Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Unterirdisch: MOGULI
Reinhold Wittig hatte schon immer ein Faible für assoziationsreiche Spieltitel. Da will uns die Abacus-Spielregel vorgaukeln, Wittigs innovative Neuheit MOGULI leite sich vom Mogul-Reich ab, Unbedarfte denken vielleicht an ein Schummel-Spiel, dabei führt uns die Grundidee des Abtauchens in die wahren Abgründe zu den Kanalratten in die Welt der Gullys. Das ist thematisch anrüchig, passt kaum zu einem Halbedelstein-Spiel von Clemens Gerhards und zu einer indisch angehauchten Pappfassung von Abacus – und eigentlich auch nicht zu Reinhold Wittig.
Mit MOGULI sprengt der Göttinger Autor herkömmliche Spielvorstellungen, dabei kommt das Zweipersonenspiel ganz klassisch daher. Wie bei HALMA sind Spielsteine von Startfeldern in Zielfelder zu bringen. Bei MOGULI sind es für jeden Spieler fünf Kugeln, die, ausgehend von fünf Startfeldern, über 5x5 Spielplanfelder in den Ausgangsbereich des Gegners gebracht werden müssen. Wittig erleichtert sogar die Siegbedingungen, von den fünf Spielsteinen müssen nur vier in den Zielbereich kommen. In Richtung Ziel bewegen dürfen sich die Kugeln aber nur dann, wenn sie mindestens eine andere – eigene oder fremde – Kugel „unterspringen“. Sie haben richtig gelesen, auch wenn Sie dieses Wort im Duden nicht finden, gemeint ist genau das damit, was Sie auch verstanden haben. Wittigs MOGULI eröffnet ganz neue Spielräume. Einmal bewegen wir uns im bekannten und vertrauten Oberflächenbereich, dann – und das ist das Neue - müssen untergründige Wege mit eingeplant werden - Gullis eben.
Dazu hat der Autor auf den 35 variablen quadratischen Spielplanfeldern ein Wegesystem entwickelt. Jedes Feld besitzt jeweils zwei Wege oben und unten, auf 17 besonders gekennzeichneten Feldern sind diese auf der Ober- und Unterseite identisch, auf den restlichen Feldern verlaufen sie aber in die gegenteilige Richtung. Durch die Kennzeichnung weiß ich, wie die Wege auf den Unterseiten verlaufen. Auch wenn ich es weiß, ist die Umsetzung dieses Wissens in die von mir verlangte räumliche Vorstellung von Bewegungsabläufen ganz schön verzwickt.
Die Bewegungsregel ist simpel, in der edlen Holzfassung heißt es dazu ganz knapp: „Rollen kann – Tauchen unter mindestens einer Kugel muss – Rollen anschließend kann! Kann nicht getaucht werden, darf lediglich ein Klotz gedreht werden.“ Das ist es auch schon, vielleicht ergänzt durch: „Gedreht werden darf!“.
Was heißt das nun konkret? Zu Beginn des Spielzuges darf ich einen Spielstein sichtbar und für alle ohne große Überlegung nachvollziehbar über zusammenhängende Wege bewegen. Voraussetzung dafür ist aber, dass ich danach abtauche und plausibel nachweise, dass ich untergründige Wegeverbindungen so nutzen kann, dass dabei mindestens ein Spielstein unterwandert wird, wenn ich dann wieder auftauche, kann es wie am Anfang oberflächlich weiter voran gehen. Um Wege passend zu machen, darf stets mindestens ein Spielfeld gedreht werden, im Falle des Unterspringens dürfen sogar zwei Felder bewegt werden.
