Samstag, 23. April 2016
FRIESENNERZ
Echtes „Nerz“-Feeling
Nané Lénards Triller hatten bisher eher die „Schatten“seiten des Lebens im Blick. In ihren Krimis um Hauptkommissar Wolf Hetzer geht es seit 2011 äußerst brutal zu. Die seit zwei Jahren freiberuflich tätige 50jährige Autorin versteht sich aber auch auf leicht verdauliche Kost. Mit FRIESENNERZ mischt sie die ostfriesische Krimilandschaft humoristisch neu auf und stellt Klaus-Peter Wolfs Chefermittlerin Ann Kathrin Klaasen die Hobby-Detektivin Charlotte Esen entgegen.
Ihr Hauptgeschäft ist der Rollmops-Verkauf im Hafen von Neuharlingersiel, dort ist die dreifache Witwe, die es immerhin zu fünf Kindern und dreizehn Enkeln gebracht hat, für alle nur Oma Pusch. So vernetzt, braucht sie keinen Facebook-Account, um über alles und alle Bescheid zu wissen. Hilfreich ist dabei, dass es einer ihrer Neffen vom tiefsten Bayern in das Polizeikommissariat nach Esens verschlagen hat, auch sonst hat sie so ihre Beziehungen zur Rechtsmedizin und Spurensicherung in diesem Nordseeküstenbereich.
FRIESENNERZ überzeugt durch skurrile Charaktere und eine pfiffige Handlung, die durchaus Rätselspannung bei der Lösung des Falls zulässt. Oma Pusch geht einer mysteriösen Mordserie nach, die eine verschworene Doppelkopfrunde zu betreffen scheint. Da wird Fiete Hansen in seinem Gewächshaus tot aufgefunden. Bestattet in einem knallgelben Friesennerz, zusätzlich noch skalpiert. Wenig später entdeckt Oma Pusch im Watt von Neuharlingersiel eine ähnlich drapierte Leiche, ein zweites Mitglied der Kartenspielrunde. Oma Pusch begibt sich mit ihrer Freundin Rita auf Spurensuche. Sie scheut keinen Einsatz, entkleidet sich für ihre Ermittlungen auch mal bis auf die schwarze Unterhose und zieht für Informationen den einen oder anderen Ermittler ganz schön über den Tisch. Das ist leichte, äußerst unterhaltsame, manchmal auch klischeehafte Kost, bei dem sogar richtiges „Nerz“-Feeling aufkommt, denn der Buchumschlag fühlt sich exakt so an wie jener typische PVC beschichtete gelbe Regenmantel.
Wertung: ****
Titel: FRIESENNERZ
Verlag: CW Niemeyer
Autor: Nané Lénard
Seiten: 309 Seiten
Preis: 10,95 Euro
Sonntag, 17. April 2016
SCHWARZE SEELEN
In geschichtsträchtiger, mythenumwogender, aber gottverlassener Gegend, an der Fußspitze Italiens, wachsen sie auf, die „Söhne des Waldes“. Ziegenhirten wie ihre Väter, die kein rechtes Auskommen finden ohne die Gelder der Mafia, die sie für das Verstecken von Geiseln in den Bergregionen Kalabriens erhalten.
In Abhängigkeit der lokalen Paten wollten die drei jungen Hauptakteure nicht geraten. Ihr Weg über das Gymnasium sollte sie rausführen aus der Region, zum Studium nach Mailand. Ohne Geld war das aber nicht möglich, dem Verbrechen entkamen sie damit nicht. Im Gegenteil, sie brauchten die Kleinkriminalität und landeten schließlich im Großverbrechen, werden Teil und Abhängige des internationalen Drogengeschäfts, verdienen unendlich viel Geld, das zum Teil auch wieder in ihr Bergdorf Africo zurückfließt. Sie bleiben immer „Teil der Berge“.
„Um zu überleben, müssen wir hin und wieder Böses tun“, konstatiert der Ich-Erzähler, der fortwährend wieder deutlich macht, dass das Unheil, das sie schaffen, auch auf sie und ihre Angehörigen zurückfällt.
Gioacchino Criaco weiß genau, wovon er in seinem Roman SCHWARZE SEELEN spricht. Er wuchs in den 60er Jahren als Kind einer Hirtenfamilie auf, studierte Jura und arbeitete lange Zeit in Mailand als Rechtsanwalt. Vor acht Jahren wurde sein Bruder Pietro, der einer der 30 meistgesuchtesten Kriminellen Italiens war, verhaftet. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ebenfalls 2008 Criacos Romanerstling erschien, der 2014 von Francesco Munzi als „Anime nere“ verfilmt wird. Inzwischen plant das italienische Fernsehen, aus der Geschichte eine ganze Fernsehserie zu machen.
