Sonntag, 19. September 2021
RÄUBER UND GENDARM
SAMMELSURIUM
Pelikan Travellerserie: RÄUBER UND GENDARM
Die bei Spielesammlern bekanntesten Spiele aus dem Pelikan Verlag sind die Buchkassetten, die zwischen 1974 und 1976 herausgegeben wurden. Zeitgleich erschienen wie bei Ravensburger 12 Spiele im Traveller Format. Die ursprünglich nur für Tinten und Farben bekannte Firma aus Hannover mit dem Wappentier Pelikan, war ab den 30er Jahren die wesentliche Firma in Deutschland für Füllfederhalter. Die Erfolge führten in den 70er Jahren zu einer großen Erweiterung der Produktpalette. Neben Spielen kamen Drucker, Projektoren, sogar Kosmetik ins Sortiment der Firma. TKKG wurde von Pelikan ursprünglich entwickelt. Die Expansion ließ die inzwischen von der GmbH zur AG gewordene Firma straucheln. 1984 wurde sie von der Condorpart AG in der Schweiz übernommen, die die Spieleproduktion nicht fortführte. Inzwischen gehört Pelikan dem malaysischen Unternehmen Goodace, das nunmehr als Pelikan International Corporation Berhad firmiert.
Pelikan griff in der Traveller-Reihe wie schon bei den Buchschuber-Spielen weitgehend auf Autoren zurück, nur zwei Ausgaben waren Lizenzen von Seven Towns. Rudi Hoffmann hat zwei Spiele zu dieser Reihe beigesteuert, am bekanntesten ist WENDELIN UND WANDA.
Wie in der großen Reihe tritt auch hier Eugen Oker als Serienbegleiter auf. Einleitende Kurzgeschichten führen zu manchen Spielen, wie der Verlag selbst sagt, meist „frei erfunden, zum Teil wahr“. Eugen Oker „wolle ja nicht bloß Einleitungen schreiben, sondern Vorspiele und Einstimmungen.“ Auch an den Regeln der Pelikanspiele soll Oker beteiligt gewesen sein.
RÄUBER UND GENDARM
Für das Spiel RÄUBER UND GENDARM wird in der Spielregel und auf der Schachtel kein Autor ausgewiesen, handelt es sich doch um eine recht einfache Variation von SCHIFFE VERSENKEN. Ein Pelikan Katalog von 1975 verweist allerdings auf einen H. Knabe als Autor. Luding führt ihn als Herbert Knabe, der außerdem für das FLUGREISESPIEL verantwortlich ist, das Aldi unter dem Logo „Unser Lieblingsspiel“ veröffentlicht hat. Auch der Grafiker wird nicht genannt. Der ironische Zeichenstil mit dem Ganoven, der sich in der Mülltonne versteckt, und dem heranstiefelnden Polizisten ließe auch Rudi Hoffmann zu.
Vom Spielmaterial her, bekommen die beiden Duellanten ein 9x9 Felder großes Spielbrett und jeweils Spielsteine zum Markieren des Fluchtweges des eigenen Räubers und andere zum Markieren der gegnerischen Spur und ungenutzter Felder.
Die Flucht beginnt unten in einer der bunten Mülltonnen und führt orthogonal oder diagonal angrenzend in eine hügelige Landschaft ganz oben. Der letzte Stein dort, wird mit einem schwarzen Räuberchip markiert.
In klassischer SCHIFFE VERSENKEN-Manier gehen beide Kontrahenten auf Spurensuche. Mit Fragen wie „Fass 7“ versuche ich erst einmal das Startfeld herauszubekommen, statt „Treffer“ heißt es nun „Spur“ oder es gibt den Hinweis, dass sich nichts auf dem Feld befindet. Ist man erst einmal auf der Spur, kann es nur angrenzend weitergehen. Wer als Erster oben auf den Räuber trifft, gewinnt das Spiel.
