Damit ist die Zielsetzung dieses Spiels und der meisten Spiele des Kleinverlags aus Niedermeilingen auch schon umschrieben: Spielerisch wollen sie die Welt verbessern, was das damit verbundene Spielvergnügen angeht, gelingt das den beiden Autoren meistens hervorragend.
ENERGIE 21 steht im Zusammenhang mit der NRW-Agenda 21 im Rahmen der Kampagne „Mit Energie in die Zukunft“. Es geht oder vielleicht muss man unter den neuen politischen Bedingungen in NRW besser sagen, es ging um den Ausbau erneuerbarer Energien für den Klimaschutz auf kommunaler Ebene. Im Spiel geht es jedenfalls noch für die zwei bis vier Spieler darum, jeweils einen Landkreis mit seinen Fabriken, Büros, Läden und Wohnbereichen mit möglichst viel regenerativer Energie zu versorgen.
Das Spiel lebt vom freien Handel mit den erneuerbaren Energien. Acht Energieformen sind mit jeweils neun Karten im Spiel, von der Nutzung der Erdwärme über die Biogasanlage bis zu den Klassikern Windkraft und Sonnenkollektoren ist alles dabei. Fünf Karten erhält jeder Spieler zu Spielbeginn, außerdem kommt in jeder Spielrunde eine dazu. Jeder Spieler besitzt in seiner Region jeweils drei Endverbraucher mit niedrigen, mittleren und hohen Verbrauchswerten, wobei die Grenzen fließend sind. Die Chips für den aktuellen Verbrauch werden zu Spielbeginn auf einem Spielplan platziert. Abwechselnd decken die Spieler einen Verbrauchschip auf und dürfen ihn dann auf dem gesamten Spielfeld ablegen. Klar, niedrige Werte legt man in die eigene Region, hohe zu den Gegenspielern. Die Schwankungsbreite ist beträchtlich, bei den Industrieanlagen zwischen 15 und 35. Mit drei Blockheizkraftwerken kann der eine Standort „entsorgt“ werden, für den zweiten sind schon sechs nötig. Das Spiel vor dem eigentlichen Spiel ist damit schon ein wichtiges Vorgeplänkel.
Der Spielablauf selbst folgt festen, aber sehr einfachen Regeln. In jeder Runde erhalten die Spieler eine neue Energiekarte, dann wird eine Ereigniskarte aufgedeckt, die rundenwirksam bleibt. Die Karten verbieten oder fördern den Bau bestimmter Anlagen in einer Runde, wichtig sind die Karten „Energieeffizienz“, da sie einen Chipaustausch von noch aktiven mit bereits abgearbeiteten Energiechips ermöglichen. Das Spielende wird durch zwei Ökobilanz-Karten geregelt. Im zweiten und dritten Drittel des Kartenstapels eingemischt, sorgen sie für eine Zwischen- und Schlusswertung. Das Spiel kann aber auch vorzeitig beendet sein, wenn ein Spieler es schafft, seinen letzten Chip in seiner Region abzuarbeiten. Bilanziert wird über eine Punkteleiste am Rande des Spielplans. Jeder startet mit 12 Punkten, hat aber gleichzeitig ohne den Einsatz regenerativer Energien 18 Minuspunkte (3x3, 3x2, 3x1) in seinem Landkreis stehen. An neue Punkte kommen die Spieler entweder durch Ereigniskarten oder durch die Umwandlung von Chips. Hier ist es dann vorteilhaft, Energiefresser abzubauen, da bringt der 35er-Chip nämlich sechs Punkte, gegenüber drei Punkten für den 15er-Chip.
Nach dem Aufdecken der Ereigniskarte kommt eine ganz offene Handelsphase, wobei Gewinnpunkte, Energiepunkte und Karten in die Tauschverhandlungen mit aufgenommen werden können. Wer danach bauen möchte, legt eine oder mehrere Karten einer Anlagenform ab. Das Kartensammeln lohnt besonders bei Windkraftanlagen, aber auch für geothermische Einrichtungen und für die Biogasnutzung kann man das Sammeln oder kooperative Ablegen empfehlen. Bei den Sonnenkollektoren bringt es dagegen nur wenig. Für die ausgelegten Karten dürfen entsprechend der Energiepunkte Chips vom Spielplan genommen und Gewinnpunkte gesammelt werden. Nicht verbrauchte Energie wird auf einer Speicherskala angezeigt und kann später für Verhandlungen oder zur weiteren Verbesserung der Energiebilanz verwendet werden.