Criacos Sprache ist bei allem Schrecklichen, das sie beschreibt, erstaunlich lapidar, fast emotionslos. Es sei eine fiktive Geschichte betont Criaco, eine Geschichte, die aber aus dem elendigen Leben in den kalabrischen Bergen Erklärungen ableitet. „Wer hier geboren wurde starb hier auch. Man starb aus zweierlei Gründen, aus Armut oder im Kugelhagel.” Ein ungewöhnlicher Roman, der Einblicke in „schwarze Seelen“ zulässt.
Wertung: *****
Titel: SCHWARZE SEELEN
Verlag: Folio Verlag
Autor: Gioacchino Criaco
Seiten: 233 Seiten
Preis: 22,90 Euro
Samstag, 16. April 2016
DAS MONA LISA VIRUS
Tibor Rode, Anwalt und Dozent für Wirtschafts- und IT-Recht, schreibt erst seit drei Jahren. 2013 debütierte er mit DAS RAD DER EWIGKEIT, ein Jahr später folgte DAS LOS ein weiterer erfolgreicher Thriller. Die Rechte für seinen dritten Roman, DAS MONA LISA VIRUS, der im März 2016 erschien, wurden schon in neun weitere Länder verkauft.
Wäre der Titel DA VINCI CODE nicht schon vergeben, würde er treffend für die Thriller-Konstruktion Rodes passen. Der Mona Lisa Code infiziert seit nun schon über 500 Jahren unsere Sehgewohnheiten, unser Bild von Schönheit, geprägt durch den Goldenen Schnitt. Wie muss das für Menschen sein, die gar nicht diesem Schönheitsideal entsprechen? Das ist der Ausgangsgedanke Rodes, der daraus einen Rachefeldzug gegen den Schönheitswahn, gegen ideale Proportionen ableitet.
Die Verwüstungsschneise, die dabei hinterlassen wird, führt durch die ganze Welt. Erfasst alles, da sie gleichzeitig als Computer-und Bio-Virus daherkommt. Bilddateien sind nur noch entstellt sichtbar, Millionen von Bienenvölkern sterben dahin und sind nicht mehr in der Lage, ihre Befruchtungsdienste vorzunehmen. Gleichzeitig fällt in Leipzig der Rathausturm, löst sich in Mailand das Heilige Abendmahl da Vincis auf. Eine ganze Busladung amerikanischer Schönheitsköniginnen wird obendrauf in Mexiko entführt, entstellt, verformt wie die Bilddateien, tauchen einige der schönen Frauen in der Nähe Acapulcos wieder auf.
Vor diesem zerstörerischen Hintergrund mit ständig wechselnden Schauplätzen entwickelt Rode erst mit der Zeit eine überschaubarere Handlung, in deren Zentrum das ehemalige Model Helen Morgan steht, die sich nun wissenschaftlich mit Neuroästhetik beschäftigt. Sie gerät in den Strudel und lässt sich einbinden in die verbrecherischen Aktivitäten, da ihre Tochter ebenfalls nach Mexiko entführt wurde. Begleitet wird sie anfangs eher indirekt von einem FBI Agenten, der sich auf Spurensuche nach den Verursachern des Chaos befindet.
Das, was sich nun ergibt, ist ein spannendes Abenteuer zwischen Warschau, Madrid und Paris, in dem die Mona Lisa und die Mona Lisa des Prado, die erst 2012 entdeckt wurde, eine wichtige Rolle spielen. Rode gelingt dabei ein kenntnisreicher, kulturgeschichtlich angehauchter Thriller, der durchaus zum Nachdenken anregt. Mich stören nur die mysteriösen Einsprengsel, die die Handlung begleiten. Nichts gegen Tagebucheinträge aus dem frühen 16. Jahrhundert, aber ein Zeitreisender passt nicht zum sonstigen Geschehen.
Wertung: ****
Titel: DAS MONA LISA VIRUS
Verlag: Lübbe
Autor: Tibor Rode
Seiten: 461 Seiten
Preis: 14,99 Euro
Mittwoch, 13. April 2016
TAL DES SCHWEIGENS
Die Juroren der KrimiZEIT-Bestenliste weisen zurecht auf Malla Nunns Retrokrimi TAL DES SCHWEIGENS hin (Platz 1 im Februar). Die Autorin stammt aus Swasiland, floh schon in den 70er Jahren mit ihrer Familie nach Australien, wo sie heute noch lebt. Sie weist Abschlüsse in Englisch, Geschichte und Theaterwissenschaften vor, arbeitete als Drehbuchautorin und schreibt seit 2008 vielfach preisgekrönte Kriminalromane um Detective Sergeant Emmanuel Cooper. TAL DES SCHWEIGENS ist ihr dritter Roman mit Cooper und seinen Zulu-Assistenten Shabala. Der vierte, PRESENT DARKNESS (2014), liegt noch nicht übersetzt vor.