Zügiger läuft die Variante HETZJAGD ab, da wird nur eine kurze Spur von fünf Steinen gelegt und die Starttonne verraten. In diesem Fall kann der Räuber bei Fehlversuchen, seine Spur verlängern. Sobald er so 15 Steine legen konnte, gewinnt er, sonst ist er vorher erwischt worden. KESSELTREIBEN , die dritte Variante, verläuft ähnlich. Allerdings markieren hier beide Spieler die Fehlversuche, das sind Felder, die der Räuber nun nicht mehr betreten darf.
Die beiden Varianten bieten mehr Reiz als das Grundspiel, da dort schon das Erraten der richtigen Starttonne über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Wer Glück hat, gewinnt, wer lange sucht, läuft nur noch hinterher.
Das Material mit Holzchips und Plastikmarkierungen ist nicht überragend, die Inlayprägungen von RÄUBER UND GENDARM gefallen dafür umso mehr.
Titel: RÄUBER UND GENDARM
Autor: Herbert Knabe
Grafik: o.A.
Verlag: Pelikan
Spielerzahl: 2
Alter: ab 6 Jahre
Spieldauer: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 20.- DM
Wertung: Vielleicht nächsten Monat wieder
Sammelsurium 38 – S38/2021
Samstag, 18. September 2021
TULPENFIEBER
Thema verfehlt: TULPENFIEBER
Im frühen 17. Jahrhundert brach in Holland ein Tulpenwahn aus, der den Niederländern ihre erste Spekulationsblase bescherte. Zwischen 1634 und 1637 explodierte der Wert rarer Tulpenzwiebeln, die über Konstantinopel nach Europa kamen. Die Tulpenmanie oder das TULPENFIEBER wird als die erste gut dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte angesehen. Die Tulpe Semper Augustus wurde 1637 als teuerste Tulpe aller Zeiten gehandelt. Ihr Wert war zwischen 1633 und zum Höhepunkt der Spekulation 1637 von 5500 Gulden auf 30.000 Gulden für drei Zwiebeln angestiegen. Grachtenhäuser in teuerster Lage Amsterdams kosteten damals 10.000 Gulden.
Welche Erwartungen schwingen damit mit, wenn Amigo aktuell ein Spiel TULPENFIEBER auf den Markt bringt. Die werden noch gesteigert, wenn man weiß, dass Uwe Rosenberg das Spiel entwickelt hat. Da wird doch wohl mindestens etwas in der Kategorie der Hopfenernte in HALLERTAU in der Schachtel stecken.
Weit gefehlt, die Amigoschachtel signalisiert ein Duell zwischen zwei holländischen Kaufleuten, der Altershinweis mit acht Jahren verweist in den Familienspielbereich und dann steht da auch noch: „Würfelspiel“.
Was in der Schachtel steckt hat nicht wirklich etwas mit dem historischem TULPENFIEBER zu tun, letztlich bietet uns Uwe Rosenberg nur eine KNIFFEL-Variante mit Würfelzuwachs und variablen Siegbedingungen an, die Erwartungen an ein komplexes Wirtschaftsspiel schnell zerstören.
Jeder besitzt ein Tulpenfeld im 7x5 Raster, auf dem wenige Startplättchen liegen. Nun geht es nicht einmal darum Farbflächen optisch zu gestalten, sondern ganz simpel um die Füllung der vorletzten Reihe oder das Erreichen von drei zusammenhängenden Feldern oder vier beliebigen in der letzten.
Der Rest ist Kniffeln um kleine und große Straßen, Pärchen, Triple bis zu Fünferkombinationen von identischen Zahlen. Alles ist bekannt, das dreimalige Würfeln um optimale Ablageplätze, wobei doppelt umgedrehte Tulpenfelder extra Würfe ergeben. Alle starten mit vier Würfeln, die sie durch Spaltenbelegungen oder diagonale Felder bis auf sieben Würfel erweitern können. Schließlich bringt eine kompakte Belegung eines 2x3 oder 3x2 Feldes ein Schubkarren-Plättchen, das in zukünftigen Runden einen Jokerwürfel trägt.
