
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
MENSCH ÄRGERE DICH NICHT bei den Etruskern: TUCHULCHA
Spieleredakteure sind nicht zu beneiden. Jede Woche finden Sie in ihrer Post die 500. MENSCH ÄRGERE DICH NICHT-Variante und den 1000. MONOPOLY-Clon. Nach kurzer Regellektüre folgt das Ablehnungsschreiben. Dass der italienische Verlag daVinci Games, der 2004 mit VIVA IL RE einen ersten Erfolg (Empfehlungsliste der Jury Spiel des Jahres) landen konnte, einen MENSCH ÄRGERE DICH NICHT-Ableger bis zur Endproduktion brachte, verwundert dann doch. TUCHULCHA nennt der Autor Marco Donadoni sein Laufspiel, mit dem historisch die etruskische Gründung Roms nachvollzogen wird.
Ein ausführlicher Exkurs der Spielregel führt uns in die Priesterwelt der Etrusker ein, die mit den aus der Unterwelt kommenden Bedrohungen fertig zu werden versuchten. Aus dem Schattenreich drohte vor allem TUCHULCHA, eine Dämonin der Unterwelt, der Medusa nicht unähnlich, ein Schlangenwesen mit bösem Blick. Die zwei bis vier Spieler vertreten Priester etruskischer Gottheiten, die möglichst nicht von TUCHULCHA gefangen werden wollen. Von ihren jeweiligen Tempeln wandern alle zum Heiligtum der Göttin Voltumna, die als Bundesgottheit dem etruskischen Städtebund vorstand. Hier haben wir schon den Kern des Laufspiels: Acht bzw. neun Figuren einer Farbe wandern von ihrem Startfeld zu einem gemeinsamen Zielfeld, alle müssen dabei das Spielfeld (fast) einmal umrunden.
Lassen wir die mythologische Einbindung beiseite. Die Spielfiguren werden würfelnd bewegt, wobei stets zwei Würfel im Spiel sind. Das Wurfergebnis darf auf eine oder zwei Figuren verteilt werden, bei einem Pasch darf ein dritter Würfel geworfen werden. Wie beim klassischen Vorbild werden gegnerische Figuren geschlagen. Sie starten allerdings nicht neu, sondern sind aus dem Spiel, landen im Wald der TUCHULCHA. Um sich zu schützen, kann man Sonderfelder ansteuern, die das Schlagen erschweren, die aber im nächsten Zug sofort wieder verlassen werden müssen. Dieser Zugzwang kann nachteilig sein, da es Zugangsfelder gibt, die direkt in den Wald der TUCHULCHA führen. Wer dort landet, ist sofort aus dem Spiel. Das Spiel endet, wenn ein Spieler mit seiner letzten Figur im Ziel oder im Wald landet. Der Spieler mit den meisten Figuren im Zielbereich gewinnt.
Mit den zwei Würfeln spielt sich TUCHULCHA natürlich taktischer als MENSCH ÄRGERE DICH NICHT, auch die Sonderfelder haben ihren Reiz, aber das allein hätte die Veröffentlichung einer Klassiker-Variante kaum gerechtfertigt. Deshalb gibt es weitere Siegbedingungen, die dem Spiel gut tun. Im Spielverlauf können sich maximal zwei Spieler entscheiden, ihre Zielbedingungen zu ändern. So darf ein Spieler die Interessen der TUCHULCHA vertreten. Bei dieser Entscheidung muss der betreffende Spieler drei Spielfiguren opfern, die er aus dem Wald oder dem Zielgebiet nehmen kann. Der TUCHULCHA-Spieler gewinnt, wenn er alle gegnerischen Spieler schlägt und keiner mehr das Zielgebiet erreicht. Er scheidet aber sofort aus dem Spiel aus, wenn ein anderer Spieler mit einer Figur nach Voltumna gelangt.
Ein Spieler, der sich für TUCHULCHA entscheidet, kann nicht mehr geschlagen werden. Ihm stehen vier Würfeln zur Verfügung, von denen drei benutzt werden müssen. Bei den Sonderfeldern muss sich dieser Spieler nur vor den Durchgängen in den Wald in Acht nehmen, ansonsten dreht er seine Runden, um alle Gegenspieler abzufangen.
