
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Wider das Schlemmen: Isis – Süße Sünde
Eigentlich wissen wir doch inzwischen alles über gesunde Ernährung. Journale wie der Focus sind zu unseren Ernährungsberatern geworden und halten uns zum Stäbchen-Gehen, neudeutsch Nordic-Walking genannt, an. Und trotzdem locken immer wieder süße Sünden. Der Verführungen sind viele, kein Wunder, dass sich der Werbefachmann Raimund Wybranietz auf die Verführungskraft der Göttin Isis verlässt, der ägyptischen Liebesgöttin. Isis hat aber auch ihre dunklen Seiten, sie gilt als Göttin der Toten. Zwischen Skylla und Charybdis, so kommt man sich bei ihr vor. Auf das ägyptische Ambiente ist der Autor wahrscheinlich nur deshalb gekommen, weil er in seinem Spiel ISIS SÜSSE SÜNDE von den Vorgaben einer Ernährungspyramide ausgeht.
Noch nie etwas davon gehört? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) arbeitete mit einem Pyramidenmodell für ausgewogene Ernährung. Die Pyramidenabschnitte stellen die Lebensmittelgruppen dar, aus denen wir unsere Speisen zusammenstellen. Täglich sollte jeder etwas aus jeder Gruppe essen. An der Spitze der Ernährungspyramide stehen die kalorienreichen Nahrungsmittel, wie Schokolade, Nüsse und Öle und Fette. Diese sollten nur in geringen Mengen aufgenommen werden. In der zweiten Ebene findet man die Lebensmittelkategorien, Fisch/Fleisch und Milch- und Käseprodukte. Auch auf dieser Stufe ist kontrolliertes Essen notwendig. Dagegen können in der 3. und 4. Stufe mit Gemüse, Obst und Getreideprodukten wie Reis, Brot, Nudeln und Kartoffeln unbedenklich gesündigt werden. Hier nehmen wir Nahrungsmittelbestandteile wie Vitamine, Spurenelemente und Kohlenhydrate zu uns. Wichtig ist die Flüssigkeitszufuhr, zwei Liter pro Tag sind erforderlich, zu viel Kaffee und alkoholische Getränke sollten nicht sein.
Die Ernährungspyramide gilt es im Spiel zu füllen. Zwei bis vier Spieler, die durchaus schon jünger als die vorgegebenen zehn Jahre sein dürfen, treten an, um in der Tempelanlage der Isis die Speisekammern nach den richtigen Speisen zu durchsuchen. Jeder führt einen fleißigen Diener durch diese Anlagen. Ausgestattet mit einer Ernährungspyramide, acht Schlüsseln zum Öffnen der Kammern, würfeln die Spieler sich durch das Pyramidenlabyrinth. Jeder besitzt zusätzlich noch eine Isis-Figur, die auf einer Zählleiste die aktuelle Kalorien-Bilanz anzeigt. Der Spieler, der es als erster schafft, alle 15 Pyramidenfelder zu füllen und im Zielbereich um die 2000 Kalorienpunkte mit seiner Isis zu sein, gewinnt das Spiel nach meistens einer guten Stunde.
Natürlich ist ISIS SÜSSE SÜNDE erst einmal nur ein simples Würfelspiel. Die Anlage der Gänge, die frei zu wählenden Richtungen lassen aber viele Bewegungsmöglichkeiten zu. Auch die Aufnahme der Ernährungskarten, die bestimmten Farbfeldern zugeordnet sind, geschieht zufällig. Man kann nicht steuern, ob man eine Schale Erdbeeren (80 kcal) oder eine halbe Ananas (180 kcal) zu sich nimmt. Die Schlangenfelder sollte man tunlichst meiden, denn diese verführen zu extremen süßen Sünden, so dass meist ein Drittel der maximalen Kalorienmenge schon erreicht wird. So schlagen Köstlichkeiten, wie Trüffelpralinen, denen ich auch im richtigen Leben kaum widerstehen kann, gleich mit 700 Kalorien zu Buche. Wie gut, dass es die Sportfelder gibt, die sich einigermaßen gezielt ansteuern lassen. Da baut eine Stunde Brust-Schwimmen die Bilanz gleich wieder um 1200 Kalorien ab. Interaktiv sind die Rachefelder zu verstehen, die meist dem Gegner Unheil bringen und den scheinbar nah geglaubten Sieg erst einmal verhindern helfen.
ISIS SÜSSE SÜNDE transportiert en passant eine Menge Wissenswertes über Ernährung, der Spielspaß bleibt dabei nicht auf der Strecke. Erwarten Sie kein hochkomplexes Spiel, aber ein vergnügliches. Hochkomplex sind höchstens die Ernährungszusammenhänge. Der Materialaufwand, den Wybranietz für sein Spiel betreibt, ist beträchtlich. 230 Nahrungsmittelkärtchen liegen ihm bei, keine kleinen Counter, sondern große Kärtchen, die ihren Platz auf der aufstellbaren Pyramide finden. Die grafische Gestaltung ist gefällig, das Schachtelcover eindrucksvoll. Der Vorbereitungsaufwand vor jedem Spiel ist beträchtlich. Da die Kärtchen alle nur in einem Leinenbeutel untergebracht sind, müssen jedes Mal Gemüse, Getreide, Obst und die süßen Sünden nebst den Ereigniskarten aufwändig sortiert werden. Die Regel ist gut strukturiert und lässt keine wesentlichen Fragen offen. Insgesamt ist dem Autor Raimund Wybranietz ein erstaunlich professionell gemachter Spieleerstling gelungen, bei dem nur die Preisgestaltung problematisch scheint. Mit 40 Euro, bei der Kleinauflage sicherlich eine realistische Kalkulation, hat der Verlag CommonGame Grenzen überschritten, die den Absatz schwer werden lassen.
Das aktuellste Modell der DGE ist im Übrigen nicht mehr die zweidimensionale Dreieckspyramide, sondern eine dreidimensionale Lebensmittelpyramide, die vielschichtiger der gesunden Ernährung gerecht wird. Die verbraucherfreundliche Darstellung könnte zu einer kleinen Revolution an den Frühstückstischen führen, so die Erwartung von Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast, die das neue Modell im März 2005 der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Eigentlich eine Herausforderung für Raimund Wybranietz für eine notwendige Erweiterung seines Spiels: Wir warten auf ISIS II, vielleicht mit kleineren Pyramiden und günstiger kalkuliert.
Titel: Isis – Süße Sünde
Autor: Raimund Wybranietz
Grafik: Steffen Winker
Verlag: CommonGame (www.commongame.de)
Spieler: 2-4
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: ca. 30 bis 90 Minuten
Preis: ca. 40 Euro
Spiel 11/2005 R72/2021
Die Rezension erschien 2005 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 6 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder

Zum Spiel und zum Autor:
Für Raimund Wybranietz war es das erste und gleichzeitig letzte Spiel, das er mit CommonGame veröffentlichte. Immerhin kann er einen ersten Platz beim Deutschen Lernspielpreis vorweisen, den er 2005 gewann. Damals war er Konkurrent von dem Spieltrieb Spiel ENERGIE 21, das ich gestern vorgestellt habe.
Das Bild zeigt den Autor bei seiner Erstvorstellung des Spiels in Göttingen 2004.