Nicht viel Neues in den Würfellanden von KNIFFEL und YAHTZEE. Wer das mag, wird an dem Wettlauf um Farbreihen und Spalten Vergnügen finden, zumal es meist recht knapp zugeht.
Wäre nicht diese Erwartungshaltung, die ich mit dem Thema verbinde, das ich überhaupt nicht im Spiel wiedererkenne, würde ich das ganze befriedigend finden. So kommt in mir aber der alte Deutschlehrer wieder hoch, der seinen Rotstift zückt und unter die Arbeit schreibt.
Lieber Uwe, ich weiß, dass du es besser kannst, diesmal hast du aber leider das gestellte Thema voll verfehlt.
Wertung: Vielleich nächsten Monat wieder
Titel: TULPENFIEBER
Autor: Uwe Rosenberg
Grafik: Lukas Siegmon
Verlag: Amigo
Spielerzahl: 1-4
Alter: ab 8 Jahre
Spieldauer: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 22 Euro
Spiel 61/2021
Mittwoch, 15. September 2021
VARIÉTÉ PARIS
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Puzzlebilder spielerisch genutzt: VARIÉTÉ PARIS
Bisher kannte man die Produkte des Friedrich W. Heye Verlages nur als kleine ausgestanzte Puzzleteilchen, die, zusammengefügt, meist witzige Cartoon-Puzzle internationaler Cartoonisten von Degano bis Mordillo ergaben. Dass mit solchen einfallsreich ironischen Detailbildern mehr anzufangen ist, als die alleinige Zerlegung in Kleinstteile, hat der Verlag in diesem Jahr herausgefunden. Passend zu zwei Bildern - die natürlich auch als Puzzle von Marino Degano zu haben sind - haben zwei renommierte Spieleautoren Gesellschaftsspiele für Jugendliche und Erwachsene entwickelt.
Das erste Spiel um ein amüsant-freches Variété-Bild herum, ist noch eher konventionell geraten. Das Spiel VARIÉTÉ PARIS hat Bertram Kaes, verantwortlich zum Beispiel für das kreative Spiel der Ravensburger NILPFERD AUF DER ACHTERBAHN, zu einer recht simplen Montagsmalervariante gemacht.
Das amüsant-frivole Bild dient nur als Stimmungsfänger und hat keine spielerische Funktion. Auf einem Laufplan um das Bild herum haben die Spieler das Vergnügen, sich kreativ produzieren zu können. Da gilt es, Gedichte zu Ende zu führen, vorgegebene Begriffe durch Pantomime, Zeichnen oder Umschreiben darzustellen, während die Mitspieler sich um schnelles Erraten bemühen. Die Begriffe passen zum Bildthema. Für erfolgreiches Raten erhält man Baguettes, Käsestückchen, Rotwein und zum Schluss ein Glas Champagner.
Anders verpackt, gibt es dieses Spiel in vielen Variationen schon auf dem Markt, nichts vollkommen Neues also.
Titel: VARIÉTÉ PARIS
Verlag: Heye
Autor: Bertram Kaes
Grafik: Marino Degano
Spielerzahl: 2-6
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 45 Min
Preis: ca. 59.00 DM
Spiel13 /1992 R 159/2021
Die Rezension erschien 1992
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächste Woche wieder
Zum Autor:
Bertram Kaes ist Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre so etwas wie der Hausautor des Ravensburger Spieleverlags gewesen. Ursprünglich hat er eine kaufmännische Ausbildung im Verlag absolviert, dann aber erfolgreich Spiele wie DAS NILPFERD IN DER ACHTERBAHN entwickelt. 1989 hat er sich mit der Firma Funtasy Factory selbstständig gemacht und rund 50 Spiele veröffentlicht, häufig auch Werbespiele für Mercedes, BMW und Ikea.
Bekannt sind vor allem noch NOBODY IS PERFECT und die MAULWURF COMPANY, die 1995 immerhin auf der Auswahlliste für das Spiel des Jahres landete.