Nunn versetzt ihre Leser in die beginnende rigorose Apartheitsentwicklung als Folge des „Population Registration Act“, der die Zugehörigkeit jedes Südafrikaners zu einer „ethnischen oder anderen Gruppe“ festlegte. Trennung war überall sichtbar, im öffentlichen und privaten Leben, an Stränden, in sanitären Anlagen oder auf Parkbänken. Sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Angehörigen aller anderen Rassen waren unter Strafe gestellt. In jeder Begegnung schimmern in Nunns Werk diese Verhältnisse durch, auch wenn die enge durchaus vertrauliche Zusammenarbeit der beiden Ermittler das Gegenteil zu beweisen scheint.
Cooper wird in das Provinznest Roselet geschickt, in den Ausläufern der Drachenberge gelegen. Er und sein Partner sollen einer anonymen Meldung nachgehen. Wie sich herausstellt, ist die Tochter eines dortigen Zulu-Häuptlings ums Leben gekommen. Das hübsche Mädchen sollte ihrem Vater bei einer schon verabredeten Heirat viele Rinder einbringen. Aber das Mädchen, das auf einer Farm eines reichen englischstämmigen Großgrundbesitzers arbeitete, hatte durchaus ihre eigenen Ideen von ihrer Zukunft.
Die Ermittlung verläuft spannend und schwer vorhersehbar. Die Verdächtigungen schwanken zwischen Weißen und Farbigen, wobei Nunn eindrucksvolle Charakterbilder gelingen, die Sittenbilder ihrer Zeit ergeben. Das gilt auch für die Landschaftsbilder und die mystischen Elemente, die die Untersuchung beeinflussen. Mit ihrer Erfahrung als Drehbuchautorin provoziert sie immer wieder Bilder im Kopf, die nicht so schnell verloren gehen. Auch Cooper ist Gefangener ganz eigener Bilderwelten, immer wieder brechen Weltkriegserfahrungen in seine Gedankenwelt ein.
Ein spannender Krimi, solide Ermittlungskost und ein grandioses Gesellschaftsbild werden hier entworfen. In der ZEIT wird die Autorin mit nur fünf Worten gelobt: „Behutsam, fein und klug: Nunn.“ So ist es – unbedingt lesenswert.
Wertung: *****
Titel: Tal des Schweigens
Verlag: Argument Verlag
Autor: Malla Nunn
Seiten: 317 Seiten
Preis: 13 Euro
Freitag, 1. April 2016
BITTER WASH ROAD
Garry Disher kann Vieles, er schreibt Kinder-, Jugend- und Sachbücher, kennt sich gut mit australischer Geschichte aus. Autor ist der 66jährige Australier seit fast 30 Jahren, wir kennen ihn in Deutschland vor allem wegen seiner subtilen Kriminalromane. Mit dem Deutschen Krimipreis wurde er 2000 für den Gangsterroman GIER ausgezeichnet, drei Jahre später erhielt er für den DRACHENMANN noch einmal diese Auszeichnung. Leser der BITTER WASH ROAD könnten sich sicherlich für 2016 noch einmal deutsche Würdigungen vorstellen. Vorerst reicht es immerhin für Platz 1 der Krimi-Bestenliste der ZEIT.
Das ist dem Entwurf eines einsamen Polizei-Cowboys zu verdanken, der in die nordwestliche Pampa von Adelaide abgeschoben wurde. Constable Paul Hirschhausen, von allen nur „Hirsch“ genannt, ist in dem Kaff Tiverton ganz allein auf sich gestellt. Sein direkter Vorgesetzter, ein Sergeant Kropp, misstraut ihm, da er in Adelaide im Rahmen einer Korruptionsaffäre gegen seinen damaligen Chef ausgesagt hat. Alle scheinen gegen ihn zu sein, auch die Dorfbewohner und Kollegen im Team um Kropp.
Kleinkram beschäftigt ihn, Herumknallerei von Kindern, Diebstähle, ein tödlicher Unfall mit Fahrerflucht. Aber überall, wo er herumstochert, scheint er in Wespennester zu stechen. Erneut haben Kollegen wohl keine ganz reine Weste und auch die magere Oberschicht der Region, Anwälte, Richter, Großgrundbesitzer und Ärzte frönen gar nicht legalen Vergnügungen. Hirsch wird zur Bedrohung, des bisher nicht angetasteten Unrechts-Biotops in Redruth, eine Bedrohung, die sich bald gegen ihn selbst richtet.
Dishers Ausflug in die australische Einöde, in der die lange Trockenheit brandgefährlich sein kann, lebt von den Charakterentwürfen. Mit wenigen Strichen gelingen ihm eindrucksvolle Bilder von Menschen, die aus der Not heraus an diese Scholle gebunden sind. Er führt uns die Brüchigkeit von Scheinfassaden vor Augen und die immer größer werdende Bedrohung des Constables. Eine fast greifbare Angst, die beim Lesen entsteht, ein glaubwürdiges Buch, das bis zum Ende Überraschungen parat hält.
Wertung: *****
Titel: Bitter Wash Road
Verlag: Unionsverlag
Autor: Garry Disher
Seiten: 344 Seiten
Preis: 9,99 Euro
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