
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
NAMUTONI
Eine Kleinstauflage des Spiels NAMUTONI erschien am 28. Januar 2004 in der Edition Perlhuhn. Der Autor und Verleger Reinhold Wittig hatte bewusst dieses geschichtsträchtige Datum gewählt. Bei seinen vielen Besuchen in Namibia hat er sich nicht nur mit den geologischen Besonderheiten dieser fantastischen Landschaft beschäftigt, hat er nicht nur die spielerische Welt von Ombagassa entdeckt, sehr ernsthaft hat er sich auch mit der Geschichte der ehemaligen deutschen Kolonie auseinandergesetzt. NAMUTONI war ein deutsches Fort, das während des Herero-Aufstands zerstört wurde, der vor hundert Jahren blutig von den deutschen Kolonialtruppen niedergeschlagen wurde. In den 60er Jahren wurde das Fort restauriert, heute ist es Museum und Hotel in einem.
Wittigs Spiel will keine kriegerische Handlung simulieren, thematisch stellt er sich zwei Touristengruppen vor, die sich um gute Quartiere direkt im Fort bemühen. Wie auch immer,
NAMUTONI ist eine knallharte strategische Auseinandersetzung zweier Spieler.
Auf einem 11x11 Felder großen Spielplan wird in der linken Hälfte das Fort NAMUTONI aus acht Quadersteinen mit vier Türmen und Mauern errichtet. Von den weiter entfernten Längsseiten aus starten die beiden Spieler mit vier Reiterfiguren, um das Fort in Besitz zu nehmen. Wer es schafft, als erster mit drei Figuren ins Fort einzudringen, eine davon auf einem Turm, gewinnt das Spiel. Das Besondere an NAMUTONI ist die Fortbewegung der Pferde. Der Autor entdeckt erstmalig die dritte Dimension beim Pferdesprung, wie beim Rösselsprung im Schach geht es um drei Felder, hier wird aber nicht diagonal abgebogen, sondern nach zwei Feldern geht es einen Sprung in die Höhe oder nach einem Feld macht das Pferd sogar einen großen Satz von zwei Feldern nach oben, umgekehrt geht es auch so in die Tiefe. So können die Spieler mit ihren Figuren die Mauern des Forts erklimmen und sogar auf die Zinnen der Burganlage gelangen. Der Weg dorthin führt aber erst einmal durch eine weite Ebene. Ohne Sprung lahmt das Pferd und humpelt nur ein Feld weit. Damit es auf dem Weg zum Fort im Galoppsprung vorangeht, hat sich Wittig quadratische Helfersteine einfallen lassen, die, richtig platziert, für ein zügiges Vorankommen sorgen. Raffiniert gelöst, ist die Positionierung der Helfersteine, von denen jeder Spieler vier besitzt. Zwei schiebbare Strategie-Leisten, „List“ und „Tücke“ genannt und gegenüber den Startpositionen der Spieler eingerichtet, besitzen je drei Markierungen. Nur auf die Felder, die in den markierten Spielfeldreihen Schnittpunkte von List und Tücke ergeben, dürfen die Helfersteine gelegt werden.
Es gilt also bei einer Partie NAMUTONI einiges zu berücksichtigen. Die vielfältigen Möglichkeiten ergeben sich auch durch die Zugvielfalt. Der Autor lässt jedem Spieler pro Zug drei Möglichkeiten: So kann ein Pferd springen oder nur ein Feld vorwärts ziehen, Helfersteine dürfen eingesetzt oder versetzt werden, oft ist aber auch das Verschieben einer oder beider Strategieleisten nötig. Anfangs hört sich das alles kompliziert an, das Spiel selbst ist aber gar nicht so schwer. Spätestens nach der ersten Runde wird deutlich, auf welche Sprungfelder man zu achten hat, wo es Sinn macht dem Gegner in die Quere zu kommen und wann man auf Zugoptionen für das Verschieben der Leisten verzichten kann, denn häufig spielt man damit auch dem Gegner in die Hände. Wenn keiner der Spieler gravierende Fehler macht, geht es stets knapp zu, oft zu knapp, da die Spielregel für den zweiten Spieler eine Nachzugsmöglichkeit eröffnet, wenn die Gewinnbedingungen durch den ersten Spieler erfüllt sind. So kommt es oft zu einem Unentschieden. Eine Runde NAMUTONI geht auch sehr schnell vorbei, so dass wir schon Sonderregeln eingeführt haben, die zusätzlich Spannung ins Spiel bringen. Mit einem Klebepunkt haben wir jeweils eine Figur gekennzeichnet, die als Anführer der Gruppe am Ende auf einem Turm stehen muss. Sie wird in direkter Nachbarschaft zum Gegenspieler aufgestellt. Diese Regel bringt etwas mehr Aggressivität, aber auch Spannung ins Spiel, da der vierte Reiter, der ja nicht ins Fort muss, nun den Gegner abzufangen versucht. Die Auseinandersetzung um den den Spielern zugewandten Eckturm wird in dieser Variante besonders spannend.