Freitag, 10. September 2021
NIZZA
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Bestseller-Edition: NIZZA
Der Blick in die wöchentliche Bestsellerliste des Spiegels ist für viele eine Kaufhilfe. Auch Spieleverlage fangen an, sich an Bestseller-Spieleautoren zu orientieren.
Ganz neue Maßstäbe setzt dabei ein Spieleautor unter den Produktmanagern der großen Verlage, Roland Siegers nämlich, der bei Schmidt Spiel und Freizeit eine ganz neue Autoren-Edition startet, der man nur viel Erfolg wünschen kann.
Nicht kleckern, klotzen scheint Siegers Devise zu sein, der nicht erst vorsichtig den Markt abtastet, sondern gleich in die Vollen mit sechs großformatigen Spielen einsteigt. Das Risiko ist berechenbar: Die Planer bei Schmidt haben sechs Autoren ausfindig gemacht, die in den letzten Jahren allein 40 Prozent der Auszeichnungen aus der Auswahlliste "Spiel des Jahres" unter sich ausgemacht haben. Diese Ehrengarde der Spieleautoren hat insgesamt über 18 Millionen Spiele verkauft. Schmidt hat in der ersten Runde die renommierten Autoren Alex Randolph (1x Spiel des Jahres, 9x Bestenliste), Sid Sackson (1x Spiel des Jahres, 8x Bestenliste), Wolfgang Kramer (2x Spiel des Jahres, 4x Bestenliste), Reinhold Wittig (3x Sonderpreis für "Das schöne Spiel", 5x Bestenliste), Rudi Hoffmann (1x Spiel des Jahres, 4x Bestenliste) und Roland Siegers (6x Bestenliste) in den spielerischen Olymp mit aufgenommen und hat zum Teil bewährte alte Spiele in neuer Bearbeitung (ACQUIRE, von dem amerikanischen Autor Sid Sackson entwickelt und ABILENE, von eben diesen Roland Siegers), sonst aber echte Neuheiten dieser Autoren herausgebracht. Es fehlen eigentlich nur Klaus Teuber und Reiner Knizia, die neuen Stars am Autorenhimmel, in dieser Bestseller-Edition. Sie dürften wohl 1994 vertreten sein.
Von den Brettspielneuheiten ragt mit Abstand Rudi Hoffmanns SPIEL DER TÜRME, ein knallhartes Strategiespiel, das sofort auf der Bestenliste '93 gelandet ist, heraus.
Immerhin raffiniert wirkt NIZZA von Wolfgang Kramer. Liebhaber Cary Grants und Grace Kellys können Hitchcocks "Über den Dächern von Nizza" nachspielen. Zwei bis sechs Spieler sollen die englischen Kronjuwelen wieder beschaffen. Das Originelle ist die reale Kaminkletterei auf Dächern, eher herkömmlich die Aktionsentscheidung durch Würfel.
Der Trend zur realen Umsetzung von Spielhandlungen scheint stark, so auch hier. Es gibt keine Spielfelder, sondern freie Kletter- und Schwungmöglichkeiten der Spielfiguren von Dach zu Dach. Eine faszinierende Grundidee, deren technische Umsetzung aber Mängel besitzt. Ein Ruckeln am Spielplan bringt alles total durcheinander, auch die Standfestigkeit der Spielfiguren lässt zu wünschen übrig. So hängt sich eine faszinierende Idee im üblichen Brettspielalltag auf.
Titel: NIZZA
Autor: Wolfgang Kramer
Grafik:
Verlag: Schmidt
Spielerzahl: 2-6
Spieldauer: etwa 60 Minuten
Preis: ca. 49.00 DM
Spiel 31/1993 R156/2021
Die Rezension erschien 1993
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Nächsten Monat wieder
Zum Spiel und zu dem Autor:
Der 78jährige Wolfgang Kramer ist neben Reinhold Wittig der dienstälteste Spieleautor in Deutschland und der erste, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Der gelernte Betriebswirt und Informatiker hängte 1989, nach zwei Spiel des Jahres-Auszeichnungen seinen Beruf an den Nagel und lebte fortan vom Spielerfinden.