Das Spiel lebt atmosphärisch von dem Energiebasar. Kommunikationsfreudige Spielrunden können hier zur Höchstform auflaufen. Wer sich hier nicht einbringen kann, bleibt schnell auf der Strecke und damit auf seinen verbrauchsintensiven Anlagen sitzen. Die fetzige Tauschrunde darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ganz schön viel Glück im Spiel ist. Es ist schon ein Unterschied, ob ich zum Beispiel unter meinen fünf Startkarten zwei Windräder oder zwei Sonnenkollektoren habe. Die Windräder sind schon 18 Punkte wert, die Kollektoren nur ein Sechstel davon. Solche Unterschiede lassen sich auch in der Handelsphase nicht mehr ausgleichen.
Mit diesen Einschränkungen lässt sich umgehen, so dass ENERGIE 21 in der entsprechenden Spielrunde für unterhaltsame und durchaus lehrreiche 60 Spielminuten sorgen kann. Die Spielregel informiert über alle regenerativen Energieformen, die im Spiel vorkommen. Das Spielmaterial ist funktional und solide, der Preis dadurch auch sehr günstig, die Spielregel nur für das Spiel zu viert ausreichend. Unklar bleibt, welche Veränderungen sich im Spiel zu dritt und zu zweit ergeben. Denkbar ist zum Beispiel, dass in der Zweiervariante jeder zwei Gebiete zu verwalten hat. Im Spiel zu dritt könnte das neutrale vierte Gebiet von allen zum Punktesammeln „entsorgt“ werden. Hinweise dazu fehlen leider. Ob es für das Spiel zum Lernspielpreis 2005 reichen wird, bleibt abzuwarten. Spielerisches Potential besitzt dieses neue Spiel von Stiehl und Meyer allemal.
Titel: ENERGIE 21
Autor: Nicole Stiehl und Till Meyer
Verlag: Spieltrieb (www.spieltriebgbr.de)
Spieler: 2 - 4
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: ca. 60 Minuten
Preis: ca. 15 Euro
Die Rezension erschien 2005 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 7 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zu den Autoren:
Till Meyer und Nicole Stiehl sind nun schon seit über 23 Jahren die engagierten Macher des Verlags Spieltrieb, die hauptsächlich Auftragsarbeiten für Unternehmen und Einrichtungen im Bildungsbereich annehmen, aber auch einige eigene Spiele entwickelt haben und vielen jungen Autoren eine Plattform für ihre ersten Publikationen boten.
Till Meyer bietet Seminare und Workshops zur Spielentwicklung an und das schon viel länger. 1985 leitete er sein erstes spielpädagogisches Seminar. Nicole Stiehl hat ihn während eines solchen Seminars im Rahmen ihrer Ausbildung als Sozialpädagogin kennengelernt und gleich angefangen, mit ihm Spiele zu entwickeln. Daraus erwuchs 1998 die Verlagsgründung.
Neben Auftragsarbeiten wie ENERGIE 21 sind Spiele wie EYNSTEYN, WOLFSPUREN und COLONY herausragende Veröffentlichungen des Verlags. Beachtlich auch die Reihe der KLEINEN FEINEN oder die ähnlich angelegte Spielesammlung DIE BOX mit sieben kleinen Spielen.
Viele Spiele von Spieltrieb zeigen, dass der Verlag die Zeichen der Zeit schon viel früher erkannt hat als die meisten Berliner Politiker. Das belegen Spiele wie ENERGIE 21, aber auch Spiele wie DAS KINDERRECHTSPIEL, KEEP COOL und BAUMLAND.
Für den Deutschen Lernspielpreis 2005 hat es damals leider nicht gereicht, Ernährungsfragen standen wohl für die Jury stärker im Fokus. Gewonnen hat ISIS SÜSSE SÜNDE von Raimund Wybranietz mit seinem Eigenverlag Common Game.
Das Bild zeigt Nicole Stiehl und Till Meyer auf der Spiel in Essen 2005.
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