Die Umsetzung des Spiels von Clemens Gerhards, die 2005 auf der Spiel in Essen vorgestellt wurde, ist perfekt. Hochwertiges Material, sauberste Holzbearbeitung ist man von der Firma aus Ransbach-Baumbach ja gewohnt. Hier gelingt aber mit den Materialien eine Anmutung, die uns nicht nur ein eigentlich abstraktes Spielvergnügen bietet, sondern ein Hineinversetzen ins namibische NAMUTONI wirklich macht. Dieses spielerische Holzobjekt muss raus aus dem braunen Verpackungskarton, es hat seinen Platz in Sichtweite des Spieltischs verdient, so dass allein der Anblick zur nächsten Partie auffordert.
Titel: NAMUTONI
Autor: Reinhold Wittig
Verlag: Gerhards Spiel und Design
Spieler: 2
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 10 Minuten
Preis: ca. 70 Euro
Spiel 15/2005 R86/2021
Die Rezension erschien 2005 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 8 von 10 Sternen,
das entspricht: Gerne morgen wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Über den Göttinger Geologen, Puppenspieler, Künstler und Spieleerfinder ließen sich Seiten füllen. Ich halte mich an dieser Stelle kurz:
Reinhold Wittig, der 84jährige Erfinder des Spieleautoren Treffens in Göttingen, entwickelt seit 1958 Spiele. 1976 gründete er seinen Kleinverlag Edition Perlhuhn, der mit Skaiplänen und Spielen in der Rolle bekannt wurde.
Zu seinen bekanntesten Spielen gehört die Würfelpyramide DAS SPIEL (1980 mit dem Sonderpreis Schönes Spiel ausgezeichnet), das heute immer noch von Abacus vertrieben wird. Für WIR FÜTTERN DIE KLEINEN NILPFERDE und MÜLLER & SOHN bekam er ebenfalls diese Auszeichnung, für die Grafik war jeweils sein Sohn Matthias verantwortlich. Seine ästhetischen Maßstäbe für Spielmaterial und Optik haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der einfache Pöppelalltag aus den Spieleschachteln verschwand. Den Kosmos-Verlag brachte er durch edle Spiele in der Reihe mit der Feder voran, darunter auch eigene Veröffentlichungen wie MARITIM, das 1987 Chancen auf das Spiel des Jahres hatte.
1990 landete er mit DINO, damals noch von Hexagames auf der Auswahlliste für das Spiel des Jahres.
In den 90er Jahren prägte seine Handschrift die Spiele von Blatz und teilweise auch Haba. KULA KULA und das hier schon vorgestellte DOCTOR FAUST aus diesem Verlag bekamen ebenfalls den Preis für das Schöne Spiel.
Die ganz großen Erfolge blieben dann zwar im neuen Jahrtausend aus, immerhin landete CORNU 2007 auf der Empfehlungsliste der Kinderspieljury und MOGULI erhielt 2013 eine MinD-Würdigung.
Die Organisation des Autorentreffens hat Wittig 2016 an die SAZ übergeben. Ein Jahr danach ist er mit dem Göttinger SPATZ ausgezeichnet worden. 2020 wurde Wittig in die Hall of Fame des Origins Award aufgenommen. Aktuell besteht eine enge Kooperation mit Joe Nikisch, der exklusiv bei Abacus einige Perlhühner veröffentlicht.
Das Foto zeigt Wittig auf dem Autorentreffen in Göttingen 2007.