Sein erstes Spiel TEMPO erschien 1974 bei ASS, HEIMLICH & CO. war sein erstes Spiel des Jahres (1986), es folgte gleich danach AUF ACHSE. In vielen seinen späteren Erfolgen war er mindestens im Team unterwegs. Bei EL GRANDE (SDJ 1996) begleitete ihn Richard Ulrich und bei TIKAL und TORRES Michael Kiesling.
Bis heute hat Kramer mehr als 100 Spiele veröffentlicht. Ganz aktuell startet er im Team mit Michael Kiesling das Programm des neuen Verlages Deep Print mit RENATURE.
Mit NIZZA konnte Kramer damals keine großen Lorbeeren ernten, das gilt auch für weitere Spiele aus diesem Veröffentlichungsjahr. 1993 sind noch ATHOS (Kosmos) und DAS PHANTOM (Amigo) erschienen, recht gut war allerdings PUNK SUCHT LADY (Ravensburger). Keine dieser Ideen landete aber auf einer Auszeichnungsliste.
Auf dem Bild ist Wolfgang Kramer in Essen 1994 zusammen mit Alex Randolph zu sehen.
Donnerstag, 9. September 2021
LOVE AFFAIRS
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Partnerspiele um Lust und Liebe: LOVE AFFAIRS
Spielhistorisch betrachtet geht sicherlich das letzte Jahr als das Jahr der B(r)ettspiele in die Annalen der Spielgeschichte ein. Fast kein Verlag, der es ausließ, am Sexrummel mitzuverdienen.
Für viele gewiss die logische Fortsetzung der Kommunikationsspiele für Erwachsene, die Ravensburger gelungen mit LIFESTYLE, der Neubearbeitung von SYMPATHIE, gefördert hat. Spiele wie JETZT MAL EHRLICH (Bandai-Huki) und BLACK-BOX (Jumbo) setzen diese Tradition erfolgreich fort. Hier bleibt es aber beim kennenlernenden Vorgeplänkel, der Spielreiz ist relativ hoch.
Vollmundigere Versprechungen sind da von den neuen Partnerspielen aus dem 91er-Jahrgang zu hören: Ihre Kuss-Technik verfeinern Spielpartner in KÜSS MICH, von der Stirn über die Nase und den Rücken küssen sie sich bis in die nicht sonnenbeschienen Regionen voran, nur der sozialistische Bruderkuss bringt Strafpunkte. Erika Berger gibt vor, mit ihrer CHANCE FÜR DIE LIEBE die Liebeskurven der Spieler auf die Spitze zu treiben. Das Fernsehschicksal ihrer Sendung dürfte auch diesem Spiel, das Wolfgang Riedesser entwickelt hat, beschieden sein. Der Ravensburger Sündenfall PARTY TIME belässt es erst einmal beim Strip auf dem Spielbrett, zum "Anbaggern" fordert allerdings schon HERZKLOPFEN auf. Ob das Herz zu klopfen anfängt, wenn man zu diesen Spielen greift, ist fraglich, aphrodisische Wirkungen sollte man jedenfalls nicht erwarten.
Oder ich versuche es noch einmal mit einem der neuen Spiele: Würde man alle Spielpläne der Erotikspiele nebeneinanderlegen, gebe es sowieso nur einen Favoriten, nämlich LOVE AFFAIRS. Das Spiel für Paare, im des es um Liebe, Erotik, Sexualität und ein harmonisches Zusammenleben gehen soll, besitzt einen Spielplan zum Verlieben. Hier führen die simplen Lauffelder nicht einfach nur eine Herzbahn entlang, sondern erzählen eine anregende Geschichte in einer exzellent gezeichneten Wohnung, die man sein Eigen nennen möchte. Bilder voller Anspielungen, eine Geschichte, die - wie kann es anders sein - im Himmelbett endet.