Ein einfaches Spiel also und doch unheimlich vertrackt. Deshalb scheiden sich auch die Geister bei der Spielbewertung. Spieler, die Probleme mit ihrem dreidimensionalen Vorstellungsvermögen haben, geben oft schnell frustriert auf, alle anderen lassen sich mit großer Begeisterung auf das geistige Abtauchen in die unterirdischen Kanalregionen ein. Deshalb machen die MOGULI -Partien auch nur dann Spaß, wenn ein gleichwertiger Gegner auf der anderen Seite sitzt. Für solche Spielpartner lohnen die Regelvarianten, z.B. die „neue Startreihe“. Vor Spielbeginn dürfen die beiden Kontrahenten eine der drei mittleren Reihen vor sich als neue Startreihe aufbauen. Die Ausrichtung der Steine darf dabei allerdings nicht verändert werden. In der „Zylinder-Variante“, die nur in der Abacus-Regel auftaucht, wird das räumliche Vorstellungsvermögen noch stärker gefordert. Das Oben und Unten wird hier nicht begrenzt durch ein rechteckiges Spielfeld, es wächst in der Vorstellung röhrenförmig zusammen, so dass die Außenfelder plötzlich benachbart sind und ganz neue Wegeverbindungen ober- und unterirdisch möglich machen. MOGULI extrem heißt diese Variante bei uns, bei der das Hirn so richtig qualmt.
Wer Spiele wie RUMIS, PUEBLO oder AZTEC mag, wird auch von MOGULI begeistert sein. Welche Ausführung man dann wählt, dürfte letztlich eine Frage des Geldbeutels sein. Die hervorragende Holzfassung mit Halbedelsteinen der Firma Clemens Gerhards ist natürlich die deluxe -Ausgabe von MOGULI. Die Abacusausgabe mit stabilen Pappfeldern, Holzsteinen, die das Drehen der Plättchen erleichtern, und Spielsteinen aus Glas stellt eine solide, grafisch sehr gefällige Umsetzung des Spiels dar, die zudem noch äußerst preiswert ist. Zumindest meine Ausgabe besitzt aber einen Produktionsmangel, die Holzzylinder passen nur mit viel Gewalt in die Ausrundungen der Pappquadrate.
Titel: MOGULI
Autor: Reinhold Wittig
Spieler: 2
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 30 bis 45 Minuten
Verlag: Abacus
Preis: 19 €
Verlag: Clemens Gerhards
Preis: 79 €
Spiel 15/2004 R81/2021
Die Rezension erschien 2004 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 8 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Über den Göttinger Geologen, Puppenspieler, Künstler und Spieleerfinder ließen sich Seiten füllen. Ich halte mich an dieser Stelle kurz:
Reinhold Wittig, der 83jährige Erfinder des Spieleautoren Treffens in Göttingen, entwickelt seit 1958 Spiele. 1976 gründete er seinen Kleinverlag Edition Perlhuhn, der mit Skaiplänen und Spielen in der Rolle bekannt wurde.
Zu seinen bekanntesten Spielen gehört die Würfelpyramide DAS SPIEL (1980 mit dem Sonderpreis Schönes Spiel ausgezeichnet), das heute immer noch von Abacus vertrieben wird. Für WIR FÜTTERN DIE KLEINEN NILPFERDE und MÜLLER & SOHN bekam er ebenfalls diese Auszeichnung, für die Grafik war jeweils sein Sohn Matthias verantwortlich. Seine ästhetischen Maßstäbe für Spielmaterial und Optik haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der einfache Pöppelalltag aus den Spieleschachteln verschwand. Den Kosmos-Verlag brachte er durch edle Spiele in der Reihe mit der Feder voran, darunter auch eigene Veröffentlichungen wie MARITIM, das 1987 Chancen auf das Spiel des Jahres hatte.
1990 landete er mit DINO, damals noch von Hexagames auf der Auswahlliste für das Spiel des Jahres.
In den 90er Jahren prägte seine Handschrift die Spiele von Blatz und teilweise auch Haba. KULA KULA und das hier schon vorgestellte DOCTOR FAUST aus diesem Verlag bekamen ebenfalls den Preis für das Schöne Spiel.
Die ganz großen Erfolge blieben dann zwar im neuen Jahrtausend aus, immerhin landete CORNU 2007 auf der Empfehlungsliste der Kinderspieljury und MOGULI erhielt 2013 eine MinD-Würdigung.
Die Organisation des Autorentreffens hat Wittig 2016 an die SAZ übergeben, in seiner Edition Perlhuhn unterstützt ihn seit letztem Jahr Timo Diegel. Ein Jahr danach ist er mit dem Göttinger SPATZ ausgezeichnet worden.
Das Foto zeigt Wittig auf dem Autorentreffen in Göttingen 2004 mit einer großen Ausgabe des Spiels.