Sobald sich ein Spieler für die TUCHULCHA-Rolle entschieden hat, darf ein weiterer zu seinem direkten Gegenspieler werden. Er muss versuchen, die Waldzugänge zu versiegeln. Dazu muss er noch mindestens vier Figuren im Spiel haben. Sobald er nicht mehr genügend Figuren für dieses Vorhaben hat, kann er ebenfalls aus dem Spiel ausscheiden. Versiegelt wird der Zugang, wenn eine Figur dieses Spielers exakt auf einem Durchgangsfeld landet, danach kommt die Spielfigur aus dem Spiel. TUCHULCHAs Gegenspieler würfelt zwar wie bisher nur mit zwei Würfeln, er kann aber nur vom TUCHULCHA-Spieler endgültig geschlagen werden. Falls ein anderer Spieler seine Figuren trifft, müssen sie zurück in den Ausgangstempel. Beim Vorwärtsziehen zählen nur die unbesetzten Felder, so dass die Figuren schneller vorankommen.
Wer TUCHULCHA Priesterfiguren aus dem Spiel bringt, weil er das Zielgebiet mit einer Figur erreicht hat, kann selbst die TUCHULCHA-Rolle übernehmen, muss aber statt drei vier Figuren „opfern“. Voraussetzung ist, dass die Mitspieler noch mindestens zwei Figuren im Spiel haben.
Der Rollenwechsel, den sich Marco Donadoni für TUCHULCHA hat einfallen lassen, bringt Pep ins Spiel. Wer scheinbar chancenlos den guten Würfelergebnissen der Mitspieler hinterherhechelt, sieht plötzlich Licht im Dunkeln des Waldes. Im Mythos der Geschichte schlägt sich der Gute auf die Seite des Bösen und kann auf diese Weise gewinnen. Kann gewinnen, muss aber nicht, deshalb ist die dritte Rolle besonders pfiffig.
TUCHULCHA bleibt letztlich natürlich immer noch ein Würfelspiel mit aller Glücksabhängigkeit dieser Spielegattung. Deshalb scheiden sich in der Bewertung auch die Geister. „Genialer Wurf“ bis „öde Würfelei“ mit „an den Haaren herbei gezogenem Regelwerk“ war in meinen Spielrunden zu hören. Eine Testrunde sollten Sie dem Spiel aber zugestehen, zumal das Ambiente stimmig ist. Der Grafiker, der sich an klassischen Vorbildern orientiert, hat gute Arbeit geleistet, das Spielmaterial – keine einfachen Holzpöppel – ist für ein Spiel dieser Preisklasse sehr ordentlich. Die Spielregel ist dank vieler Beispiele recht klar und lässt fast keine Fragen offen. Der Spielplan ist beidseitig für das Spiel zu dritt bzw. zu viert verwendbar. In der Dreierversion gibt es nur die TUCHULCHA-Rolle und auch Einschränkungen bei den Würfeln. Probieren Sie’s aus, aber bitte mit Rollenwechsel, denn sonst kommt schnell Langeweile auf!
Titel: TUCHULCHA
Autor: Marco Donadoni
Grafik: Stefano de Fazi
Verlag: daVinci Games
Spieler: 2-4
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 40 Minuten
Preis: ca. 15 €
Spiel 23/2004 R93/2021
Die Rezension erschien 2004 unter www.spiel-und-autor.de
Wertung Spielreiz damals 6 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder
Zum Spiel und zum Autor:
Marco Donadoni, 1951 in Italien geboren, startete seine Karriere schon in den 70er Jahren. Seine Entwürfe prägte das Profil des italienischen Unternehmens International Team, das sich vom Puzzlehersteller mit ihm dem Wargame-Markt öffnete. Spiele wie ZARGO’S LORDS, ILIAD, AUSTERLITZ u.a. waren sehr erfolgreich.
Nach dem Konkurs von IT arbeitete mit mehreren großen italienischen Spielefirmen wie Editrice Piccoli, Editrice Giochi und anderen zusammen.
Ausgezeichnet wurde er 1981 für die abstrakte Spielidee RA, für die IT den Sonderpreis Das Schöne Spiel von der Jury Spiel des Jahres erhielt.
TUCHULCHA gehört zu den wenigen Veröffentlichungen von Donadoni, die nach 2000 erschienen sind.