Das Spiel LOVE AFFAIRS wird vom Spielbrett Berlin vertrieben. Die Autorin Malena Ivarsson ist laut Spielregel schwedische Sexualpädagogin und hat "die vielen Ausdrucksformen von Liebe und Sexualität spielerisch so umgesetzt, dass Mitspieler offen und in kommunikativer Form ihr Wissen erweitern und gegenseitiges Verständnis um das 'Thema Nr.1' aufbauen können.
Das Spiel ist kein Kennenlernspiel, sondern basiert auf der Zusammenarbeit von festen Partnern. Wer auf Partnertausch aus ist, liegt mit diesem Spiel nicht richtig, da die Partner jeweils nur mit einer Spielfigur spielen und diese auch nur vorwärtsbewegen können, wenn sie sich gemeinsam in unterschiedlichen Frage- und Spielsituation bewähren. Der Partnertest wird auf unterschiedlichen Gebieten durchgeführt. Im Bereich "Harmonie" stößt man auf viele direkte Fragen, die gleich zur Sache gehen. Wobei es spielerisch nur darum geht, ob der Partner auch die gleiche Antwort gibt. Ob man allerdings bereit ist, die ganzen Fragen auch vor sehr guten Freunden und Freundinnen offen zu beantworten, hängt wohl sehr von der Spielrunde und von den Freunden ab. Sie könnte zum Beispiel folgende Frage für ihren Partner vorgelegt bekommen: „Könnte er sich vorstellen, vor den Augen Eurer Freunde mit Dir zu schlafen?“ Oder er müsste ihre Antwort voraussagen auf die Frage: „Könntest Du sie an einem Regentag auf einer Waldlichtung zum Geschlechtsverkehr überreden?" So geht es weiter, im "Geständnis"-Bereich muss er zum Beispiel kundtun, ob er schon einmal mit mehr als einer Person Sex gehabt hat, verweigert er die Antwort, geht's ein paar Felder zurück, das Himmelbett rückt fern. Weniger problematisch geht's in den Bereichen "richtig oder falsch" und "Szene" zu, so erfährt man zum Beispiel, dass die deutschen Frauen größere Brüste als die amerikanischen haben (richtig oder falsch) und dass Jackie Kennedy gesagt haben soll: “Sex taugt nichts, weil dabei die Kleidung zerknittert". Ich wusste das nicht vorher, aber da das für die meisten Mitspieler gilt, bewegt man sich hier auf glattem Boden. Im "Scharadenbereich" schließlich ist die Montagsmalerqualität der Spieler gefordert, Redewendungen und Sprüche gilt es, zeichnerisch umzusetzen. Nicht ganz einfach, versuchen Sie doch einmal ihr Glück bei "ein BH hält, was der Pulli verspricht" oder "Karottensaft gibt Liebeskraft". Reduziert man das Spiel auf die letzten drei Bereiche, wird es auch im Freundeskreis spielbar. Für "Harmonie" und "Geständnis" bietet sich eher die Zweiervariante an: Ein Paar spielt das Spiel allein, zumal im Partnerspiel noch ein Wunschzettel ausgefüllt werden darf, der unbedingt erfüllt werden muss. Wer also schon immer einmal Champagner am Bett servieren bekommen möchte und in einer Nacht alles bestimmen wollte, der kann sich mit dem Gewinn bei LOVE AFFAIRS am Ziel seiner Wünsche sehen.
Titel: LOVE AFFAIRS
Verlag: HanseStadt Verlag
Autor: Malena Ivarsson
Grafik: Klaus Fischer
Spielerzahl: 2-8
Alter: ab 18 Jahren
Spieldauer: 60 Min
Preis: ca. 89.00 DM
Spiel 06/1990 R155/2021
Die Rezension erschien 1990
Wertung Spielreiz damals 4 von 10 Sternen,
das entspricht: Vielleicht nächsten Monat wieder
Mittwoch, 8. September 2021
HERZKLOPFEN
Es war einmal
Rückblick auf Rezensionen zwischen 1990 und 2010
Partnerspiele um Lust und Liebe: HERZKLOPFEN
Spielhistorisch betrachtet geht sicherlich das letzte Jahr als das Jahr der B(r)ettspiele in die Annalen der Spielgeschichte ein. Fast kein Verlag, der es ausließ, am Sexrummel mitzuverdienen.
Für viele gewiss die logische Fortsetzung der Kommunikationsspiele für Erwachsene, die Ravensburger gelungen mit LIFESTYLE, der Neubearbeitung von SYMPATHIE, gefördert hat. Spiele wie JETZT MAL EHRLICH (Bandai-Huki) und BLACK-BOX (Jumbo) setzen diese Tradition erfolgreich fort. Hier bleibt es aber beim kennenlernenden Vorgeplänkel, der Spielreiz ist relativ hoch.
Vollmundigere Versprechungen sind da von den neuen Partnerspielen aus dem 91er-Jahrgang zu hören: Ihre Kuss-Technik verfeinern Spielpartner in KÜSS MICH, von der Stirn über die Nase und den Rücken küssen sie sich bis in die nicht sonnenbeschienenen Regionen voran, nur der sozialistische Bruderkuss bringt Strafpunkte. Erika Berger gibt vor, mit ihrer CHANCE FÜR DIE LIEBE die Liebeskurven der Spieler auf die Spitze zu treiben. Das Fernsehschicksal ihrer Sendung dürfte auch diesem Spiel, das Wolfgang Riedesser entwickelt hat, beschieden sein.
Der Ravensburger Sündenfall PARTY TIME belässt es erst einmal beim Strip auf dem Spielbrett, zum "Anbaggern" fordert allerdings schon HERZKLOPFEN auf. Ob das Herz zu klopfen anfängt, wenn man zu diesen Spielen greift, ist fraglich, aphrodisische Wirkungen sollte man jedenfalls nicht erwarten.
Trotzdem: Die Ravensburger haben ein Spielprodukt von dem eingespielten Autorenduo Christian Raffeiner und Helmut Walch (u.a. ASTROTIME) entwickeln lassen, das zumindest erst einmal vom der Materialseite her überzeugt. Wenn auch der herzige Spielplan keine besonders kreative Umlaufbahn darstellt - mit GLÜCK IN DER LIEBE, ebenfalls 1991 erschienen, zeigt der Impuls-Verlag die gleiche Laufbahn -, so ist doch das ganze Drumherum gewohnt stimmig, auch der natürlich rote Würfel besitzt kleine Herzchen statt der sonst üblichen Punkte.
Auf Partnersuche darf man gehen, im Laufe des Spieles stellt sich heraus, wer am besten zu wem passt. Dazu wird am Anfang eine Selbsteinschätzung vorgenommen, jeder bestimmt sein Persönlichkeitsprofil, indem er neun Eigenschaften von ehrgeizig über treu und temperamentvoll zu tolerant und zärtlich in seine persönliche Reihenfolge von eins bis neun bringt. Ehrlichkeit oder zumindest antizipierende Einschätzung von dem, was andere über einen denken, ist hier nötig. Je offener man mit seinen Eigenschaften für das andere Geschlecht ist, umso eher kann man einen passenden Partner finden. Denn darum geht es in dem Spiel. Jede(r) führt ihre/seine Spielfigur auf dem Herzparcours spazieren und landet entweder auf einem Eigenschaftsfeld oder Hand-auf's-Herz-Feld. Jedes Mal wird versucht für die betreffende Eigenschaft oder Frage einen Partner/eine Partnerin zu finden, die/der diese/dieser ähnlich oder besser gleich beantworten könnte.
Auf den Herzfeldern gibt es das übliche Fragenrepertoire, das MB schon mit SKRUPEL vorgeführt hat, wenig Originelles ist dabei. Stellen Sie sich vor, Sie erwischen Ihren Partner knutschend beim Italiener. Stülpen Sie ihm die Spaghettischüssel über den Kopf? Im Gegensatz zu SKRUPEL haben Sie jetzt fünf abgestufte Antworten zur Verfügung: Nie, nein, vielleicht, ja, immer. Sie wählen eine Antwort und suchen einen Mitspieler des anderen Geschlechts, der genauso antworten könnte. War Ihre Einschätzung richtig, oder liegen Sie nur gering auseinander wandern die Partnersteine auf einem Sympathiebarometer gemeinsam nach oben. Landet schließlich ein solcher Partnerstein nach 18 gewonnenen Punkten auf diesem Barometer im Herzfeld, dann haben sich zwei gefunden. Das Spielziel ist erreicht. Auf den Eigenschaftsfeldern geht die Übereinstimmungssuche entsprechend vor sich, nur liegt man hier häufiger daneben.
Das war`s auch fast schon, "Flirts" und "Eifersüchteleien" gehören allerdings noch zum Spiel, sie ermöglichen den Mitspielern sich jeweils einzuklinken, wenn sie glauben, noch größere Übereinstimmung zu besitzen. Auch an ungleiche Partnerzahlen ist gedacht, fehlen Männlein oder Weiblein in der Runde gibt es eine große Auswahl von Partnerkarten, die eine Zier für jedes Heiratsinstitut wären. Wer Pech hat, führt dann ein Fotokärtchen in sein Zielfeld.
Vom Spielprinzip bietet HERZKLOPFEN also nichts Neues. Der Spielmechanismus besitzt außerdem noch einige Haken. Spielen nur zwei Paare, kann durch einige extremere Abweichungen auf den Eigenschaftsfeldern ein zügiges Vorangehen auf dem Sympathiebarometer verhindert werden, da Abweichungen ab vier Punkten Unterschied mit Punktabzug geahndet werden. Hier sollten von Anfang an noch zwei "Dummys" mitlaufen. Auf den Fragefeldern liegt man durch die beiden Extremwerte "nie" und "nimmer" mit "vielleicht" fast immer mit in der Wertung und kann sich hier auch einer eindeutigeren Festlegung entziehen. Wie bei der "Kommt drauf an"-Karte bei SKRUPEL sollte das "Vielleicht" immer erklärt werden. Sind Persönlichkeitswerte nach einer gewissen Spielzeit bekannt, fällt es natürlich leichter, einen passenden Partner zu finden, mit dem man punkten kann, auch wenn es nicht der Typ ist, bei dem Sie am Ende wirklich Herzklopfen bekämen.
Was bleibt ist ein gewisser Anreiz in der Selbsteinschätzung zu Beginn des Spiels, ein Reiz, der sich im Spielablauf fortsetzt, in der Frage, wie sehen mich die anderen. Dazu brauche ich aber nicht dieses Spiel, da greife ich doch lieber gleich zu SYMPATHIE oder LIFESTYLE.
Titel: HERZKLOPFEN
Verlag: Ravensburger
Autor: Christian Raffeiner, Helmut Walch
Grafik: Jutta Krüger
Spielerzahl: 4-8
Alter: ab 18 Jahren
Spieldauer: 60 Min
Preis: ca. 89.00 DM
Spiel 19/1991 R154/2021
Die Rezension erschien 1991
Wertung Spielreiz damals 3 von 10 Sternen,
das entspricht: Vielleicht nächsten Monat wieder
Zu den Autoren:
Die beiden österreichischen Autoren Raffeiner & Walch waren für Partyspiele bei Ravensburger Ende der 80er Jahre bekannt. Mit ASTROTIME und LIFESTYLE hatten sie sogar recht ordentliche Spiele entwickelt. Ihre letzte gemeinsame Veröffentlichung war VEGA bei Peri 1993.
Danach erschienen nur noch einige Spiele von Helmut Walch, so EMIL UND DIE DETEKTIVE 2003 bei Schmidt.
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